Reinhard Ens | Bernd-Michael Hümer | Jörg Knies | Tobias Scheel
Unternehmensrecht
Zivilrecht, Arbeits-, Steuer- und Handwerksrecht
3., überarbeitete Auflage 2018
© 2018 by Holzmann Medien GmbH & Co. KG, 86825 Bad Wörishofen
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Diese Publikation wurde mit äußerster Sorgfalt bearbeitet, Verfasser und Verlag können für den Inhalt jedoch keine Gewähr übernehmen.
Lektorat: Achim Sacher, Holzmann Medien | Buchverlag
Herstellung: Markus Kratofil, Holzmann Medien | Buchverlag
Druck: Druckerei Steinmeier | Deiningen
Artikel-Nr. 1812.03
ISBN: 978-3-7783-1284-1
Vorwort der Herausgeber
Am 1. April 2011 ist die nach § 42 des Gesetzes zur Ordnung des Handwerks (HwO) erlassene bundesweite Verordnung über die Prüfung zum anerkannten Fortbildungsabschluss „Geprüfter Betriebswirt/Geprüfte Betriebswirtin nach der Handwerksordnung“ in Kraft getreten. Damit werden die bisherigen Regelungen bei den einzelnen Handwerkskammern durch eine bundeseinheitliche Rechtsverordnung ersetzt.
Gemäß den Intensionen des Zentralverbands des Deutschen Handwerks liegt das Ziel der neuen, bundeseinheitlichen Fortbildungsmaßnahme „… in der Vertiefung des betriebswirtschaftlich-strategischen Verständnisses der Unternehmensführung. Im Vergleich zu den bisherigen Kammerregelungen ist die bundeseinheitliche Verordnung stärker auf eine Reflexion komplexer wirtschaftlicher Zusammenhänge und auf die Entwicklung konkreter Unternehmensstrategien ausgerichtet“. Das heißt: Die Fortbildungsteilnehmer sollen vor allem noch besser befähigt werden,
• das Unternehmen als ein vernetztes System von kundenorientierten Geschäftsprozessen zu verstehen, zu gestalten, zu planen und zu steuern;
• ganzheitlich kundenorientierte Unternehmensstrategien zu entwickeln und
• diese in operativ erfolgreiche Produkte, Dienstleistungen und Maßnahmen innerhalb und außerhalb des Unternehmens gewinnwirksam umzusetzen.
Die hierzu erforderlichen Methoden-, Führungs- und Sozialkompetenzen sind Gegenstand dieser Fortbildungsmaßnahme und prägen Inhalt und Struktur des neuen Rahmenlehrplans, der unter Federführung des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks (ZDH), Berlin, erarbeitet wurde. Dem Expertengremium gehörten Vertreter von Handwerkskammern und dem Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) an. Der neue Rahmenlehrplan sichert bei der Fortbildung zum/r „Geprüfte/n Betriebswirt/in nach der HwO“ bundesweit vergleichbare Standards. Dies ist ein wichtiger Beitrag, die hohe Qualität der beruflichen Aufstiegsfortbildung in Handwerk und Mittelstand zu gewährleisten.
Die Prüfung zum „Geprüfter Betriebswirt/Geprüfte Betriebswirtin nach der HwO“ ist in die vier handlungsorientierten Prüfungsteile Unternehmensstrategie, Unternehmensführung, Personalmanagement und Innovationsmanagement gegliedert, deren Prüfungsinhalte von der Zentralstelle für die Weiterbildung im Handwerk e. V. (ZWH) in der „Information zur Umsetzung der Verordnung“ (November 2011) wie folgt umschrieben werden:
„Im Prüfungsteil Unternehmensstrategie geht es darum, dass die Prüfungsteilnehmer zeigen, dass sie volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Rahmenbedingungen im Hinblick auf die eigene Unternehmensstrategie erfassen und bewerten können. Außerdem sollen die künftigen Betriebswirte/-innen befähigt sein, rechtliche Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln und strategische Entscheidungen zu bewerten und zu berücksichtigen sowie eine geeignete Unternehmensstrategie zu entwickeln und zu planen.
Im Prüfungsteil Unternehmensführung soll die Unternehmensstrategie durch Maßnahmen der Unternehmensführung und -organisation sowie der Markt- und Kundenorientierung nachhaltig umgesetzt und durch die Gestaltung des Rechnungswesens die Finanzierung und Liquidität gesichert werden. Zudem soll die Wertschöpfung durch kontinuierliche Verbesserung der Geschäftsprozesse optimiert werden.
Die Prüfungsteilnehmer sollen im Prüfungsteil Personalmanagement nachweisen, dass sie mit Blick auf die Unternehmensstrategie eine nachhaltige und ethisch verantwortungsvolle Personalplanung und -gewinnungspolitik realisieren sowie Personalführung und -entwicklung entsprechend den individuellen und den Unternehmensinteressen motivierend gestalten können.
Eine komplexe betriebswirtschaftliche Problemstellung eines Unternehmens soll im Prüfungsteil Innovationsmanagement mit einem Lösungsentwurf (Projektarbeit) erarbeitet und präsentiert werden. Dabei sind Bezüge zur Unternehmensstrategie, die Auswirkungen auf die operative Unternehmensführung haben und einen Innovationsbedarf zur Umsetzung der Unternehmensstrategie beinhalten, darzustellen.
Damit wird deutlich, dass im Vergleich zur bisherigen Verordnung im bundesweiten Fortbildungsabschluss die Ausrichtung auf strategisches Handeln einen besonderen Stellenwert einnimmt, der in allen Prüfungsteilen zum Tragen kommt.“
Auf diese neuen, verstärkt handlungsorientierten Anforderungen sind auch die Lehr- und Lernunterlagen auszurichten. Daher haben Herausgeber und Verlag die vorliegende Schriftenreihe „Kompetenzen zum Erfolg“ konzipiert. Aufbau und Inhalt entsprechen den Vorgaben des Rahmenlehrplans und den oben dargestellten Prüfungsinhalten.
Die Lehr- und Lernbuchreihe „Kompetenzen zum Erfolg“ besteht aus zehn inhaltlich abgestimmten Bänden entsprechend den vier Prüfungsteilen der neuen Verordnung:
Band 1: Volkswirtschaft – Rahmenbedingungen für eine Unternehmensstrategie
Band 2: Unternehmensrecht – Zivilrecht, Arbeits-, Steuer- und Handwerksrecht
Band 3: Unternehmensstrategie – Instrumente und Methoden zur Strategieentwicklung
Band 4: Unternehmensführung und -organisation – Betriebliche Abläufe erfolgreich gestalten
Band 5: Unternehmensrechnung – Finanzwirtschaft, Jahresabschluss, Kostenrechnung
Band 6: Marketing und Kundenmanagement – Strategien und Instrumente erfolgreicher Kundengewinnung und Kundenpflege
Band 7: Wertschöpfung – Instrumente, Methoden und Analysen zur Prozessoptimierung
Band 8: Personalmanagement (Teil I) – Personal planen und gewinnen
Band 9: Personalmanagement (Teil II) – Personal führen und entwickeln
Band 10: Innovationsmanagement – Betriebliche Probleme strategisch lösen
Bei der inhaltlichen Gestaltung der einzelnen Bände wurde auf eine handlungsorientierte Wissensvermittlung sehr großer Wert gelegt. Daher ist fast ausnahmslos jedem Kapitel eine Handlungssituation (Fallbeispiel) vorangestellt, deren Probleme vom Lernenden anhand der darauffolgenden Ausführungen im Selbststudium oder unter Anleitung eines/r Dozenten/Dozentin gelöst werden können. Auch im Text sind zahlreiche problemorientierte Handlungssituationen eingebaut, zu deren Lösung sich der/die Lernende das erforderliche Problemlösungswissen erwerben und seine/ihre (Fach-)Kompetenz einsetzen muss. Zur Überprüfung der erworbenen Kompetenz wird jedes Kapitel mit einer umfassenden Handlungssituation/Fallstudie abgeschlossen, wobei auch hier die unternehmensstrategischen Aspekte besonders berücksichtigt wurden.
Ergänzend zu den Lehr- und Lernbüchern der Schriftenreihe werden den Dozenten/ Dozentinnen in den Handwerksakademien zusätzlich fachspezifische Unterlagen zur handlungsorientierten Unterrichtsgestaltung, zur Vertiefung der Wissensvermittlung und zur Verwendung in der Managementpraxis zur Verfügung gestellt. Das erleichtert die buchbezogene Vorbereitung und Gestaltung des Unterrichts, ohne die individuelle Schwerpunktbildung bei der Wissensvermittlung einzuschränken.
Die vorliegende Lehr- und Lernschriftenreihe „Kompetenzen zum Erfolg“ dient nicht nur einer bestmöglichen Vorbereitung auf die Prüfung „Geprüfter Betriebswirt/ Geprüfte Betriebswirtin nach der Handwerksordnung“. Sie ist auch ein sehr hilfreiches Handbuch und Nachschlagewerk für die täglichen Entscheidungssituationen in der Unternehmensführung – sei es als Unternehmer, Geschäftsführer oder als leitende Führungskraft in einem Handwerksunternehmen. Dabei sind die praxisbezogene Gestaltung der Abbildungen und Checklisten, Hervorhebungen und Marginalien sowie ein ausführliches Stichwortverzeichnis am Ende eines jeden Buches eine große Hilfe.
Bei der Arbeit mit der Lehrbuchreihe „Kompetenzen zum Erfolg“, bei der Vorbereitung auf die Prüfung und nicht zuletzt bei der Ablegung der Prüfung wünschen wir Ihnen viel Erfolg!
Die Herausgeber und
Holzmann Medien | Buchverlag
Vorwort der Autoren
Die Inhaber und Führungskräfte handwerklicher Betriebe sind ständig und in vielfältiger Weise gefordert, „ihren Mann bzw. ihre Frau zu stehen“. Dies ist umso herausfordernder, als die durchschnittliche Betriebsgröße bei unter zehn Mitarbeitern liegt. In größeren Unternehmen gibt es Spezialisten für unterschiedliche Fachbereiche. Im Handwerk ist das anders. Hier müssen sich die Verantwortlichen als Generalisten im Wirtschaftsleben täglich behaupten, um die Anforderungen an das Unternehmen zu bewältigen. Wie ist das zu schaffen?
Lebenslanges Lernen wird heutzutage vorausgesetzt. Hierbei darf den Inhabern und Führungskräften handwerklicher Betriebe auch das Recht „kein Buch mit sieben Siegeln“ mehr sein. Folglich hat das Bundesministerium für Bildung und Forschung in seiner Verordnung zum/r „Geprüften Betriebswirt/in nach der Handwerksordnung“ das Erfassen und Bewerten rechtlicher Rahmenbedingungen mit an die erste Stelle gesetzt. Hierdurch soll die Kompetenz erworben werden, die Entwicklung des Unternehmens strategisch zu planen, den Betrieb zu führen und die Unternehmensziele operativ umzusetzen. Der bundeseinheitliche Rahmenlehrplan hat dabei das Recht dem Prüfungsteil Unternehmensstrategie zugeordnet und so ein klares Zeichen gesetzt.
Die drei Kompetenzvorgaben des Rahmenlehrplans zur Bewertung rechtlicher Rahmenbedingungen sind:
1. geltendes nationales und europäische Recht erfassen und bewerten,
2. Möglichkeiten der Rechtsanwendung für strategische Entscheidungen aufzeigen und bewerten,
3. Auswirkungen von Veränderungen der rechtlichen Rahmenbedingungen für die Unternehmensstrategie berücksichtigen.
In den vier Teilen „Zivilrecht“, „Arbeitsrecht“, „Steuerrecht“ sowie „Handwerks- und Gewerberecht“ sind in diesem Lehrbuch zahlreiche praktische Fallbeispiele („Handlungssituationen“) mit eingebaut. Diese bilden die Brücke zwischen dem zu vermittelnden theoretischen Wissen und der betrieblichen Praxis. Auf diese Weise werden die Absolventinnen und Absolventen des anerkannten Fortbildungsabschlusses zum/r „Geprüften Betriebswirt/in nach der Handwerksordnung“ befähigt, ihre vielfältigen Aufgaben im Unternehmen mit fachlichem Wissen sowie mit Methoden-, Führungs- und Sozialkompetenz wahrzunehmen.
Wir wünschen allen Leserinnen und Lesern dieses Buches viel Freude bei der Lektüre und einen möglichst großen Erkenntnisgewinn. Möge dieser die Basis für den erfolgreichen Abschluss zum „Geprüfte/n Betriebswirt/in nach der Handwerksordnung“ werden.
Stuttgart, im Februar 2018
Reinhard Ens | Bernd-Michael Hümer | Jörg Knies | Tobias Scheel
I. Zivilrecht
Verf.: Tobias Scheel
1.Grundsätzliches zum Zivilrecht
1.1Lernziele und Kompetenzen
Grundlagen des Zivilrechts
Die nachfolgenden Ausführungen haben zum Ziel, angehenden „Geprüften Betriebswirten/-innen nach der Handwerksordnung“ ein Grundwissen im Zivilrecht zu vermitteln. Der Prüfling soll dadurch in die Lage versetzt werden, privatrechtliche Sachverhalte für das unternehmerische Handeln bewerten und ihre Konsequenzen in die unternehmerische Entscheidungsfindung mit einbeziehen zu können.
Die maßgeblichen theoretischen Qualifikationsinhalte bestehen im Schwerpunkt aus dem Bürgerlichen Recht (Allgemeiner Teil des BGB, vertragliche und gesetzliche Schuldverhältnisse, Sachenrecht), daneben dem Familien- und Erbrecht, dem Handels- und Gesellschaftsrecht sowie dem Zivilprozessrecht (einschließlich der Insolvenz des Schuldners). Diese Qualifikationsinhalte werden durch zahlreiche Handlungssituationen (Fallbeispiele) veranschaulicht, in denen die häufig abstrakten Darstellungen auf konkrete Lebenssachverhalte zugeschnitten sind. Hierdurch wird der Praxisbezug rechtlicher Rahmenbedingungen für das unternehmerische Handeln deutlich.
1.2Juristische Falllösungstechnik
Technik der Falllösung
Bevor die Ausführungen zu den rechtlichen Qualifikationsinhalten beginnen können, bedarf es zunächst einer Einführung in die juristische Falllösungsmethode. Denn die Aufgabe des Prüfungskandidaten besteht nicht darin, theoretisches Wissen auswendig zu lernen, sondern vielmehr, konkrete Fälle zu lösen. Hierfür ist das Gesetz aber das notwendige „Handwerkzeug“, weshalb die Lektüre der angegebenen Rechtsvorschriften zwingend ist.
Juristische Falllösungsmethode bedeutet, dass ein Lebenssachverhalt nicht vom Resultat her, sondern zunächst ergebnisoffen geprüft wird. Hierbei wird der sog. Gutachtenstil angewandt. Bei diesem nähert man sich dem Ergebnis einer Falllösung durch eine im Fragenstil gehaltene Formulierungstechnik („Fraglich ist, ob …“, „Problematisch ist, inwieweit …“).
Bei der Lösung zivilrechtlicher Fälle geht es inhaltlich i. d. R. um Anspruchsverhältnisse, also um die Frage, ob eine Person von einer anderen ein bestimmtes Tun oder Unterlassen verlangen kann (vgl. § 194 Abs. 1 BGB). Die Lösung eines Falles beginnt mit der Formulierung des Obersatzes, an dessen Ende eine Rechtsnorm steht, die die gewünschte Rechtsfolge in einer abstrakten Formulierung enthält (sog. Anspruchsgrundlage).
Beispiel: Zu prüfen ist der Anspruch des A gegen B auf Zahlung des Kaufpreises gemäß § 433 Abs. 2 BGB.
Kurzformel
Wer (Anspruchssteller) von wem (Anspruchsgegner) was (Rechtsfolge) woraus (Anspruchsgrundlage)?
Für eine juristische Falllösung bietet sich damit folgende Vorgehensweise an:
•Ermitteln der gewünschten Rechtsfolge und Auffinden der Rechtsnorm, die sie anordnet (Obersatzbildung)
•Herausarbeiten der Voraussetzungen der Rechtsnorm (ggf. mit Definitionen)
•Subsumtion (= Unterordnung) des Sachverhalts unter die Voraussetzungen der Rechtsnorm.
Diese juristische Falllösungstechnik wird nachfolgend bei den Lösungen der verschiedenen Handlungssituationen verdeutlicht.
1.3Methodische Grundlagen für den Umgang mit Gesetzen
Auslegung von Gesetzen
Ein Problem beim Umgang mit Rechtsnormen ist der hohe Abstraktionsgrad vieler Gesetze und die zum Teil veraltete Rechtssprache (das BGB ist in seiner Ursprungsfassung bereits im Jahre 1900 in Kraft getreten). Die vom Gesetzgeber verwendeten Rechtsbegriffe erschließen sich deshalb häufig nicht auf Anhieb. Sie sind vielmehr auslegungsfähig und auslegungsbedürftig. Dies führt oft zu einer gewissen Ergebnisunsicherheit bei der Rechtsanwendung.
Beispiel
•„Treu und Glauben“ (§ 242 BGB); „gute Sitten“ (§ 138 BGB).
Bei der Auslegung von Gesetzesbegriffen helfen vereinzelt sog. Legaldefinitionen weiter. Hierbei handelt es sich um besonders wichtige Rechtsbegriffe, die der Gesetzgeber selbst definiert hat. Zu erkennen sind Legaldefinitionen daran, dass der maßgebliche Gesetzesbegriff in Klammern steht. Die Worte vor der Klammer sind dann seine Definition.
Beispiel
•„Unverzüglich“ (§ 121 Abs. 1 S. 1 BGB) bedeutet in der Rechtssprache „ohne schuldhaftes Zögern“ (und nicht „sofort“).
Ferner ist bei der Gesetzanwendung die sog. Klammertechnik zu beachten. Dies bedeutet, dass generelle Bestimmungen „vor die Klammer“ gezogen und damit allgemein verbindlich geregelt werden. So erspart sich der Gesetzgeber unnötige Mehrfachregelungen (Gesetzesökonomie). Dies ist der Grund dafür, dass die klassischen Gesetze des deutschen Privatrechts (BGB, HGB) – gemessen an ihrem Inhalt – eher kurz sind.
Beispiel
•Die Vorschriften über das Zustandekommen von Verträgen im 1. Buch des BGB gelten auch für Verträge im Familien-, Erb- und Gesellschaftsrecht.
Des Weiteren verwendet der Gesetzgeber oftmals die Verweisungstechnik, indem er in einer Rechtsvorschrift auf die Voraussetzungen bzw. Rechtsfolgen einer anderen Norm verweist. Dies dient ebenfalls der Gesetzesökonomie.
Beispiel
•§ 437 BGB (bitte lesen – wenngleich bei erster Lektüre kaum verständlich). Die Rechte des Käufers bei Mängeln der Kaufsache (Nacherfüllung, Rücktritt, Minderung, Schadensersatz, Aufwendungsersatz) ergeben sich also nicht aus der Anspruchsgrundlage des § 437 BGB selbst, sondern aus den zahlreichen Normen, auf die verwiesen wird (§§ 439, 440, 323, 326 Abs. 5, 441, 280, 281, 283, 311a, 284 BGB).
1.4Stellung des Privatrechts in der Gesamtrechtsordnung
Privatrecht und Öffentliches Recht
Das Privatrecht ist nur ein Teil der Gesamtrechtsordnung in Deutschland. Es ist derjenige Teil, der die Rechtsbeziehungen von gleichgeordneten Rechtssubjekten zueinander regelt. Es bestimmt also darüber, wie und in welchem Verhältnis privatrechtliche Personen zueinander stehen und welche Rechte und Pflichten ihnen gegenseitig zugewiesen sind.
Beispiel
•Abschluss eines Kaufvertrags zwischen zwei Privatleuten.
Das öffentliche Recht behandelt hingegen die Rechtsverhältnisse staatlicher Einrichtungen untereinander bzw. die Rechtsbeziehungen des Staates zum Bürger. Es wird also i. d. R. von einem Über-/Unterordnungsverhältnis geprägt.
Beispiel
•Erteilung einer Baugenehmigung durch die Baubehörde.
1.5Prinzipien des Privatrechts
Privatautonomie und Vertragsfreiheit
Das Privatrecht basiert auf dem Grundsatz der Privatautonomie. Diese bedeutet die Freiheit des Einzelnen, seine Rechtsverhältnisse nach eigenem Willen gestalten zu können. Hierzu zählt die prinzipielle Freiheit, Verträge abzuschließen (Vertragsfreiheit) – und zwar mit wem man will (Abschlussfreiheit) und worüber man will (Inhaltsfreiheit).
Nur ausnahmsweise beschränkt der Gesetzgeber die vertragliche Abschlussfreiheit. So gibt es vereinzelt bei marktbeherrschenden Anbietern im Bereich der Daseinsvorsorge einen sog. Kontrahierungszwang, durch den ein Unternehmen gesetzlich verpflichtet wird, mit potenziellen Kunden einen Vertrag abzuschließen.
Beispiel
•§ 36 Energiewirtschaftsgesetz für die Elektrizitäts- und Gasversorgung der Bevölkerung.
Häufiger wird hingegen die Inhaltsfreiheit vom Gesetzgeber beschränkt. Insbesondere wird solchen Verträgen die Rechtsgültigkeit versagt, die gegen gesetzliche Verbote (§ 134 BGB) oder die guten Sitten verstoßen (§ 138 BGB).
Beispiele
•Drogenkauf, Wucherzinsen.
2.Bürgerliches Recht
Aufbau des BGB
Das Bürgerliche Recht nach dem BGB stellt den Kern des Privatrechts dar. Nahezu alle anderen Gebiete des Privatrechts schließen sich an das Bürgerliche Recht an und bauen auf dessen Grundregeln auf. Das BGB ist in fünf Bücher gegliedert: Allgemeiner Teil (1. Buch), Recht der Schuldverhältnisse (2. Buch), Sachenrecht (3. Buch), Familienrecht (4. Buch) und Erbrecht (5. Buch). Diese Rechtsgebiete werden im Folgenden in ihren Grundzügen handlungsorientiert dargestellt.
2.1Allgemeiner Teil des BGB
Im Allgemeinen Teil des BGB befinden sich v. a. Regelungen über Rechtsgeschäfte sowie zum Zustandekommen von Verträgen.
Handlungssituation (Fallbeispiel 1)Der 23-jährige Heinrich (H) möchte den Titel „Geprüfte/r Betriebswirt/in nach der Handwerksordnung“ erlangen. Zu Beginn seiner Fortbildung überlegt er, sich die erforderlichen Lehrbücher aus dem Verlag „Handwerkswissen“ anzuschaffen. H füllt deshalb schon einmal die Bestellpostkarte des Verlags aus, wartet aber noch mit dem Absenden, da er erst seine Eltern fragen will, ob sie eventuell einen Teil der Kosten übernehmen. Sein WG-Mitbewohner sieht die Karte auf dem Küchentisch liegen, will H einen Gefallen tun und schickt sie ab.
Muss H die vom Verlag „Handwerkswissen“ angelieferten Bücher abnehmen und bezahlen? (Lösung Seite 23)
2.1.1Das Rechtsgeschäft
Rechtsgeschäfte und Willenserklärungen
Eine privatrechtliche Person gestaltet ihre Rechtsbeziehungen zu anderen Privatrechtssubjekten durch sog. Rechtsgeschäfte. Rechtsgeschäfte können einseitig (z. B. Testament, Kündigung), aber auch mehrseitig (v. a. Verträge) sein. Die Basis eines Rechtsgeschäfts ist in jedem Fall eine sog. Willenserklärung. Hierunter versteht man eine Äußerung, die auf die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges gerichtet ist.
2.1.2Elemente einer Willenserklärung
Tatbestand einer Willenserklärung
Eine Willenserklärung setzt sich aus einem äußeren (objektiven) Tatbestand und einem inneren (subjektiven) Tatbestand zusammen. Der objektive Tatbestand der Willenserklärung ist das Kundtun einer Erklärung nach außen. Diese erfolgt im Idealfall ausdrücklich und damit eindeutig.
Beispiel: „Hiermit mache ich Ihnen den Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags.“
Ebenso rechtswirksam wie eine ausdrückliche ist aber auch eine nur durch schlüssiges Verhalten (konkludent) abgegebene Willenserklärung.
Beispiel: Zeigen mit dem Finger auf einen Gegenstand, Nicken mit dem Kopf.
Bei Unklarheiten, wie eine konkludent abgegebene Erklärung zu verstehen ist, kommt es für die Auslegung grundsätzlich nicht auf den inneren Willen des Erklärenden, sondern auf den objektiven Empfängerhorizont unter Beachtung der jeweiligen Verkehrssitten an (§§ 133, 157 BGB). Dies dient der Rechtssicherheit und damit dem Schutz des Rechtsverkehrs.
Beispiel: Das Heben der Hand bedeutet nach der Verkehrssitte bei einer Versteigerung die Abgabe eines Vertragsangebots. Dies gilt auch dann, wenn der Betroffene nur seinem Freund zuwinken wollte („Trierer Weinversteigerungsfall“, siehe unten).
Bloßes Schweigen hat i. d. R. keinen rechtsgeschäftlichen Erklärungswert. Etwas anderes gilt nur, wenn Abweichendes vereinbart wurde (Vertragsfreiheit), eine gesetzlicher Ausnahmefall greift (z. B. § 108 Abs. 2 S. 2 BGB) oder eine Sonderregelung des Handelsrechts einschlägig ist (z. B. § 346 HGB beim sog. Kaufmännischen Bestätigungsschreiben).
Der subjektive Tatbestand einer Willenserklärung meint das Wollen der Erklärung. Notwendiger subjektiver Bestandteil einer Willenserklärung ist aber nur der Handlungswille. Hierunter versteht man den Willen, überhaupt etwas bewusst zu machen. Der Handlungswille fehlt z. B. bei Erklärungen unter Hypnose. Mangelt es hingegen nur am Geschäftswillen – also dem Willen, das Geschäft so durchzuführen, wie es der Erklärungsempfänger nach dem objektiven Empfängerhorizont verstehen musste –, liegt dennoch eine Willenserklärung vor. Möglicherweise kann der Erklärende seine Willenserklärung dann aber nach den §§ 119 ff. BGB wegen Irrtums anfechten.
Beispiel: Beim „Trierer Weinversteigerungsfall“ liegt ein wirksames Vertragsangebot vor, das aber analog § 119 Abs. 1 BGB angefochten werden kann.