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Лучшие немецкие сказки / Die Besten Deutchen Märchen
Лучшие немецкие сказки / Die Besten Deutchen Märchen
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Лучшие немецкие сказки / Die Besten Deutchen Märchen

Лучшие немецкие сказки / Die Besten Deutchen Märchen
Якоб и Вильгельм Гримм

Эксклюзивное чтение на немецком языке
В этой книге подобраны волшебные немецкие сказки братьев Гримм, которые превратят изучение немецкого в увлекательное занятие. Чтение коротких сказочных историй поможет легко прогрузиться в мир классического немецкого языка и пополнить словарный запас.

После каждой сказки даны упражнения для проверки понимания текста и закрепления новой лексики. Издание сопровождается словарем. Книга предназначается для начинающих изучать немецкий язык (уровень 1).

Die Brüder Grimm

Die besten deutschen Märchen

Die besten deutschen Märchen

Das Märchen der Bremer Stadtmusikanten

Es war einmal ein Mann, der hatte einen Esel, welcher schon lange Jahre unverdrossen die Säcke in die Mühle getragen hatte[1 - Глагольная форма сhatte – это предпрошедшее время: глагол в такой форме выражает действие, совершенное прежде другого действия, названного глаголом в простом прошедшем времени.]. Nun aber gingen die Kräfte des Esels zu Ende[2 - zu Ende gehen – заканчиваться], so dass er zur Arbeit nicht mehr taugte. Da dachte der Herr daran, ihn wegzugeben. Aber der Esel merkte, dass sein Herr etwas Böses im Sinn hatte[3 - (etwas) im Sinn haben – замышлять; задумать; планировать], lief fort und machte sich auf den Weg[4 - sich auf den Weg machen – отправиться в путь] nach Bremen. Dort, so meinte er, könnte er ja[5 - ja – ведь, же; даже] Stadtmusikant werden…

Als er schon eine Weile gegangen war, fand er einen Jagdhund am Wege liegen, der jämmerlich heulte. “Warum heulst du denn so, Pack an?” fragte der Esel. “Ach”, sagte der Hund, “weil ich alt bin, jeden Tag schwächer werde und auch nicht mehr auf die Jagd kann, wollte mich mein Herr totschießen. Da hab ich Reißaus genommen. Aber womit soll ich nun mein Brot verdienen?”

“Ich gehe nach Bremen und werde dort Stadtmusikant. Komm mit mir und lass dich auch bei der Musik annehmen. Ich spiele die Laute, und du schlägst die Pauken”, sprach der Esel. Der Hund war einverstanden, und sie gingen mitsammen weiter. Es dauerte nicht lange, da sahen sie eine Katze am Wege sitzen, die machte ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter[6 - ein Gesicht wie drei Tage Regenwetter – с кислой миной; унылый, мрачный, с вытянутой физиономией]. “Was ist denn dir in die Quere gekommen[7 - in die Quere kommen – (c)путать планы; разг. перебежать кому-то дорожку], alter Bartputzer?” fragte der Esel. “Wer kann da lustig sein, wenn’s einem an den Kragen geht[8 - es geht j-m an den Kragen – (тебя) схватили за горло; чьи-л. дела плохи, кому-л. крышка]”, antwortete die Katze. “Weil ich nun alt bin, meine Zähne stumpf werden und ich lieber hinter dem Ofen sitze und spinne, als nach Mäusen herumjage, wollte mich meine Frau ersäufen. Ich konnte mich zwar noch davonschleichen, aber nun ist guter Rat teuer[9 - Da ist guter Rat teuer – Положение затруднительное. Хороший совет дорогого стоит.]. Wo soll ich jetzt hin?[10 - Wo soll ich jetzt hin? – Куда мне теперь податься?]”

– “Geh mit uns nach Bremen! Du verstehst dich doch auf die Nachtmusik, da kannst du Stadtmusikant werden.” Die Katze hielt das für gut[11 - für gut halten – счесть за благо; посчитать что-либо хорошеей идеей] und ging mit.

Als die drei so miteinander gingen, kamen sie an einem Hof vorbei. Da saß der Haushahn auf dem Tor und schrie aus Leibeskräften. “Du schreist einem durch Mark und Bein[12 - durch Mark und Bein – до мозга костей]”, sprach der Esel, “was hast du vor?” “Die Hausfrau hat der Köchin befohlen, mir heute Abend den Kopf abzuschlagen. Morgen, am Sonntag, haben sie Gäste, da wollen sie mich in der Suppe essen. Nun schrei ich aus vollem Halse[13 - aus vollem Hals – разг. во всю глотку, громко, во все горло], solang ich noch kann.”

– “Ei was[14 - Ei was – ну нет! ну что ты!]” sagte der Esel, “zieh lieber mit uns fort, wir gehen nach Bremen, etwas Besseres als den Tod findest du überall. Du hast eine gute Stimme, und wenn wir mitsammen musizieren, wird es gar herrlich klingen.” Dem Hahn gefiel der Vorschlag, und sie gingen alle vier mitsammen fort.

Sie konnten aber die Stadt Bremen an einem Tag nicht erreichen. So kamen abends in einen Wald, wo sie übernachten wollten. Der Esel und der Hund legten sich unter einen großen Baum, die Katze kletterte auf einen Ast, und der Hahn flog bis in den Wipfel, wo es am sichersten für ihn war. Ehe er einschlief, sah er sich noch einmal nach allen vier Windrichtungen um. Da bemerkte er einen Lichtschein. Er sagte seinen Gefährten, dass in der Nähe ein Haus sein müsse[15 - sein müsse – должен быть (форма сослагательного наклонения от müssen)], denn er sehe ein Licht. Der Esel antwortete: “So wollen wir uns aufmachen und noch hingehen, denn hier ist die Herberge schlecht.” Der Hund meinte, ein paar Knochen und etwas Fleisch daran[16 - daran – зд.: к тому, в придачу, в добавок] täten ihm auch gut[17 - gut tun – приносить пользу, пойти на пользу].

Also machten sie sich auf den Weg, wo das Licht war. Bald sahen sie es heller schimmern, und es wurde immer größer, bis sie vor ein hellerleuchtetes[18 - hellerleuchtet – ярко освещенный] Räuberhaus kamen. Der Esel, als der größte, näherte sich dem Fenster und schaute hinein.

– “Was siehst du, Grauschimmel?” fragte der Hahn. “Was ich sehe?” antwortete der Esel – “Einen gedeckten Tisch mit schönem Essen und Trinken, und Räuber sitzen rundherum und lassen sich’s gut gehen[19 - es sich gut gehen lassen – хорошо проводить время; доставить себе удовольствие; роскошествовать, ни в чем себе не отказывать; кутить (на широкую ногу)]!” “Ah! Das wäre etwas für uns[20 - es wäre etwas – было бы неплохо, недурно]”, sprach der Hahn.

Da überlegten die Tiere, wie sie es anfangen[21 - es anfangen – с чего начать] könnten, die Räuber hinauszujagen. Endlich fanden sie ein Mittel. Der Esel stellte sich mit den Vorderfüßen auf das Fenster, der Hund sprang auf des Esels Rücken, die Katze kletterte auf den Hund, und zuletzt flog der Hahn hinauf und setzte sich der Katze auf den Kopf. Als das geschehen war, fingen sie auf ein Zeichen[22 - auf ein Zeichen – по сигналу, по команде] an, ihre Musik zu machen: der Esel schrie, der Hund bellte, die Katze miaute, und der Hahn krähte. Darauf stürzten sie durch das Fenster in die Stube hinein, dass die Scheiben klirrten.

Die Räuber fuhren bei dem entsetzlichen Geschrei in die Höhe[23 - in die Höhe fahren – вскакивать, подскочить]. Sie meinten, ein Gespenst käme herein, und flohen in größter Furcht in den Wald hinaus. Nun setzten sich die vier Gesellen an den Tisch, und jeder aß nach Herzenslust[24 - nach Herzenslust – по душе, кому что угодно] von den Speisen, die ihm am besten schmeckten. Als sie fertig waren, löschten sie das Licht aus, und jeder suchte sich eine Schlafstätte nach seinem Geschmack. Der Esel legte sich auf den Mist, der Hund hinter die Tür, die Katze auf den Herd bei der warmen Asche, und der Hahn flog auf das Dach hinauf. Und weil sie müde waren von ihrem langen Weg, schliefen sie bald ein.

Nach Mitternacht sahen die Räuber, dass kein Licht mehr brannte. Alles schien ruhig, da sprach der Hauptmann: “Wir sollten uns doch nicht ins Bockshorn jagen lassen[25 - sich ins Bockshorn jagen lassen – разг. трусить].” Er schickte einen Räuber zurück, um nachzusehen, ob noch jemand im Hause wäre. Der Räuber fand alles still. Er ging in die Küche und wollte ein Licht anzünden. Da sah er die feurigen Augen der Katze und meinte, es wären glühende Kohlen. Er hielt ein Schwefelhölzchen daran, dass es Feuer fangen sollte. Aber die Katze verstand keinen Spaß[26 - keinen Spaß verstehen – не уметь шутить; не понимать шуток; быть серьезно настроенным], sprang ihm ins Gesicht und kratzte ihn aus Leibeskräften. Da erschrak er gewaltig und wollte zur Hintertür hinauslaufen. Aber der Hund, der da lag, sprang auf und biss ihn ins Bein. Als der Räuber über den Hof am Misthaufen vorbeirannte, gab ihm der Esel noch einen tüchtigen Schlag mit dem Hinterfuß. Der Hahn aber, der von dem Lärm aus dem Schlaf geweckt war, rief vom Dache herunter: “Kikeriki!”

Da lief der Räuber, was er konnte[27 - was er konnte – что мог, изо всех сил], zu seinem Hauptmann zurück. Er rief: “Ach, in dem Haus sitzt eine gräuliche Hexe, die hat mich angefaucht und mir mit ihren langen Fingern das Gesicht zerkratzt. An der Tür steht ein Mann mit einem Messer, der hat mich ins Bein gestochen. Auf dem Hof liegt ein schwarzes Ungetüm, das hat mit einem Holzprügel auf mich losgeschlagen. Und oben auf dem Dache, da sitzt der Richter, der rief: ‘Bringt mir den Schelm her!‘ Da machte ich, dass ich fortkam.” Von nun an getrauten sich die Räuber nicht mehr in das Haus. Den vier Bremer Stadtmusikanten aber gefiel’s darin so gut, dass sie nicht wieder hinaus wollten.

Rumpelstilzchen

Es war einmal[28 - einmal – однажды] ein Müller, der war arm, aber er hatte eine schöne Tochter. Nun traf es sich[29 - es traf sich – (так) случилось], dass er mit dem König zu sprechen kam, und um sich ein Ansehen zu geben[30 - Ansehen geben – произвести впечатление], sagte er zu ihm: “Ich habe eine Tochter, die kann Stroh zu Gold spinnen.” Der König sprach zum Müller: “Das ist eine Kunst, die mir wohl gefällt, wenn deine Tochter so geschickt ist, wie du sagst, so bring sie morgen in mein Schloss, da will ich sie auf die Probe stellen[31 - auf die Probe stellen – подвергать испытанию].”

Als nun das Mädchen zu ihm gebracht ward[32 - ward (устар.) = wurde; gebracht wurde – была приведена, ее привели], führte er es in eine Kammer, die ganz voll Stroh lag, gab ihr Rad und Haspel und sprach: “Jetzt mache dich[33 - sich machen – взяться, приниматься; mache dich – берись, принимайся (за дело)] an die Arbeit, und wenn du diese Nacht durch bis morgen früh dieses Stroh nicht zu Gold versponnen hast, so musst du sterben.” Darauf schloss er die Kammer selbst zu, und sie blieb allein darin. Da saß nun die arme Müllerstochter und verstand gar nichts davon, wie man Stroh zu Gold spinnen konnte, und ihre Angst ward immer größer, dass sie endlich zu weinen anfing. Da ging auf einmal die Türe auf, und trat ein kleines Männchen herein und sprach: “Guten Abend, Jungfer Müllerin, warum weint Sie so sehr?”

“Ach,” antwortete das Mädchen, “ich soll Stroh zu Gold spinnen und verstehe das nicht.” Sprach das Männchen: “Was gibst du mir, wenn ich statt deiner spinne?” – “Mein Halsband,” sagte das Mädchen. Das Männchen nahm das Halsband, setzte sich vor das Rädchen, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war die Spule voll. Dann steckte es eine andere auf, und schnurr, schnurr, schnurr, dreimal gezogen, war auch die zweite voll: und so gings fort bis zum Morgen, da war alles Stroh versponnen, und alle Spulen waren voll Gold.

Bei Sonnenaufgang kam schon der König, und als er das Gold erblickte, erstaunte er und freute sich, aber sein Herz ward nur noch geldgieriger. Er ließ die Müllerstochter in eine andere Kammer voll Stroh bringen, die noch viel größer war, und befahl ihr, das auch in einer Nacht zu spinnen, wenn ihr das Leben lieb wäre[34 - wenn ihr das Leben lieb wäre – (если) жизнь была ей мила (сослагательное наклонение)]. Das Mädchen wusste sich nicht zu helfen[35 - wusste sich nicht zu helfen – не знала, как себя выручить; не умела себе помочь] und weinte, da ging abermals die Türe auf, und das kleine Männchen erschien und sprach: “Was gibst du mir, wenn ich dir das Stroh zu Gold spinne?”

“Meinen Ring von dem Finger,” antwortete das Mädchen. Das Männchen nahm den Ring, fing wieder an zu schnurren mit dem Rade und hatte bis zum Morgen alles Stroh zu glänzendem Gold gesponnen. Der König freute sich über die Massen bei dem Anblick, war aber noch immer nicht Goldes satt, sondern ließ die Müllerstochter in eine noch größere Kammer voll Stroh bringen und sprach: “Die musst du noch in dieser Nacht verspinnen: gelingt dir’s[36 - dir’s =dir das] aber, so sollst du meine Gemahlin werden.” – “Wenn’s auch[37 - Wenn es auch – даже если, даже хотя, пусть [она] и…] eine Müllerstochter ist,” dachte er, “eine reichere Frau finde ich in der ganzen Welt nicht.” Als das Mädchen allein war, kam das Männlein zum drittenmal wieder und sprach: “Was gibst du mir, wenn ich dir noch diesmal das Stroh spinne?” – “Ich habe nichts mehr, das ich geben könnte,” antwortete das Mädchen. “So versprich mir, wenn du Königin wirst, dein erstes Kind.” – “Wer weiß, wie das noch geht,” dachte die Müllerstochter und wusste sich auch in der Not nicht anders zu helfen; sie versprach also dem Männchen, was es verlangte, und das Männchen spann dafür noch einmal das Stroh zu Gold. Und als am Morgen der König kam und alles fand, wie er gewünscht hatte, so hielt er Hochzeit mit ihr, und die schöne Müllerstochter ward eine Königin.

Über ein Jahr brachte sie ein schönes Kind zur Welt und dachte gar nicht mehr an das Männchen: da trat es plötzlich in ihre Kammer und sprach: “Nun gib mir, was du versprochen hast.” Die Königin erschrak und bot dem Männchen alle Reichtümer des Königreichs an, wenn es ihr das Kind lassen wollte; aber das Männchen sprach: “Nein, etwas Lebendes ist mir lieber als alle Schätze der Welt.” Da fing die Königin so an zu jammern und zu weinen, dass das Männchen Mitleiden mit ihr hatte. “Drei Tage will ich dir Zeit lassen,” sprach er, “wenn du bis dahin[38 - bis dahin – до тех пор, к этому времени] meinen Namen weisst, so sollst du dein Kind behalten.”

Nun besann sich die Königin die ganze Nacht über auf alle Namen, die sie jemals gehört hatte, und schickte einen Boten über Land, der sollte sich erkundigen weit und breit[39 - weit und breit – везде и всюду; на каждом углу], was es sonst noch für Namen gäbe[40 - was es sonst noch für Namen gäbe – какие ещё есть имена (косвен. речь)]. Als am andern Tag das Männchen kam, fing sie an mit Kaspar, Melchior, Balzer, und sagte alle Namen, die sie wusste, nach der Reihe[41 - nach der Reihe – по порядку] her, aber bei jedem sprach das Männlein: “So heiß ich nicht.” Den zweiten Tag ließ sie in der Nachbarschaft herumfragen, wie die Leute da genannt würden, und sagte dem Männlein die ungewöhnlichsten und seltsamsten Namen vor “Heißt du vielleicht Rippenbiest oder Hammelswade oder Schnürbein?” Aber es antwortete immer: “So heiß ich nicht.”

Den dritten Tag kam der Bote wieder zurück und erzählte: “Neue Namen habe ich keinen einzigen[42 - kein einzig – ни единого, ни одного] finden können, aber wie ich an einen hohen Berg um die Waldecke kam, wo Fuchs und Has sich gute Nacht sagen, so sah ich da ein kleines Haus, und vor dem Haus brannte ein Feuer, und um das Feuer sprang ein gar zu lächerliches Männchen, hüpfte auf einem Bein und schrie:

“Heute back ich,

Morgen brau ich,

Übermorgen hol ich der Königin ihr Kind;

Ach, wie gut ist, dass niemand weiß,

dass ich Rumpelstilzchen heiß!”

Da könnt ihr denken[43 - könnt ihr denken – можете себе представить], wie die Königin froh war, als sie den Namen hörte, und als bald hernach das Männlein hereintrat und fragte: “Nun, Frau Königin, wie heiß ich?” fragte sie erst: “Heißest du Kunz?” – “Nein.” – “Heißest du Heinz?” – “Nein.” – “Heißt du etwa Rumpelstilzchen?”

“Das hat dir der Teufel gesagt, das hat dir der Teufel gesagt,” schrie das Männlein und stieß mit dem rechten Fuss vor Zorn so tief in die Erde, dass es bis an den Leib hineinfuhr[44 - hineinfahren – зд. войти в, уйти в], dann packte es in seiner Wut den linken Fuss mit beiden Händen und riss sich selbst mitten entzwei.

Rapunzel

Es war einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich schon lange vergeblich ein Kind. Еndlich machte sich die Frau Hoffnung, der liebe Gott werde ihren Wunsch erfüllen. Die Leute hatten in ihrem Hinterhaus ein kleines Fenster: daraus konnte man in einen prächtigen Garten sehen. Der stand voll der schönsten Blumen und Kräuter! Er war aber von einer hohen Mauer umgeben, und niemand wagte hineinzugehen, weil er einer Zauberin gehörte, die große Macht hatte und von aller Welt gefürchtet ward.

Eines Tages stand die Frau an diesem Fenster und sah in den Garten hinab, da erblickte sie ein Beet, das mit den schönsten Rapunzeln bepflanzt war. Und sie sahen so frisch und grün aus, dass sie lüstern ward und das größte Verlangen empfand, von den Rapunzeln zu essen. Das Verlangen nahm jeden Tag zu, und da sie wusste, dass sie keine davon bekommen konnte, so fiel sie ganz ab, sah blass und elend aus. Da erschrak der Mann und fragte: “Was fehlt dir, liebe Frau?” – “Ach,” antwortete sie, “wenn ich keine Rapunzeln aus dem Garten hinter unserm Hause zu essen kriege, so sterbe ich.” Der Mann, der sie lieb hatte, dachte: “Eh[45 - eh (диалект.) = ehe] du deine Frau sterben läßest, holst du ihr von den Rapunzeln, es mag kosten, was es will.”

In der Abenddämmerung stieg er also über die Mauer in den Garten der Zauberin, stach in aller Eile[46 - in aller Eile – второпях, в спешке, спешно] eine Handvoll Rapunzeln und brachte sie seiner Frau. Sie machte sich sogleich Salat daraus und aß sie in voller Begierde auf. Sie hatten ihr aber so gut, so gut geschmeckt, dass sie den andern Tag noch dreimal soviel Lust bekam. Sollte sie Ruhe haben, so musste der Mann noch einmal in den Garten steigen. Er machte sich also in der Abenddämmerung wieder hinab, als er aber die Mauer herabgeklettert war, erschrak er gewaltig, denn er sah die Zauberin vor sich stehen. “Wie kannst du es wagen,” sprach sie mit zornigem Blick, “in meinen Garten zu steigen und wie ein Dieb mir meine Rapunzeln zu stehlen? Das soll dir schlecht bekommen.” – “Ach,” antwortete er, “laßt Gnade für Recht ergehen[47 - Gnade für Recht ergehen lassen – сменить гнев на милость, помиловать], ich habe mich nur aus Not dazu entschlossen: meine Frau hat Eure Rapunzeln aus dem Fenster erblickt, und empfindet ein so großes Gelüsten, dass sie sterben würde, wenn sie nicht davon zu essen bekäme.”

Da ließ die Zauberin in ihrem Zorne nach und sprach zu ihm: “Verhält es sich so[48 - (wenn) es sich so verhält… – Если это так…], wie du sagst, so will ich dir gestatten, Rapunzeln mitzunehmen, soviel du willst, allein[49 - allein – но, однако; только, исключительно; одно] ich mache eine Bedingung: Du musst mir das Kind geben, das deine Frau zur Welt bringen wird. Es soll ihm gut gehen[50 - Es soll ihm gut gehen – ему это пойдет на пользу; принесет благо], und ich will für es sorgen wie eine Mutter”. Der Mann sagte in der Angst alles zu, und als die Frau in Wochen gebar, so erschien sogleich die Zauberin, gab dem Kinde den Namen Rapunzel und nahm es mit sich fort.

Rapunzel ward das schönste Kind unter der Sonne. Als es zwölf Jahre alt war, schloss es die Zauberin in einen Turm, der in einem Walde lag, und weder Treppe noch Türe hatte, nur ganz oben war ein kleines Fensterchen. Wenn die Zauberin hinein wollte, so stellte sie sich hin[51 - stellte sie sich hin – она вставала под ним] und rief:

“Rapunzel, Rapunzel,

Lass mir dein Haar herunter.”

Rapunzel hatte lange prächtige Haare, fein wie gesponnen Gold. Wenn sie nun die Stimme der Zauberin vernahm, so band sie ihre Zöpfe los, wickelte sie oben um einen Fenster, und dann fielen die Haare zwanzig Ellen tief herunter, und die Zauberin stieg daran hinauf.

Nach ein paar Jahren trug es sich zu[52 - trug es sich zu – случилось], dass der Sohn des Königs durch den Wald ritt und an dem Turm vorüberkam. Da hörte er einen Gesang, der war so lieblich, dass er still hielt und horchte. Das war Rapunzel, die in ihrer Einsamkeit sich die Zeit vertrieb[53 - sich (D) die Zeit vertreiben – разг. коротать время] damit, ihre süße Stimme erschallen zu lassen. Der Königssohn wollte zu ihr hinaufsteigen und suchte nach einer Türe des Turms, aber es war keine zu finden. Er ritt heim, doch der Gesang hatte ihm so sehr das Herz gerührt, dass er jeden Tag hinaus in den Wald ging und zuhörte. Als er einmal so hinter einem Baum stand, sah er, dass eine Zauberin herankam, und hörte, wie sie hinaufrief:

“Rapunzel, Rapunzel,

Lass dein Haar herunter.”

Da ließ Rapunzel die Haarflechten herab, und die Zauberin stieg zu ihr hinauf. “Ist das die Leiter, auf welcher man hinaufkommt, so will ich auch einmal mein Glück versuchen.” Und den folgenden Tag, als es anfing dunkel zu werden, ging er zu dem Turme und rief: