banner banner banner
Das Ich und das Es / Я и Оно
Das Ich und das Es / Я и Оно
Оценить:
 Рейтинг: 0

Das Ich und das Es / Я и Оно

Die Versöhnungsgebräuche auf der Insel Timor, nachdem eine siegreiche Kriegerschar mit den abgeschnittenen Köpfen der besiegten Feinde zurückkehrt, sind darum besonders bedeutsam, weil überdies der Führer der Expedition von schweren Beschränkungen betroffen wird (s. unten). Bei dem feierlichen Einzug der Sieger werden Opfer dargebracht, um die Seelen der Feinde zu versöhnen;»sonst müßte man Unheil für die Sieger vorhersehen. Es wird ein Tanz aufgeführt und dabei ein Gesang vorgetragen, in welchem der erschlagene Feind beklagt und seine Verzeihung erbeten wird: ›Zürne uns nicht, weil wir deinen Kopf hier bei uns haben; wäre uns das Glück nicht hold gewesen, so hingen jetzt vielleicht unsere Köpfe in deinem Dorf. Wir haben dir ein Opfer gebracht, um dich zu besänftigen. Nun darf dein Geist zufrieden sein und uns in Ruhe lassen. Warum bist du unser Feind gewesen? Wären wir nicht besser Freunde geblieben? Dann wäre dein Blut nicht vergossen und dein Kopf nicht abgeschnitten worden.‹«[28 - Fußnote: Frazer (1911, 166).]

Ähnliches findet sich bei den Palu in Celebes; die Gallas opfern den Geistern ihrer erschlagenen Feinde, ehe sie ihr Heimatdorf betreten.

Andere Völker haben das Mittel gefunden, um aus ihren früheren Feinden nach deren Tod Freunde, Wächter und Beschützer zu machen. Es besteht in der zärtlichen Behandlung der abgeschnittenen Köpfe, wie manche wilde Stämme Borneos sich deren rühmen. Wenn die See-Dayaks von Sarawak von einem Kriegszug einen Kopf nach Hause bringen, so wird dieser Monate hindurch mit der ausgesuchtesten Liebenswürdigkeit behandelt und mit den zärtlichsten Namen angesprochen, über die ihre Sprache verfügt. Die besten Bissen von ihren Mahlzeiten werden ihm in den Mund gesteckt, Leckerbissen und Zigarren. Er wird wiederholt gebeten, seine früheren Freunde zu hassen und seinen neuen Wirten seine Liebe zu schenken, da er jetzt einer der Ihrigen ist. Man würde sehr irregehen, wenn man an dieser uns gräßlich erscheinenden Behandlung dem Hohn einen Anteil zuschriebe[29 - Fußnote: Frazer (1914, Bd. 1, 295), nach Low (1848).].

Bei mehreren der wilden Stämme Nordamerikas ist die Trauer um den erschlagenen und skalpierten Feind den Beobachtern aufgefallen. Wenn ein Choctaw einen Feind getötet hatte, so begann für ihn eine monatlange Trauer, während welcher er sich schweren Einschränkungen unterwarf. Ebenso trauerten die Dakota-Indianer. Wenn die Osagen, bemerkt ein Gewährsmann, ihre eigenen Toten betrauert hatten, so trauerten sie dann um den Feind, als ob er ein Freund gewesen wäre[30 - Fußnote: Frazer (1911, 181), nach Dorsey.].

Noch ehe wir auf die anderen Klassen von Tabugebräuchen zur Behandlung der Feinde eingehen, müssen wir gegen eine naheliegende Einwendung Stellung nehmen. Die Motivierung dieser Versöhnungsvorschriften, wird man uns mit Frazer und anderen entgegenhalten, ist einfach genug und hat nichts mit einer» Ambivalenz «zu tun. Diese Völker werden von abergläubischer Furcht vor den Geistern der Erschlagenen beherrscht, einer Furcht, die auch dem klassischen Altertum nicht fremd war, die der große britische Dramatiker in den Halluzinationen Macbeths und Richards III. auf die Bühne gebracht hat. Aus diesem Aberglauben leiten sich folgerichtig alle die Versöhnungsvorschriften ab, wie auch die später zu besprechenden Beschränkungen und Sühnungen; für diese Auffassung sprechen noch die in der vierten Gruppe vereinigten Zeremonien, die keine andere Auslegung zulassen als von Bemühungen, die den Mördern folgenden Geister der Erschlagenen zu verjagen[31 - Fußnote: Frazer (1911, 169-74). Diese Zeremonien bestehen in Schlagen mit den Schilden, Schreien, Brüllen und Erzeugung von Lärm mit Hilfe von Instrumenten usw.]. Zum Überfluß gestehen die Wilden ihre Angst vor den Geistern der getöteten Feinde direkt ein und führen die besprochenen Tabugebräuche selbst auf sie zurück.

Diese Einwendung ist in der Tat naheliegend, und wenn sie ebenso ausreichend wäre, könnten wir uns die Mühe unseres Erklärungsversuches gern ersparen. Wir verschieben es auf später, uns mit ihr auseinanderzusetzen, und stellen ihr zunächst nur die Auffassung entgegen, die sich aus den Voraussetzungen der vorigen Erörterungen über das Tabu ableitet. Wir schließen aus all diesen Vorschriften, daß im Benehmen gegen die Feinde noch andere als bloß feindselige Regungen zum Ausdruck kommen. Wir erblicken in ihnen Äußerungen der Reue, der Wertschätzung des Feindes, des bösen Gewissens, ihn ums Leben gebracht zu haben. Es will uns scheinen, als wäre auch in diesen Wilden das Gebot lebendig:»Du sollst nicht töten«, welches nicht ungestraft verletzt werden darf, lange vor jeder Gesetzgebung, die aus den Händen eines Gottes empfangen wird.

Kehren wir nun zu den anderen Klassen von Tabuvorschriften zurück. Die Beschränkungen des siegreichen Mörders sind ungemein häufig und meist von ernster Art. Auf Timor (vgl. die Versöhnungsgebräuche oben) darf der Führer der Expedition nicht ohneweiters in sein Haus zurückkehren. Es wird für ihn eine besondere Hütte errichtet, in welcher er zwei Monate mit der Befolgung verschiedener Reinigungsvorschriften verbringt. In dieser Zeit darf er sein Weib nicht sehen, auch sich nicht selbst ernähren, eine andere Person muß ihm das Essen in den Mund schieben[32 - Fußnote: Frazer (1911, 166), nach Müller (1857).]. – Bei einigen Dayakstämmen müssen die vom erfolgreichen Kriegszug Heimkehrenden einige Tage lang abgesondert bleiben und sich gewisser Speisen enthalten, sie dürfen auch kein Essen berühren und bleiben ihren Frauen fern. – In Logea, einer Insel nahe Neuguinea, schließen sich Männer, die Feinde getötet oder daran teilgenommen haben, für eine Woche in ihren Häusern ein. Sie vermeiden jeden Umgang mit ihren Frauen und ihren Freunden, rühren Nahrungsmittel nicht mit ihren Händen an und nähren sich nur von Pflanzenkost, die in besonderen Gefäßen für sie gekocht wird. Als Grund für diese letzte Beschränkung wird angegeben, daß sie das Blut der Erschlagenen nicht riechen dürfen; sie würden sonst erkranken und sterben. – Bei dem Toaripi- oder Motumotu-Stamm auf Neuguinea darf ein Mann, der einen anderen getötet hat, seinem Weib nicht nahe kommen und Nahrung nicht mit seinen Fingern berühren. Er wird von anderen Personen mit besonderer Nahrung gefüttert. Dies dauert bis zum nächsten Neumond.

Ich unterlasse es, die bei Frazer mitgeteilten Fälle von Beschränkungen des siegreichen Mörders vollzählig anzuführen, und hebe nur noch solche Beispiele hervor, in denen der Tabucharakter besonders auffällig ist oder die Beschränkung im Verein mit Sühne, Reinigung und Zeremoniell auftritt.

«Bei den Monumbos in Deutsch-Neuguinea wird jeder, der einen Feind im Kampfe getötet hat, ›unrein‹«, wofür dasselbe Wort gebraucht wird, das auf Frauen während der Menstruation oder des Wochenbettes Anwendung findet. Er» darf durch lange Zeit das Klubhaus der Männer nicht verlassen, während sich die Mitbewohner seines Dorfes um ihn versammeln und seinen Sieg mit Liedern und Tänzen feiern. Er darf niemand, nicht einmal seine eigene Frau und seine Kinder berühren; täte er es, so würden sie von Geschwüren befallen werden. Er wird dann rein durch Waschungen «und anderes Zeremoniell.

«Bei den Natchez in Nordamerika waren junge Krieger, die den ersten Skalp erbeutet hatten, durch sechs Monate zur Befolgung gewisser Entsagungen genötigt. Sie durften nicht bei ihren Frauen schlafen und kein Fleisch essen, erhielten nur Fisch und Maispudding zur Nahrung… Wenn ein Choctaw einen Feind getötet und skalpiert hatte, begann für ihn eine Trauerzeit von einem Monat, während welcher er sein Haar nicht kämmen durfte. Wenn es ihn am Kopfe juckte, durfte er sich nicht mit der Hand kratzen, sondern bediente sich dazu eines kleinen Steckens…«

«Wenn ein Pima-Indianer einen Apachen getötet hatte, so mußte er sich schweren Reinigungs- und Sühnezeremonien unterwerfen. Während einer sechzehntägigen Fastenzeit durfte er Fleisch und Salz nicht berühren, auf kein brennendes Feuer schauen, zu keinem Menschen sprechen. Er lebte allein im Walde, von einer alten Frau bedient, die ihm spärliche Nahrung brachte, badete oft im nächsten Fluß und trug – als Zeichen der Trauer – einen Klumpen Lehm auf seinem Haupte. Am siebzehnten Tage fand dann die öffentliche Zeremonie der feierlichen Reinigung des Mannes und seiner Waffen statt. Da die Pima-Indianer das Tabu des Mörders viel ernster nahmen als ihre Feinde und die Sühne und Reinigung nicht wie diese bis nach der Beendigung des Feldzuges aufzuschieben pflegten, litt ihre Kriegstüchtigkeit sehr unter ihrer sittlichen Strenge oder Frömmigkeit, wenn man will. Trotz ihrer außerordentlichen Tapferkeit erwiesen sie sich den Amerikanern als unbefriedigende Bundesgenossen in ihren Kämpfen gegen die Apachen.«

So interessant die Einzelheiten und Variationen der Sühne- und Reinigungszeremonien nach Tötung eines Feindes für eine tiefer eindringende Betrachtung auch sein mögen, so breche ich deren Mitteilung doch ab, weil sie uns keine neuen Gesichtspunkte eröffnen können. Vielleicht führe ich noch an, daß die zeitweilige oder permanente Isolierung des berufsmäßigen Henkers, die sich bis in unsere Neuzeit erhalten hat, in diesen Zusammenhang gehört. Die Stellung des» Freimannes «in der mittelalterlichen Gesellschaft vermittelt in der Tat eine gute Vorstellung von dem» Tabu «der Wilden[33 - Fußnote: Zu diesen Beispielen s. Frazer (1911, 165-90), ›Manslayers tabooed‹.].

In der gangbaren Erklärung all dieser Versöhnungs-, Beschränkungs-, Sühne- und Reinigungsvorschriften werden zwei Prinzipien miteinander kombiniert. Die Fortsetzung des Tabu vom Toten her auf alles, was mit ihm in Berührung gekommen ist, und die Furcht vor dem Geist des Getöteten. Auf welche Weise diese beiden Momente miteinander zur Erklärung des Zeremoniells zu kombinieren sind, ob sie als gleichwertig aufgefaßt werden sollen, ob das eine das primäre, das andere sekundär ist, und welches, das wird nicht gesagt und ist in der Tat nicht leicht anzugeben. Demgegenüber betonen wir die Einheitlichkeit unserer Auffassung, wenn wir all diese Vorschriften aus der Ambivalenz der Gefühlsregungen gegen den Feind ableiten.

b) Das Tabu der Herrscher

Das Benehmen primitiver Völker gegen ihre Häuptlinge, Könige, Priester wird von zwei Grundsätzen regiert, die einander eher zu ergänzen als zu widersprechen scheinen. Man muß sich vor ihnen hüten, und man muß sie behüten[34 - Fußnote: Frazer (1911, 132).»He must not only be guarded, he must also be guarded against.«]. Beides geschieht vermittels einer Unzahl von Tabuvorschriften. Warum man sich vor den Herrschern hüten muß, ist uns bereits bekannt geworden: weil sie die Träger jener geheimnisvollen und gefährlichen Zauberkraft sind, die sich wie eine elektrische Ladung durch Berührung mitteilt und dem selbst nicht durch eine ähnliche Ladung Geschützten Tod und Verderben bringt. Man vermeidet also jede mittelbare oder unmittelbare Berührung mit der gefährlichen Heiligkeit und hat, wo solche nicht zu vermeiden ist, ein Zeremoniell gefunden, um die gefürchteten Folgen abzuwenden. Die Nubas in Ostafrika glauben z. B.,»daß sie sterben müssen, wenn sie das Haus ihres Priesterkönigs betreten, daß sie aber dieser Gefahr entgehen, wenn sie beim Eintritt die linke Schulter entblößen und den König veranlassen, diese mit seiner Hand zu berühren«. So trifft das Merkwürdige ein, daß die Berührung des Königs das Heil- und Schutzmittel gegen die Gefahren wird, welche aus der Berührung des Königs hervorgehen, aber es handelt sich dabei wohl um die Heilkraft der absichtlichen, vom König ausgehenden Berührung im Gegensatz zur Gefahr, daß man ihn berühre, um den Gegensatz der Passivität und der Aktivität gegen den König.

Wenn es sich um die Heilwirkung der königlichen Berührung handelt, brauchen wir die Beispiele nicht bei Wilden zu suchen. Die Könige von England haben in Zeiten, die noch nicht weit zurückliegen, diese Kraft an der Skrofulöse geübt, die darum den Namen:»The King's Evil«trug. Königin Elisabeth entsagte diesem Stück ihrer königlichen Prärogative ebensowenig wie irgend einer ihrer späteren Nachfolger. Charles I. soll im Jahre 1633 hundert Kranke auf einen Streich geheilt haben. Unter dessen zuchtlosem Sohn Charles II. feierten nach der Überwindung der großen englischen Revolution die Königsheilungen bei Skrofeln ihre höchste Blüte.

Dieser König soll im Laufe seiner Regierung bei hunderttausend Skrofulöse berührt haben. Das Gedränge der Heilungsuchenden pflegte bei dieser Gelegenheit so groß zu sein, daß einmal sechs oder sieben von ihnen anstatt der Heilung den Tod durch Erdrücktwerden fanden. Der skeptische Oranier Wilhelm III., der nach der Vertreibung der Stuarts König von England wurde, weigerte sich des Zaubers; das einzigemal, als er sich zu einer solchen Berührung herbeiließ, tat er es mit den Worten:»Gott gebe Euch eine bessere Gesundheit und mehr Verstand. «[35 - Fußnote: Frazer (1911, Bd. 1, 368-70).]

Von der fürchterlichen Wirkung der Berührung, in welcher man, ob auch unabsichtlich, gegen den König oder das, was zu ihm gehört, aktiv wird, mag folgender Bericht Zeugnis ablegen.»Ein Häuptling von hohem Rang und großer Heiligkeit auf Neuseeland hatte einst die Reste seiner Mahlzeit am Wege stehenlassen. Da kam ein Sklave daher, ein junger, kräftiger, hungriger Gesell, sah das Zurückgelassene und machte sich darüber, um es aufzuessen. Kaum war er fertig worden, da teilte ihm ein entsetzter Zuschauer mit, daß es die Mahlzeit des Häuptlings gewesen sei, an welcher er sich vergangen habe. «Er war ein starker, mutiger Krieger gewesen, aber sobald er diese Auskunft vernommen hatte, stürzte er zusammen, wurde von gräßlichen Zuckungen befallen und starb gegen Sonnenuntergang des nächsten Tages[36 - Fußnote: Frazer (1911, 134-5), nach einem Pakeha Maori (1884).].»Eine Maorifrau hatte gewisse Früchte gegessen und dann erfahren, daß diese von einem mit Tabu belegten Orte herrührten. Sie schrie auf, der Geist des Häuptlings, den sie so beleidigt, werde sie gewiß töten. Dies geschah am Nachmittag, und am nächsten Tag um zwölf Uhr war sie tot. «[37 - Fußnote: Frazer (loc. cit.), nach Brown (1845).]»Das Feuerzeug eines Maori-Häuptlings brachte einmal mehrere Personen ums Leben. Der Häuptling hatte es verloren, andere fanden es und bedienten sich seiner, um ihre Pfeifen anzuzünden. Als sie erfuhren, wessen Eigentum das Feuerzeug sei, starben sie vor Schrecken. «[38 - Fußnote: Frazer (loc. cit.).]

Es ist nicht zu verwundern, wenn sich das Bedürfnis fühlbar machte, so gefährliche Personen wie Häuptlinge und Priester von den anderen zu isolieren, eine Mauer um sie aufzuführen, hinter welcher sie für die anderen unzugänglich waren. Es mag uns die Erkenntnis dämmern, daß diese ursprünglich aus Tabuvorschriften gefügte Mauer heute noch als höfisches Zeremoniell existiert.

Aber der vielleicht größere Teil dieses Tabu der Herrscher läßt sich nicht auf das Bedürfnis des Schutzes vor ihnen zurückführen. Der andere Gesichtspunkt in der Behandlung der privilegierten Personen, das Bedürfnis, sie selbst vor den ihnen drohenden Gefahren zu schützen, hat an der Schaffung der Tabu und somit an der Entstehung der höfischen Etikette den deutlichsten Anteil gehabt.

Die Notwendigkeit, den König vor allen erdenklichen Gefahren zu schützen, ergibt sich aus seiner ungeheuren Bedeutung für das Wohl und Wehe seiner Untertanen. Strenggenommen ist es seine Person, die den Lauf der Welt reguliert;»sein Volk hat ihm nicht nur für den Regen und Sonnenschein zu danken, der die Früchte der Erde gedeihen läßt, sondern auch für den Wind, der Schiffe an ihre Küste bringt, und für den festen Boden, auf den sie ihre Füße setzen.«(Frazer, 1911, 7.)

Diese Könige der Wilden sind mit einer Machtfülle und einer Fähigkeit zu beglücken ausgestattet, die nur Göttern zu eigen ist und an welche auf späteren Stufen der Zivilisation nur die servilsten ihrer Höflinge Glauben heucheln werden.

Es erscheint ein offenbarer Widerspruch, daß Personen von solcher Machtvollkommenheit selbst der größten Sorgfalt bedürfen, um vor den sie bedrohenden Gefahren beschützt zu werden, aber es ist nicht der einzige Widerspruch, der in der Behandlung königlicher Personen bei den Wilden zutage tritt. Diese Völker halten es auch für notwendig, ihre Könige zu überwachen, daß sie ihre Kräfte im rechten Sinne verwenden; sie sind ihrer guten Intentionen oder ihrer Gewissenhaftigkeit keineswegs sicher. Ein Zug von Mißtrauen mengt sich der Motivierung der Tabuvorschriften für den König bei.»Die Idee, daß urzeitliches Königstum ein Despotismus ist«, sagt Frazer (ibid., 7 f.),»demzufolge das Volk nur für seinen Herrscher existiert, ist auf die Monarchien, die wir hier im Auge haben, ganz und gar nicht anwendbar. Im Gegenteile, in diesen lebt der Herrscher nur für seine Untertanen; sein Leben hat einen Wert nur so lange, als er die Pflichten seiner Stellung erfüllt, den Lauf der Natur zum Besten seines Volkes regelt. Sobald er darin nachläßt oder versagt, wandeln sich die Sorgfalt, die Hingebung, die religiöse Verehrung, deren Gegenstand er bisher im ausgiebigsten Maße war, in Haß und Verachtung um. Er wird schmählich davongejagt und mag froh sein, wenn er das nackte Leben rettet. Heute noch als Gott verehrt, mag es ihm passieren, morgen als Verbrecher erschlagen zu werden. Aber wir haben kein Recht, dies veränderte Benehmen seines Volkes als Unbeständigkeit oder Widerspruch zu verurteilen, das Volk bleibt vielmehr durchaus konsequent. Wenn ihr König ihr Gott ist, so denken sie, muß er sich auch als ihr Beschützer erweisen; und wenn er sie nicht beschützen will, soll er einem anderen, der bereitwilliger ist, den Platz räumen. Solange er aber ihren Erwartungen entspricht, kennt ihre Sorgfalt für ihn keine Grenzen, und sie nötigen ihn dazu, sich selbst mit der gleichen Fürsorge zu behandeln. Ein solcher König lebt wie eingemauert hinter einem System von Zeremoniell und Etikette, eingesponnen in ein Netz von Gebräuchen und Verboten, deren Absicht keineswegs dahin geht, seine Würde zu erhöhen, noch weniger sein Wohlbehagen zu steigern, sondern die einzig und allein bezwecken, ihn vor Schritten zurückzuhalten, welche die Harmonie der Natur stören und so ihn, sein Volk und das ganze Weltall gleichzeitig zugrunde richten könnten. Diese Vorschriften, weit entfernt, seinem Behagen zu dienen, mengen sich in jede seiner Handlungen, heben seine Freiheit auf und machen ihm das Leben, das sie angeblich versichern wollen, zur Bürde und zur Qual.«

Eines der grellsten Beispiele von solcher Fesselung und Lähmung eines heiligen Herrschers durch das Tabuzeremoniell scheint in der Lebensweise des Mikado von Japan in früheren Jahrhunderten erzielt worden zu sein. Eine Beschreibung, die jetzt über zweihundert Jahre alt ist[39 - Fußnote: Kaempfer (1727), bei Frazer (1911, 3 f.).], erzählt:»Der Mikado glaubt, daß es seiner Würde und Heiligkeit nicht angemessen sei, den Boden mit den Füßen zu berühren; wenn er also irgendwohin gehen will, muß er auf den Schultern von Männern hingetragen werden. Es geht aber noch viel weniger an, daß er seine heilige Person der freien Luft aussetze, und die Sonne wird der Ehre nicht gewürdigt, auf sein Haupt zu scheinen. Allen Teilen seines Körpers wird eine so hohe Heiligkeit zugeschrieben, daß weder sein Haupthaar noch sein Bart geschoren und seine Nägel nicht geschnitten werden dürfen. Damit er aber nicht zu sehr verwahrlose, waschen sie ihn nachts, wenn er schläft: sie sagen, was man in diesem Zustand von seinem Körper nimmt, kann nur als gestohlen aufgefaßt werden, und ein solcher Diebstahl tut seiner Würde und Heiligkeit keinen Eintrag. In noch früheren Zeiten mußte er jeden Vormittag einige Stunden lang mit der Kaiserkrone auf dem Haupte auf dem Throne sitzen, aber er mußte sitzen wie eine Statue, ohne Hände, Füße, Kopf oder Augen zu bewegen; nur so, meinte man, könne er Ruhe und Frieden im Reiche erhalten. Wenn er unseligerweise sich nach der einen oder der anderen Seite wenden sollte, oder eine Zeitlang den Blick bloß auf einen Teil seines Reiches richtete, so würden Krieg, Hungersnot, Feuer, Pest oder sonst ein großes Unheil hereinbrechen, um das Land zu verheeren.«

Einige der Tabu, denen barbarische Könige unterworfen sind, mahnen lebhaft an die Beschränkungen der Mörder. In Shark Point bei Kap Padron in Unter-Guinea (Westafrika)»lebt ein Priesterkönig, Kukulu, allein in einem Wald. Er darf kein Weib berühren, auch sein Haus nicht verlassen, ja nicht einmal von seinem Stuhl aufstehen, in dem er sitzend schlafen muß. Wenn er sich niederlegte, würde der Wind aufhören und die Schiffahrt gestört sein. Seine Funktion ist es, die Stürme in Schranken zu halten und im allgemeinen für einen gleichmäßig gesunden Zustand der Atmosphäre zu sorgen «[40 - Fußnote: Frazer (1911, 5), nach Bastian (1874-75).]. Je mächtiger ein König von Loango ist, sagt Bastian, desto mehr Tabu muß er beobachten. Auch der Thronfolger ist von Kindheit an an sie gebunden, aber sie häufen sich um ihn, während er heranwächst; im Momente der Thronbesteigung ist er von ihnen erstickt.

Unser Raum gestattet es nicht und unser Interesse erfordert es nicht, daß wir in die Beschreibung der an der Königs- oder Priesterwürde haftenden Tabu weiter eingehen. Führen wir noch an, daß Beschränkungen der freien Bewegung und der Diät die Hauptrolle unter ihnen spielen. Wie konservierend aber auf alte Gebräuche der Zusammenhang mit diesen privilegierten Personen wirkt, mag aus zwei Beispielen von Tabuzeremoniell hervorgehen, die von zivilisierten Völkern, also von weit höheren Kulturstufen, genommen sind.

Der Flamen Dialis, der Oberpriester des Jupiter im alten Rom, hatte eine außerordentlich große Anzahl von Tabugeboten zu beobachten. Er» durfte nicht reiten, kein Pferd, keine Bewaffneten sehen, keinen Ring tragen, der nicht zerbrochen war, keinen Knoten an seinen Gewändern haben;.. Weizenmehl und Sauerteig nicht berühren, eine Ziege, einen Hund, rohes Fleisch, Bohnen und Efeu nicht einmal beim Namen nennen;.. sein Haar durfte nur von einem freien Mann mit einem Bronzemesser geschnitten, seine Haare und Nägelabfälle mußten unter einem glückbringenden Baum vergraben werden;.. er durfte keinen Toten anrühren;.. nicht unbedeckten Hauptes unter freiem Himmel stehen «u. dgl. Seine Frau, die Flaminica, hatte überdies ihre eigenen Verbote: Sie durfte auf einer gewissen Art von Treppen nicht höher als drei Stufen steigen, an gewissen Festtagen ihr Haar nicht kämmen; das Leder ihrer Schuhe durfte von keinem Tier genommen werden, das eines natürlichen Todes gestorben war, sondern nur von einem geschlachteten oder geopferten; wenn sie Donner hörte, war sie unrein, bis sie ein Sühnopfer dargebracht hatte. (Frazer, 1911, 13 f.)

Die alten Könige von Irland waren einer Reihe von höchst sonderbaren Beschränkungen unterworfen, von deren Einhaltung aller Segen, von deren Übertretung alles Unheil für das Land erwartet wurde. Das vollständige Verzeichnis dieser Tabu ist in dem Book of Rights gegeben, dessen älteste handschriftliche Exemplare die Jahreszahlen 1390 und 1418 tragen. Die Verbote sind äußerst detailliert, betreffen gewisse Tätigkeiten an bestimmten Orten und zu bestimmten Zeiten; in dieser Stadt darf der König nicht an einem gewissen Wochentag weilen, jenen Fluß nicht um eine genannte Stunde übersetzen, nicht volle neun Tage auf einer gewissen Ebene lagern u. dgl. (Frazer, 1911, 11 f.)

Die Härte der Tabubeschränkungen für die Priesterkönige hat bei vielen wilden Völkern eine Folge gehabt, die historisch bedeutsam und für unsere Gesichtspunkte besonders interessant ist. Die Priesterkönigswürde hörte auf, etwas Begehrenswertes zu sein; wem sie bevorstand, der wandte oft alle Mittel an, um ihr zu entgehen. So wird es auf Kambodscha, wo es einen Feuer- und einen Wasserkönig gibt, oft notwendig, die Nachfolger mit Gewalt zur Annahme der Würde zu zwingen. Auf Niue oder Savage Island, einer Koralleninsel im Stillen Ozean, kam die Monarchie tatsächlich zu Ende, weil sich niemand mehr bereit finden wollte, das verantwortliche und gefährliche Amt zu übernehmen.»In manchen Teilen von Westafrika wird nach dem Tode des Königs ein geheimes Konzil abgehalten, um den Nachfolger zu bestimmen. Der, auf welchen die Wahl fällt, wird gepackt, gebunden und im Fetischhaus in Gewahrsam gehalten, bis er sich bereit erklärt hat, die Krone anzunehmen. Gelegentlich findet der präsumtive Thronfolger Mittel und Wege, um sich der ihm zugedachten Ehre zu entziehen; so wird von einem Häuptling berichtet, daß er Tag und Nacht Waffen zu tragen pflegte, um jedem Versuch, ihn auf den Thron zu setzen, mit Gewalt zu widerstehen. «[41 - Fußnote: Frazer (1911, 17 f.), nach Bastian (1874-75).] Bei den Negern von Sierra Leone ward das Widerstreben gegen die Annahme der Königswürde so groß, daß die meisten Stämme genötigt waren, Fremde zu ihren Königen zu machen.

Frazer führt es auf diese Verhältnisse zurück, daß sich in der Entwicklung der Geschichte endlich eine Scheidung des ursprünglichen Priesterkönigtums in eine geistliche und weltliche Macht vollzog. Die von der Bürde ihrer Heiligkeit erdrückten Könige wurden unfähig, die Herrschaft in realen Dingen auszuüben, und mußten diese geringeren, aber tatkräftigen Personen überlassen, welche bereit waren, auf die Ehren der Königswürde zu verzichten. Aus diesen erwuchsen dann die weltlichen Herrscher, während die nun praktisch bedeutungslose geistliche Oberhoheit den früheren Tabukönigen verblieb. Es ist bekannt, wieweit diese Aufstellung in der Geschichte des alten Japans Bestätigung findet.

Wenn wir nun das Bild der Beziehungen der primitiven Menschen zu ihren Herrschern überblicken, so regt sich in uns die Erwartung, daß uns der Fortschritt von seiner Beschreibung zu seinem psychoanalytischen Verständnis nicht schwerfallen wird. Diese Beziehungen sind sehr verwickelter Natur und nicht frei von Widersprüchen. Man räumt den Herrschern große Vorrechte ein, welche sich mit den Tabuverboten der anderen geradezu decken. Es sind privilegierte Personen; sie dürfen eben das tun oder genießen, was den übrigen durch das Tabu vorenthalten ist. Im Gegensatz zu dieser Freiheit steht aber, daß sie durch andere Tabu beschränkt sind, welche auf die gewöhnlichen Individuen nicht drücken. Hier ist also ein erster Gegensatz, fast ein Widerspruch, zwischen einem Mehr von Freiheit und einem Mehr an Beschränkung für dieselben Personen. Man traut ihnen außerordentliche Zauberkräfte zu und fürchtet sich deshalb vor der Berührung mit ihren Personen oder ihrem Eigentum, während man anderseits von diesen Berührungen die wohltätigste Wirkung erwartet. Dies scheint ein zweiter, besonders greller Widerspruch zu sein; allein wir haben bereits erfahren, daß er nur scheinbar ist. Heilend und schützend wirkt die Berührung, die vom König selbst in wohlwollender Absicht ausgeht; gefährlich ist nur die Berührung, die vom gemeinen Mann am König und am Königlichen verübt wird, wahrscheinlich weil sie an aggressive Tendenzen mahnen kann. Ein anderer, nicht so leicht auflösbarer Widerspruch äußert sich darin, daß man dem Herrscher eine so große Gewalt über die Vorgänge der Natur zuschreibt und sich doch für verpflichtet hält, ihn mit ganz besonderer Sorgfalt gegen ihm drohende Gefahren zu beschützen, als ob seine eigene Macht, die so vieles kann, nicht auch dies vermöchte. Eine weitere Erschwerung des Verhältnisses stellt sich dann her, indem man dem Herrscher nicht das Zutrauen entgegenbringt, er werde seine ungeheure Macht in der richtigen Weise zum Vorteil der Untertanen wie zu seinem eigenen Schutz verwenden wollen; man mißtraut ihm also und hält sich für berechtigt, ihn zu überwachen. Allen diesen Absichten der Bevormundung des Königs, seinem Schutz vor Gefahren und dem Schutz der Untertanen vor der Gefahr, die er ihnen bringt, dient gleichzeitig die Tabuetikette, der das Leben des Königs unterworfen wird.

Es liegt nahe, folgende Erklärung für das komplizierte und widerspruchsvolle Verhältnis der Primitiven zu ihren Herrschern zu geben: Aus abergläubischen und anderen Motiven kommen in der Behandlung der Könige mannigfache Tendenzen zum Ausdruck, von denen jede ohne Rücksicht auf die anderen zum Extrem entwickelt wird. Daraus entstehen dann die Widersprüche, an denen der Intellekt der Wilden übrigens so wenig Anstoß nimmt wie der der Höchstzivilisierten, wenn es sich nur um Verhältnisse der Religion oder der» Loyalität «handelt.

Das wäre soweit gut, aber die psychoanalytische Technik wird gestatten, tiefer in den Zusammenhang einzudringen und Näheres über die Natur dieser mannigfaltigen Tendenzen auszusagen. Wenn wir den geschilderten Sachverhalt der Analyse unterziehen, gleichsam als ob er sich im Symptombild einer Neurose fände, so werden wir zunächst an das Übermaß von ängstlicher Sorge anknüpfen, welches als Begründung des Tabuzeremoniells ausgegeben wird. Dies Vorkommen einer solchen Überzärtlichkeit ist in der Neurose, speziell bei der Zwangsneurose, die wir in erster Linie zum Vergleich heranziehen, sehr gewöhnlich. Ihre Herkunft ist uns sehr wohl verständlich geworden. Sie tritt überall dort auf, wo außer der vorherrschenden Zärtlichkeit eine gegensätzliche, aber unbewußte Strömung von Feindseligkeit besteht, also der typische Fall der ambivalenten Gefühlseinstellung realisiert ist. Dann wird die Feindseligkeit überschrieen durch eine übermäßige Steigerung der Zärtlichkeit, die sich als Ängstlichkeit äußert und die zwanghaft wird, weil sie sonst ihrer Aufgabe, die unbewußte Gegenströmung in der Verdrängung zu erhalten, nicht genügen würde. Jeder Psychoanalytiker hat es erfahren, mit welcher Sicherheit die ängstliche Überzärtlichkeit unter den unwahrscheinlichsten Verhältnissen, z. B. zwischen Mutter und Kind oder bei zärtlichen Eheleuten, diese Auflösung gestattet. Auf die Behandlung der privilegierten Personen angewendet, ergäbe sich die Einsicht, daß der Verehrung, ja Vergötterung derselben im Unbewußten eine intensive feindselige Strömung entgegensteht, daß also hier, wie wir es erwartet haben, die Situation der ambivalenten Gefühlseinstellung verwirklicht ist. Das Mißtrauen, welches als Beitrag zur Motivierung der Königstabu unabweisbar erscheint, wäre eine andere, direktere Äußerung derselben unbewußten Feindseligkeit. Ja, wir wären – infolge der Mannigfaltigkeit der Endausgänge eines solchen Konflikts bei verschiedenen Völkern – nicht um Beispiele verlegen, in denen uns der Nachweis einer solchen Feindseligkeit noch viel leichter fiele.»Die wilden Timmes von Sierra Leone«, hören wir bei Frazer[42 - Fußnote: Frazer (1911, 18), nach Zweifel und Moustier (1880).],»haben sich das Recht vorbehalten, ihren gewählten König am Abend vor seiner Krönung durchzuprügeln, und sie bedienen sich dieses konstitutionellen Vorrechtes mit solcher Gründlichkeit, daß der unglückliche Herrscher gelegentlich seine Erhebung auf den Thron um nicht lange Zeit überlebt, daher haben es sich die Großen des Volkes zur Regel gemacht, wenn sie einen Groll gegen einen bestimmten Mann haben, diesen zum König zu wählen. «Immerhin wird auch in solchen grellen Fällen die Feindseligkeit sich nicht als solche bekennen, sondern sich als Zeremoniell gebärden.

Ein anderes Stück im Verhalten der Primitiven gegen ihre Herrscher ruft die Erinnerung an einen Vorgang wach, der, in der Neurose allgemein verbreitet, in dem sogenannten Verfolgungswahn offen zutage tritt. Es wird hier die Bedeutung einer bestimmten Person außerordentlich erhöht, ihre Machtvollkommenheit ins Unwahrscheinliche gesteigert, um ihr desto eher die Verantwortlichkeit für alles Widrige, was dem Kranken widerfährt, aufladen zu können. Eigentlich verfahren ja die Wilden mit ihren Königen nicht anders, wenn sie ihnen die Macht über Regen und Sonnenschein, Wind und Wetter zuschreiben und sie dann absetzen oder töten, weil die Natur ihre Erwartungen auf eine gute Jagd oder eine reiche Ernte enttäuscht hat. Das Vorbild, welches der Paranoiker im Verfolgungswahn wiederherstellt, liegt im Verhältnis des Kindes zu seinem Vater. Dem Vater kommt eine derartige Machtfülle in der Vorstellung des Sohnes regelmäßig zu, und es zeigt sich, daß das Mißtrauen gegen den Vater mit seiner Hochschätzung innig verknüpft ist. Wenn der Paranoiker eine Person seiner Lebensbeziehungen zu seinem» Verfolger «ernennt, so hebt er sie damit in die Väterreihe, bringt sie unter die Bedingungen, die ihm gestatten, sie für alles Unglück seiner Empfindung verantwortlich zu machen. So mag uns diese zweite Analogie zwischen dem Wilden und dem Neurotiker die Einsicht ahnen lassen, wie vieles im Verhältnis des Wilden zu seinem Herrscher aus der infantilen Einstellung des Kindes zum Vater hervorgeht.

Den stärksten Anhaltspunkt für unsere Betrachtungsweise, welche die Tabuverbote mit neurotischen Symptomen vergleichen will, finden wir aber im Tabuzeremoniell selbst, dessen Bedeutung für die Stellung des Königtums vorhin erörtert wurde. Dieses Zeremoniell trägt seinen Doppelsinn und seine Herkunft von ambivalenten Tendenzen unverkennbar zur Schau, wenn wir nur annehmen wollen, daß es die Wirkungen, die es hervorbringt, auch von allem Anfang an beabsichtigt hat. Es zeichnet nicht nur die Könige aus und erhebt sie über alle gewöhnlichen Sterblichen, es macht ihnen auch das Leben zur Qual und zur unerträglichen Bürde und zwingt sie in eine Knechtschaft, die weit ärger ist als die ihrer Untertanen. Es erscheint uns so als das richtige Gegenstück zur Zwangshandlung der Neurose, in der sich der unterdrückte Trieb und der ihn unterdrückende zur gleichzeitigen und gemeinsamen Befriedigung treffen. Die Zwangshandlung ist angeblich ein Schutz gegen die verbotene Handlung; wir möchten aber sagen, sie ist eigentlich die Wiederholung des Verbotenen. Das» angeblich «wendet sich hier der bewußten, das» eigentlich «der unbewußten Instanz des Seelenlebens zu. So ist auch das Tabuzeremoniell der Könige angeblich die höchste Ehrung und Sicherung derselben, eigentlich die Strafe für ihre Erhöhung, die Rache, welche die Untertanen an ihnen nehmen. Die Erfahrungen, die Sancho Pansa bei Cervantes als Gouverneur auf seiner Insel macht, haben ihn offenbar diese Auffassung des höfischen Zeremoniells als die einzig zutreffende erkennen lassen. Es ist sehr wohl möglich, daß wir weitere Zustimmungen zu hören bekämen, wenn wir Könige und Herrscher von heute zur Äußerung darüber veranlassen könnten.

Warum die Gefühlseinstellung gegen die Herrscher einen so mächtigen unbewußten Beitrag von Feindseligkeit enthalten sollte, ist ein sehr interessantes, aber die Grenzen dieser Arbeit überschreitendes Problem. Den Hinweis auf den infantilen Vaterkomplex haben wir bereits gegeben; fügen wir hinzu, daß die Verfolgung der Vorgeschichte des Königtums uns die entscheidenden Aufklärungen bringen müßte. Nach Frazers eindrucksvollen, aber nach eigenem Zugeständnis nicht ganz zwingenden Erörterungen waren die ersten Könige Fremde, die nach kurzer Herrschaft zum Opfertod bei feierlichen Festen als Repräsentanten der Gottheit bestimmt waren (Frazer, 1911.). Noch die Mythen des Christentums wären von der Nachwirkung dieser Entwicklungsgeschichte der Könige berührt.

c) Das Tabu der Toten

Wir wissen, daß die Toten mächtige Herrscher sind; wir werden vielleicht erstaunt sein zu erfahren, daß sie als Feinde betrachtet werden.

Das Tabu der Toten erweist, wenn wir auf dem Boden des Vergleiches mit der Infektion bleiben dürfen, bei den meisten primitiven Völkern eine besondere Virulenz. Es äußert sich zunächst in den Folgen, welche die Berührung des Toten nach sich zieht, und in der Behandlung der um den Toten Trauernden. Bei den Maori war jeder, der eine Leiche berührt oder an ihrer Grablegung teilgenommen hatte, aufs äußerste unrein und nahezu abgeschnitten von allem Verkehr mit seinen Mitmenschen, sozusagen boykottiert. Er konnte kein Haus betreten, keiner Person oder Sache nahe kommen, ohne sie mit der gleichen Eigenschaft anzustecken. Ja, er durfte nicht einmal Nahrung mit seinen Händen berühren, diese waren ihm durch ihre Unreinheit geradezu unbrauchbar geworden. Man stellte ihm das Essen auf den Boden hin, und ihm blieb nichts übrig, als sich dessen mit den Lippen und den Zähnen, so gut es eben ging, zu bemächtigen, während er seine Hände nach dem Rücken gebogen hielt. Gelegentlich war es erlaubt, daß eine andere Person ihn füttere, die es dann mit ausgestrecktem Arm tat, sorgsam, den Unseligen nicht selbst zu berühren, aber diese Hilfsperson war dann selbst Einschränkungen unterworfen, die nicht viel weniger drückend waren als die eigenen. Es gab wohl in jedem Dorf ein ganz verkommenes, von der Gesellschaft ausgestoßenes Individuum, das in der armseligsten Weise von spärlichen Almosen lebte. Diesem Wesen war es allein gestattet, sich auf Armeslänge dem zu nähern, der die letzte Pflicht gegen einen Verstorbenen erfüllt hatte. War aber dann die Zeit der Abschließung vorüber und durfte der durch die Leiche Verunreinigte sich wieder unter seine Genossen mengen, so wurde alles Geschirr, dessen er sich in der gefährlichen Zeit bedient hatte, zerschlagen und alles Zeug weggeworfen, mit dem er bekleidet gewesen war.

Die Tabugebräuche nach der körperlichen Berührung von Toten sind in ganz Polynesien, Melanesien und in einem Teil von Afrika die nämlichen; ihr konstantestes Stück ist das Verbot, Nahrung selbst zu berühren, und die sich daraus ergebende Notwendigkeit, von anderen gefüttert zu werden. Es ist bemerkenswert, daß in Polynesien oder vielleicht nur in Hawaii[43 - Fußnote: Frazer (loc. cit.).] Priesterkönige während der Ausübung heiliger Handlungen denselben Beschränkungen unterlagen. Bei den Tabu der Toten auf Tonga tritt die Abstufung und allmähliche Aufhebung der Verbote durch die eigene Tabukraft sehr deutlich hervor. Wer den Leichnam eines toten Häuptlings berührt hatte, war durch zehn Monate unrein; wenn er aber selbst ein Häuptling war, nur durch drei, vier oder fünf Monate, je nach dem Rang des Verstorbenen; aber wenn es sich um die Leiche des vergötterten Oberhäuptlings handelte, wurden selbst die größten Häuptlinge durch zehn Monate tabu. Die Wilden glauben fest daran, daß, wer solche Tabuvorschriften übertritt, schwer erkranken und sterben muß, so fest, daß sie nach der Meinung eines Beobachters noch niemals den Versuch gewagt haben, sich vom Gegenteil zu überzeugen[44 - Fußnote: Frazer (1911, 140), nach Mariner (1818).].

Im wesentlichen gleichartig, aber für unsere Zwecke interessanter sind die Tabubeschränkungen jener Personen, deren Berührung mit den Toten im übertragenen Sinne zu verstehen ist, der trauernden Angehörigen, der Witwer und Witwen. Sehen wir in den bisher erwähnten Vorschriften nur den typischen Ausdruck der Virulenz und der Ausbreitungsfähigkeit des Tabu, so schimmern in den nun mitzuteilenden die Motive der Tabu durch, und zwar sowohl die vorgeblichen als auch solche, die wir für die tiefliegenden, echten halten dürfen.

«Bei den Shuswap in Britisch-Kolumbia müssen Witwen und Witwer während ihrer Trauerzeit abgesondert leben; sie dürfen weder ihren eigenen Körper noch ihren Kopf mit ihren Händen berühren; alles Geschirr, dessen sie sich bedienen, ist dem Gebrauche anderer entzogen… Kein Jäger wird sich der Hütte, in welcher solche Trauernde wohnen, nähern wollen, denn das brächte ihm Unglück; wenn der Schatten eines Trauernden auf ihn fallen würde, müßte er erkranken. Die Trauernden schlafen auf Dornbüschen… und umgeben ihr Bett mit solchen. «Diese letztere Maßregel ist dazu bestimmt, den Geist des Verstorbenen fernzuhalten, und noch deutlicher ist wohl der von anderen nordamerikanischen Stämmen berichtete Gebrauch der Witwe, eine Zeitlang nach dem Tode des Mannes ein hosenartiges Kleidungsstück aus trockenem Gras zu tragen, um sich unzugänglich für die Annäherung des Geistes zu machen. So wird uns die Vorstellung nahegelegt, daß die Berührung» im übertragenen Sinne «doch nur als ein körperlicher Kontakt verstanden wird, da der Geist des Verstorbenen nicht von seinen Angehörigen weicht, nicht abläßt, sie während der Zeit der Trauer zu» umschweben«.

«Bei den Agutainos, die auf Palawan, einer der Philippinen, wohnen, darf eine Witwe ihre Hütte die ersten sieben oder acht Tage nach dem Todesfall nicht verlassen, es sei denn zur Nachtzeit, wenn sie Begegnungen nicht zu erwarten hat. Wer sie erschaut, gerät in Gefahr, augenblicklich zu sterben, und darum warnt sie selbst vor ihrer Annäherung, indem sie bei jedem Schritt mit einem hölzernen Stab gegen die Bäume schlägt; diese Bäume aber verdorren. «Worin die Gefährlichkeit einer solchen Witwe bestehen mag, wird uns durch eine andere Beobachtung erläutert.»Im Mekeobezirk von Britisch-Neuguinea wird ein Witwer aller bürgerlichen Rechte verlustig und lebt für eine Weile wie ein Ausgestoßener… Er darf keinen Garten bebauen, sich nicht öffentlich zeigen, das Dorf und die Straße nicht betreten. Er schleicht wie ein wildes Tier im hohen Gras oder im Gebüsch umher und muß sich im Dickicht verstecken, wenn er jemanden, besonders aber ein Weib, herannahen sieht. «Diese letztere Andeutung macht es uns leicht, die Gefährlichkeit des Witwers oder der Witwe auf die Gefahr der Versuchung zurückzuführen. Der Mann, der sein Weib verloren hat, soll dem Begehren nach einem Ersatz ausweichen; die Witwe hat mit demselben Wunsch zu kämpfen und mag überdies als herrenlos die Begehrlichkeit anderer Männer erwecken. Jede solche Ersatzbefriedigung läuft gegen den Sinn der Trauer; sie müßte den Zorn des Geistes auflodern lassen[45 - Fußnote: Dieselbe Kranke, deren» Unmöglichkeiten «ich oben mit den Tabu zusammengestellt habe, bekannte, daß sie jedesmal in Entrüstung gerate, wenn sie einer in Trauer gekleideten Person auf der Straße begegne. Solchen Leuten sollte das Ausgehen verboten sein!].

Einer der befremdendsten, aber auch lehrreichsten Tabugebräuche der Trauer bei den Primitiven ist das Verbot, den Namen des Verstorbenen auszusprechen. Es ist ungemein verbreitet, hat mannigfaltige Ausführungen erfahren und bedeutsame Konsequenzen gehabt.

Außer bei den Australiern und Polynesiern, welche uns die Tabugebräuche in ihrer besten Erhaltung zu zeigen pflegen, findet sich dieses Verbot» bei so entfernten und einander so fremden Völkern wie die Samojeden in Sibirien und die Todas in Südindien, die Mongolen der Tartarei und die Tuaregs der Sahara, die Aino in Japan und die Akamba und Nandi in Zentralafrika, die Tinguanen auf den Philippinen und die Einwohner der Nikobarischen Inseln, von Madagaskar und Borneo«. (Frazer, 1911, 353.) Bei einigen dieser Völker gilt das Verbot und die aus ihm sich ableitenden Folgen nur für die Zeit der Trauer, bei anderen bleibt es permanent, doch scheint es in allen Fällen mit der Entfernung vom Zeitpunkte des Todesfalles abzublassen.

Die Vermeidung des Namens des Verstorbenen wird in der Regel außerordentlich streng gehandhabt. So gilt es bei manchen südamerikanischen Stämmen als die schwerste Beleidigung der Überlebenden, den Namen des verstorbenen Angehörigen vor ihnen auszusprechen, und die darauf gesetzte Strafe ist nicht geringer als die für eine Mordtat selbst festgesetzte. (Ibid., 352.) Warum die Nennung des Namens so verabscheut werden sollte, ist zunächst nicht leicht zu erraten, aber die mit ihr verbundenen Gefahren haben eine ganze Reihe von Auskunftsmitteln entstehen lassen, die nach verschiedenen Richtungen interessant und bedeutungsvoll sind. So sind die Masai in Afrika auf die Ausflucht gekommen, den Namen des Verstorbenen unmittelbar nach seinem Tode zu ändern; er darf nun ohne Scheu mit dem neuen Namen erwähnt werden, während alle Verbote an den alten geknüpft bleiben. Es scheint dabei vorausgesetzt, daß der Geist seinen neuen Namen nicht kennt und nicht erfahren wird. Die australischen Stämme an der Adelaide und der Encounter Bay sind in ihrer Vorsicht so konsequent, daß nach einem Todesfall alle Personen ihre Namen gegen einen anderen vertauschen, welche ebenso oder sehr ähnlich geheißen haben wie der Verstorbene. Manchmal wird in weiterer Ausdehnung derselben Erwägung die Namensänderung nach einem Todesfall bei allen Angehörigen des Verstorbenen vorgenommen, ohne Rücksicht auf den Gleichklang der Namen, so bei einigen Stämmen in Victoria und in Nordwestamerika. Ja bei den Guaycurus in Paraguay pflegte der Häuptling bei so traurigem Anlaß allen Mitgliedern des Stammes neue Namen zu geben, die sie fortan erinnerten, als ob sie sie von jeher getragen hätten[46 - Fußnote: Frazer (1911, 357), nach einem alten spanischen Beobachter.].

Ferner, wenn der Name des Verstorbenen sich mit der Bezeichnung eines Tieres, Gegenstandes usw. gedeckt hatte, erschien es manchen unter den angeführten Völkern notwendig, auch diese Tiere und Objekte neu zu benennen, damit man beim Gebrauch dieser Worte nicht an den Verstorbenen erinnert werde. Daraus mußte sich eine nie zur Ruhe kommende Veränderung des Sprachschatzes ergeben, die den Missionären Schwierigkeiten genug bereitete, besonders wo die Namensverpönung eine permanente war. In den sieben Jahren, die der Missionär Dobrizhoffer bei den Abiponen in Paraguay verbrachte, wurde der Name für Jaguar dreimal abgeändert, und die Worte für Krokodil, Dornen und Tierschlachten hatten ähnliche Schicksale[47 - Fußnote: Frazer (1911, 360), nach Dobrizhoffer.]. Die Scheu, einen Namen auszusprechen, der einem Verstorbenen angehört hat, dehnt sich aber auch nach der Richtung hin aus, daß man alles zu erwähnen vermeidet, wobei dieser Verstorbene eine Rolle spielte, und als bedeutsame Folge dieses Unterdrückungsprozesses ergibt sich, daß diese Völker keine Tradition, keine historischen Reminiszenzen haben und einer Erforschung ihrer Vorgeschichte die größten Schwierigkeiten in den Weg legen. Bei einer Reihe dieser primitiven Völker haben sich aber auch kompensierende Gebräuche eingebürgert, um die Namen der Verstorbenen nach einer langen Zeit von Trauer wieder zu erwecken, indem man sie an Kinder verleiht, die als die Wiedergeburt der Toten betrachtet werden.

Das Befremdende dieses Namentabu ermäßigt sich, wenn wir daran gemahnt werden, daß für die Wilden der Name ein wesentliches Stück und ein wichtiger Besitz der Persönlichkeit ist, daß sie dem Worte volle Dingbedeutung zuschreiben. Dasselbe tun, wie ich an anderen Orten ausgeführt habe, unsere Kinder, die sich darum niemals mit der Annahme einer bedeutungslosen Wortähnlichkeit begnügen, sondern konsequent schließen, wenn zwei Dinge mit gleichklingenden Namen genannt werden, so müßte damit eine tiefgehende Übereinstimmung zwischen beiden bezeichnet sein. Auch der zivilisierte Erwachsene mag an manchen Besonderheiten seines Benehmens noch erraten, daß er von dem Voll- und Wichtignehmen der Eigennamen nicht so weit entfernt ist, wie er glaubt, und daß sein Name in einer ganz besonderen Art mit seiner Person verwachsen ist. Es stimmt dann hiezu, wenn die psychoanalytische Praxis vielfachen Anlaß findet, auf die Bedeutung der Namen in der unbewußten Denktätigkeit hinzuweisen[48 - Fußnote: Stekel, Abraham.].

Die Zwangsneurotiker benehmen sich dann, wie zu erwarten stand, in betreff der Namen ganz wie die Wilden. Sie zeigen die volle» Komplexempfindlichkeit «gegen das Aussprechen und Anhören bestimmter Worte und Namen (ähnlich wie auch andere Neurotiker), und leiten aus ihrer Behandlung des eigenen Namens eine gute Anzahl von oft schweren Hemmungen ab. Eine solche Tabukranke, die ich kannte, hatte die Vermeidung angenommen, ihren Namen niederzuschreiben, aus Angst, er könnte in jemandes Hand geraten, der damit in den Besitz eines Stückes von ihrer Persönlichkeit gekommen wäre. In der krampfhaften Treue, durch die sie sich gegen die Versuchungen ihrer Phantasie schützen mußte, hatte sie sich das Gebot geschaffen,»nichts von ihrer Person herzugeben«. Dazu gehörte zunächst der Name, in weiterer Ausdehnung die Handschrift, und darum gab sie schließlich das Schreiben auf.

So finden wir es nicht mehr auffällig, wenn von den Wilden der Name des Toten als ein Stück seiner Person gewertet und zum Gegenstand des den Toten betreffenden Tabu gemacht wird. Auch die Namensnennung des Toten läßt sich auf die Berührung mit ihm zurückführen, und wir dürfen uns dem umfassenderen Problem zuwenden, weshalb diese Berührung von so strengem Tabu betroffen ist.