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Im Westen nichts Neues / На Западном фронте без перемен. Книга для чтения на немецком языке
Im Westen nichts Neues / На Западном фронте без перемен. Книга для чтения на немецком языке
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Im Westen nichts Neues / На Западном фронте без перемен. Книга для чтения на немецком языке

Dann guckte er in den Kessel. »Die Bohnen scheinen gut zu sein.«

Die Tomate nickte. »Mit Fett und Fleisch gekocht.« Der Leutnant sah uns an. Er wusste, was wir dachten. Auch sonst wusste er noch manches, denn er war zwischen uns groß geworden und als Unteroffizier zur Kompanie gekommen. Er hob den Deckel noch einmal vom Kessel und schnupperte. Im Weggehen sagte er: »Bringt mir auch einen Teller voll. Und die Portionen werden alle verteilt. Wir können sie brauchen.«

Die Tomate machte ein dummes Gesicht. Tjaden tanzte um sie herum.

»Das schadet dir gar nichts! Als ob ihm das Proviantamt gehört, so tut er. Und nun fang an, du alter Speckjäger*, und verzähle dich nicht – «

»Häng dich auf!« fauchte die Tomate. Sie war geplatzt*, so etwas ging ihr gegen den Verstand. Sie begriff die Welt nicht mehr. Und als wollte sie zeigen, dass nun schon alles egal sei, verteilte sie pro Kopf freiwillig noch ein halbes Pfund Kunsthonig.

* * *

Der Tag ist wirklich gut heute. Sogar Post ist da, fast jeder hat ein paar Briefe und Zeitungen. Nun schlendern wir zu der Wiese hinter den Baracken hinüber. Kropp hat den runden Deckel eines Margarinefasses unterm Arm.

Am rechten Rande der Wiese ist eine große Massenlatrine* erbaut, ein überdachtes, stabiles Gebäude. Doch das ist was für Rekruten, die noch nicht gelernt haben, aus jeder Sache Vorteil zu ziehen. Wir suchen etwas Besseres. Überall verstreut stehen nämlich noch kleine Einzelkästen für denselben Zweck. Sie sind viereckig, sauber, ganz aus Holz getischlert, rundum geschlossen, mit einem tadellosen, bequemen Sitz. An den Seitenflächen befinden sich Handgriffe, so dass man sie transportieren kann.

Wir rücken drei im Kreise zusammen und nehmen gemütlich Platz. Vor zwei Stunden werden wir hier nicht wieder aufstehen.

Ich weiß noch, wie wir uns anfangs genierten als Rekruten in der Kaserne, wenn wir die Gemeinschafts-latrine benutzen mussten. Türen gibt es da nicht, es sitzen zwanzig Mann nebeneinander wie in der Eisenbahn. Sie sind mit einem Blick zu übersehen; – der Soldat soll eben ständig unter Aufsicht sein.

Wir haben inzwischen mehr gelernt, als das bisschen Scham zu überwinden. Mit der Zeit wurde uns noch ganz anderes geläufig.

Hier draußen ist die Sache aber geradezu ein Genuss. Ich weiß nicht mehr, weshalb wir früher an diesen Dingen immer scheu vorbeigehen mussten, sie sind ja ebenso natürlich wie Essen und Trinken. Und man brauchte sich vielleicht auch nicht besonders darüber zu äußern, wenn sie nicht so eine wesentliche Rolle bei uns spielten und gerade uns neu gewesen wären – den übrigen waren sie längst selbstverständlich.

Dem Soldaten ist sein Magen und seine Verdauung* ein vertrauteres Gebiet als jedem anderen Menschen. Drei Viertel seines Wortschatzes sind ihm entnommen, und sowohl der Ausdruck höchster Freude als auch der tiefster Entrüstung* findet hier seine kernige Untermalung. Es ist unmöglich, sich auf eine andere Art so knapp und klar zu äußern. Unsere Familien und unsere Lehrer werden sich schön wundern, wenn wir nach Hause kommen, aber es ist hier nun einmal die Universalsprache.

Für uns haben diese ganzen Vorgänge den Charakter der Unschuld wiedererhalten durch ihre zwangsmäßige Öffentlichkeit. Mehr noch: sie sind uns so selbstverständlich, dass ihre gemütliche Erledigung ebenso gewertet wird wie meinetwegen ein schön durchgeführter, bombensicherer Grand ohne viere. Nicht umsonst ist für Geschwätz aller Art das Wort »Latrinenparole« entstanden; diese Orte sind die Klatschecken und der Stammtischersatz beim Kommiss.

Wir fühlen uns augenblicklich wohler als im noch so weiß gekachelten Luxuslokus. Dort kann es nur hygienisch sein; hier aber ist es schön.

Es sind wunderbar gedankenlose Stunden. Über uns steht der blaue Himmel. Am Horizont hängen hellbestrahlte gelbe Fesselballons und die weißen Wölkchen der Flakgeschosse*. Manchmal schnellen sie wie eine Garbe* hoch, wenn sie einen Flieger verfolgen.

Nur wie ein sehr fernes Gewitter hören wir das gedämpfte Brummen der Front. Hummeln, die vorübersummen, übertönen es schon.

Und rund um uns liegt die blühende Wiese. Die zarten Rispen der Gräser wiegen sich, Kohlweißlinge taumeln heran, sie schweben im weichen, warmen Wind des Spätsommers, wir lesen Briefe und Zeitungen und rauchen, wir setzen die Mützen ab und legen sie neben uns, der Wind spielt mit unseren Haaren, er spielt mit unseren Worten und Gedanken.

Die drei Kästen stehen mitten im leuchtenden, roten Klatschmohn. —

Wir legen den Deckel des Margarinefasses auf unsere Knie. So haben wir eine gute Unterlage zum Skatspielen*. Kropp hat die Karten bei sich. Nach jedem Nullouvert* wird eine Partie Schieberamsch* eingelegt. Man könnte ewig so sitzen.

Die Töne einer Ziehharmonika klingen von den Baracken her. Manchmal legen wir die Karten hin und sehen uns an. Einer sagt dann: »Kinder, Kinder – «, oder: »Das hätte schiefgehen können – «, und wir versinken einen Augenblick in Schweigen. In uns ist ein starkes, verhaltenes Gefühl, jeder spürt es, das braucht nicht viele Worte. Leicht hätte es sein können, dass wir heute nicht auf unsern Kästen säßen, es war verdammt nahe daran. Und darum ist alles neu und stark – der rote Mohn und das gute Essen, die Zigaretten und der Sommerwind.

Kropp fragt: »Hat einer von euch Kemmerich noch mal gesehen?«

»Er liegt in St. Joseph«, sage ich.

Müller meint, er habe einen Oberschenkeldurchschuss, einen guten Heimatpass.

Wir beschließen, ihn nachmittags zu besuchen.

Kropp holt einen Brief hervor. »Ich soll euch grüßen von Kantorek.«

Wir lachen. Müller wirft seine Zigarette weg und sagt: »Ich wollte, der wäre hier.«

* * *

Kantorek war unser Klassenlehrer, ein strenger, kleiner Mann in grauem Schoßrock, mit einem Spitzmausgesicht. Er hatte ungefähr dieselbe Statur wie der Unteroffizier Himmelstoß, der »Schrecken des Klosterberges«. Es ist übrigens komisch, dass das Unglück der Welt so oft von kleinen Leuten herrührt, sie sind viel energischer und unverträglicher als großgewachsene. Ich habe mich stets gehütet, in Abteilungen mit kleinen Kompanieführern zu geraten; es sind meistens verfluchte Schinder*.

Kantorek hielt uns in den Turnstunden so lange Vorträge, bis unsere Klasse unter seiner Führung geschlossen zum Bezirkskommando zog und sich meldete. Ich sehe ihn noch vor mir, wie er uns durch seine Brillengläser anfunkelte und mit ergriffener Stimme fragte: »Ihr geht doch mit, Kameraden?«

Diese Erzieher haben ihr Gefühl so oft in der Westentasche parat*; sie geben es ja auch stundenweise aus. Doch darüber machten wir uns damals noch keine Gedanken.

Einer von uns allerdings zögerte und wollte nicht recht mit. Das war Josef Behm, ein dicker, gemütlicher Bursche. Er ließ sich dann aber überreden, er hätte sich auch sonst unmöglich gemacht. Vielleicht dachten noch mehrere so wie er; aber es konnte sich niemand gut ausschließen, denn mit dem Wort »feige« waren um diese Zeit sogar Eltern rasch bei der Hand. Die Menschen hatten eben alle keine Ahnung von dem, was kam. Am vernünftigsten waren eigentlich die armen und einfachen Leute; sie hielten den Krieg gleich für ein Unglück, während die bessergestellten vor Freude nicht aus noch ein wussten, obschon gerade sie sich über die Folgen viel eher hätten klarwerden können.

Katczinsky behauptet, das käme von der Bildung, sie mache dämlich. Und was Kat sagt, das hat er sich überlegt.

Sonderbarerweise war Behm einer der ersten, die fielen. Er erhielt bei einem Sturm einen Schuss in die Augen, und wir ließen ihn für tot liegen. Mitnehmen konnten wir ihn nicht, weil wir überstürzt zurück mussten. Nachmittags hörten wir ihn plötzlich rufen und sahen ihn draußen herumkriechen. Er war nur bewusstlos gewesen. Weil er nichts sah und wild vor Schmerzen war, nutzte er keine Deckung aus, so dass er von drüben abgeschossen wurde, ehe jemand herankam, um ihn zu holen.

Man kann Kantorek natürlich nicht damit in Zusammenhang bringen; – wo bliebe die Welt sonst, wenn man das schon Schuld nennen wollte. Es gab ja Tausende von Kantoreks, die alle überzeugt waren, auf eine für sie bequeme Weise das Beste zu tun.

Darin liegt aber gerade für uns ihr Bankerott.

Sie sollten uns Achtzehnjährigen Vermittler und Führer zur Welt des Erwachsenseins werden, zur Welt der Arbeit, der Pflicht, der Kultur und des Fortschritts, zur Zukunft. Wir verspotteten sie manchmal und spielten ihnen Meine Streiche, aber im Grunde glaubten wir ihnen. Mit dem Begriff der Autorität, dessen Träger sie waren, verband sich in unseren Gedanken größere Einsicht und menschlicheres Wissen. Doch der erste Tote, den wir sahen, zertrümmerte diese Überzeugung. Wir mussten erkennen, dass unser Alter ehrlicher war als das ihre; sie hatten vor uns nur die Phrase und die Geschicklichkeit voraus. Das erste Trommelfeuer zeigte uns unseren Irrtum, und unter ihm stürzte die Weltanschauung zusammen, die sie uns gelehrt hatten.

Während sie noch schrieben und redeten, sahen wir Lazarette und Sterbende; – während sie den Dienst am Staate als das Größte bezeichneten, wussten wir bereits, dass die Todesangst stärker ist. Wir wurden darum keine Meuterer, keine Deserteure, keine Feiglinge – alle diese Ausdrücke waren ihnen ja so leicht zur Hand – , wir liebten unsere Heimat genauso wie sie, und wir gingen bei jedem Angriff mutig vor; – aber wir unterschieden jetzt, wir hatten mit einem Male sehen gelernt. Und wir sahen, dass nichts von ihrer Welt übrig blieb. Wir waren plötzlich auf furchtbare Weise allein; – und wir mussten allein damit fertig werden.

* * *

Bevor wir zu Kemmerich aufbrechen, packen wir seine Sachen ein; er wird sie unterwegs gut brauchen können.

Im Feldlazarett ist großer Betrieb*; es riecht wie immer nach Karbol, Eiter* und Schweiß. Man ist aus den Baracken manches gewohnt, aber hier kann einem doch flau* werden. Wir fragen uns nach Kemmerich durch; er liegt in einem Saal und empfängt uns mit einem schwachen Ausdruck von Freude und hilfloser Aufregung. Während er bewusstlos war, hat man ihm seine Uhr gestohlen.

Müller schüttelt den Kopf: »Ich habe dir ja immer gesagt, dass man eine so gute Uhr nicht mitnimmt.«

Müller ist etwas tapsig und rechthaberisch. Sonst würde er den Mund halten, denn jeder sieht, dass Kemmerich nicht mehr aus diesem Saal herauskommt. Ob er seine Uhr wiederfindet, ist ganz egal, höchstens, dass man sie nach Hause schicken könnte.

»Wie geht’s denn, Franz?« fragt Kropp.

Kemmerich lässt den Kopf sinken. »Es geht ja – ich habe bloß so verfluchte Schmerzen im Fuß.«

Wir sehen auf seine Decke. Sein Bein liegt unter einem Drahtkorb, das Deckbett wölbt sich dick darüber. Ich trete Müller gegen das Schienbein, denn er brächte es fertig, Kemmerich zu sagen, was uns die Sanitäter draußen schon erzählt haben: dass Kemmerich keinen Fuß mehr hat. Das Bein ist amputiert.

Er sieht schrecklich aus, gelb und fahl, im Gesicht sind schon die fremden Linien, die wir so genau kennen, weil wir sie schon hundertmal gesehen haben. Es sind eigentlich keine Linien, es sind mehr Zeichen. Unter der Haut pulsiert kein Leben mehr; es ist bereits herausgedrängt bis an den Rand des Körpers, von innen arbeitet sich der Tod durch, die Augen beherrscht er schon. Dort liegt unser Kamerad Kemmerich, der mit uns vor kurzem noch Pferdefleisch gebraten und im Trichter* gehockt hat; – er ist es noch, und er ist es doch nicht mehr, verwaschen, unbestimmt ist sein Bild geworden, wie eine fotografische Platte, auf der zwei Aufnahmen gemacht worden sind. Selbst seine Stimme klingt wie Asche.

Ich denke daran, wie wir damals abfuhren. Seine Mutter, eine gute, dicke Frau, brachte ihn zum Bahnhof. Sie weinte ununterbrochen, ihr Gesicht war davon gedunsen und geschwollen. Kemmerich genierte sich deswegen, denn sie war am wenigsten gefasst von allen, sie zerfloss förmlich in Fett und Wasser. Dabei hatte sie es auf mich abgesehen, immer wieder ergriff sie meinen Arm und flehte mich an, auf Franz draußen achtzugeben. Er hatte allerdings auch ein Gesicht wie ein Kind und so weiche Knochen, dass er nach vier Wochen Tornistertragen* schon Plattfüße* bekam. Aber wie kann man im Felde auf jemand achtgeben!

»Du wirst ja nun nach Hause kommen«, sagt Kropp, »auf Urlaub hättest du mindestens noch drei, vier Monate warten müssen.«

Kemmerich nickt. Ich kann seine Hände nicht gut ansehen, sie sind wie Wachs. Unter den Nägeln sitzt der Schmutz des Grabens, er sieht blauschwarz aus wie Gift. Mir fällt ein, dass diese Nägel weiterwachsen werden, lange noch, gespenstische Kellergewächse, wenn Kemmerich längst nicht mehr atmet. Ich sehe das Bild vor mir: sie krümmen sich zu Korkenziehern und wachsen und wachsen, und mit ihnen die Haare auf dem zerfallenden Schädel, wie Gras auf gutem Boden, genau wie Gras, wie ist das nur möglich – ?