banner banner banner
Die Elixiere des Teufels / Эликсир дьявола. Книга для чтения на немецком языке
Die Elixiere des Teufels / Эликсир дьявола. Книга для чтения на немецком языке
Оценить:
 Рейтинг: 0

Die Elixiere des Teufels / Эликсир дьявола. Книга для чтения на немецком языке

Die Elixiere des Teufels / Эликсир дьявола. Книга для чтения на немецком языке
Ernst Theodor Amadeus Hoffmann

Чтение в оригинале (Каро)Klassische Literatur (Каро)
Эрнст Теодор Амадей Гофман (1776–1822) – немецкий писатель-романтик, композитор и художник.

В романе «Эликсир дьявола» (1815–16) – одном из наиболее известных в творчестве автора – тонкая философская ирония сочетается с причудливой фантазией, доходящей до мистического гротеска. Основа его сюжета – история монаха Медарда, который не может противостоять искушению отведать дьявольский эликсир, пробуждающий в герое низменные страсти и толкающий его на преступления.

Неадаптированный текст на языке оригинала снабжен постраничными комментариями и словарем.

Книга предназначена для широкого круга читателей, владеющих немецким языком, для старшеклассников, студентов вузов, а также может быть рекомендована лицам, самостоятельно изучающим немецкий язык.

В формате PDF A4 сохранен издательский макет книги.

Эрнст Теодор Амадей Гофман

Die Elixiere des Teufels / Эликсир дьявола. Книга для чтения на немецком языке

© КАРО, 2020

Nachgelassene Papiere[1 - nachgelassene Papiere – посмертные записки]des Bruders Medardus, eines Kapuziners[2 - Kapuzinerorden m [ital. cappuccino, zu: cappuccio „Kapuze“] – im frühen 16. Jh. nach den Regeln des hl. Franz v. Assisi gegründeter Orden]

Herausgegeben von dem Verfasser der Fantasiestücke in Callots Manier

Vorwort des Herausgebers

Gern möchte ich dich, günstiger Leser, unter jene dunkle Platanen führen, wo ich die seltsame Geschichte des Bruders Medardus zum ersten Male las. Du würdest dich mit mir auf dieselbe, in duftige Stauden und bunt glühende Blumen halb versteckte, steinerne Bank setzen; du würdest so wie ich recht sehnsüchtig nach den blauen Bergen schauen, die sich in wunderlichen Gebilden hinter dem sonnichten Tal auftürmen, das am Ende des Laubganges sich vor uns ausbreitet. Aber nun wendest du dich um und erblickest kaum zwanzig Schritte hinter uns ein gotisches Gebäude, dessen Portal reich mit Statüen verziert ist.

Durch die dunklen Zweige der Platanen schauen dich Heiligenbilder recht mit klaren lebendigen Augen an; es sind die frischen Freskogemälde, die auf der breiten Mauer prangen.

Die Sonne steht glutrot auf dem Gebirge, der Abendwind erhebt sich, überall Leben und Bewegung. Flüsternd und rauschend gehen wunderbare Stimmen durch Baum und Gebüsch: als würden sie steigend und steigend zu Gesang und Orgelklang, so tönt es von ferne herüber. Ernste Männer in weit gefalteten Gewändern wandeln, den frommen Blick emporgerichtet, schweigend durch die Laubgänge des Gartens. Sind denn die Heiligenbilder lebendig worden und herabgestiegen von den hohen Simsen?

Dich umwehen die geheimnisvollen Schauer der wunderbaren Sagen und Legenden, die dort abgebildet, dir ist, als geschähe alles vor deinen Augen, und willig magst du daran glauben. In dieser Stimmung liesest du die Geschichte des Medardus, und wohl magst du auch dann die sonderbaren Visionen des Mönchs für mehr halten als für das regellose Spiel der erhitzten Einbildungskraft.[3 - В таком настроении прочтешь ты историю Медарда и, скорее всего, примешь странные видения этого монаха не более чем за беспорядочную игру разгоряченного воображения.]

Da du, günstiger Leser, soeben Heiligenbilder, ein Kloster und Mönche geschaut hast, so darf ich kaum hinzufügen, dass es der herrliche Garten des Kapuzinerklosters in B. war, in den ich dich geführt hatte.

Als ich mich einst in diesem Kloster einige Tage aufhielt, zeigte mir der ehrwürdige Prior die von dem Bruder Medardus nachgelassene, im Archiv aufbewahrte Papiere als eine Merkwürdigkeit, und nur mit Mühe überwand ich des Priors Bedenken, sie mir mitzuteilen. Eigentlich, meinte der Alte, hätten diese Papiere verbrannt werden sollen.

Nicht ohne Furcht, du werdest des Priors Meinung sein, gebe ich dir, günstiger Leser, nun das aus jenen Papieren geformte Buch in die Hände. Entschließest du dich aber, mit dem Medardus, als seist du sein treuer Gefährte, durch finstre Kreuzgänge und Zellen… durch die bunte… bunteste Welt zu ziehen und mit ihm das Schauerliche, Entsetzliche, Tolle, Possenhafte seines Lebens zu ertragen, so wirst du dich vielleicht an den mannigfachen Bildern der Camera obscura[4 - Camera obscura /[lat. = dunkle Kammer] – innen geschwärzter Kasten, auf dessen transparenter Rückwand ein auf der Vorderseite befindliches Loch od. eine Sammellinse ein (auf dem Kopf stehendes, seitenverkehrtes) Bild erzeugt], die sich dir aufgetan, ergötzen.

Es kann auch kommen, dass das gestaltlos Scheinende, sowie du schärfer es ins Auge fassest, sich dir bald deutlich und rund darstellt. Du erkennst den verborgenen Keim, den ein dunkles Verhängnis gebar, und der, zur üppigen Pflanze emporgeschossen, fort und fort wuchert, in tausend Ranken, bis eine Blüte, zur Frucht reifend, allen Lebenssaft[5 - Lebenssaft m (dichter.) = Blut n] an sich zieht und den Keim selbst tötet.

Nachdem ich die Papiere des Kapuziners Medardus recht emsig durchgelesen[6 - Прилежно прочитав записки капуцина Медарда…], welches mir schwer genug wurde, da der Selige eine sehr kleine, unleserliche mönchische Handschrift geschrieben, war es mir auch, als könne das, was wir insgemein Traum und Einbildung nennen, wohl die symbolische Erkenntnis des geheimen Fadens sein, der sich durch unser Leben zieht, es festknüpfend in allen seinen Bedingungen, als sei der aber für verloren zu achten, der mit jener Erkenntnis die Kraft gewonnen glaubt, jenen Faden gewaltsam zu zerreißen und es aufzunehmen mit der dunklen Macht, die über uns gebietet.

Vielleicht geht es dir, günstiger Leser, wie mir, und das wünschte ich denn aus erheblichen Gründen recht herzlich.

Erster Teil

Erster Abschnitt

Die Jahre der Kindheit und das Klosterleben

Nie hat mir meine Mutter gesagt, in welchen Verhältnissen mein Vater in der Welt lebte; rufe ich mir aber alles das ins Gedächtnis zurück, was sie mir schon in meiner frühesten Jugend von ihm erzählte, so muß ich wohl glauben, dass es ein mit tiefen Kenntnissen begabter lebenskluger[7 - lebensklug ‹Adj.› = klug u. erfahren in den Dingen des praktischen Lebens] Mann war. Eben aus diesen Erzählungen und einzelnen Äußerungen meiner Mutter über ihr früheres Leben, die mir erst später verständlich worden, weiß ich, dass meine Eltern von einem bequemen Leben, welches sie im Besitz vieles Reichtums führten, herabsanken in die drückendste bitterste Armut, und dass mein Vater, einst durch den Satan verlockt zum verruchten Frevel, eine Todsünde beging, die er, als ihn in späten Jahren die Gnade Gottes erleuchtete, abbüßen wollte auf einer Pilgerreise nach der heiligen Linde[8 - die heilige Linde – Монастырь Святой Липы] im weit entfernten kalten Preußen.

Auf der beschwerlichen Wanderung dahin fühlte meine Mutter nach mehreren Jahren der Ehe zum erstenmal, dass diese nicht unfruchtbar bleiben würde, wie mein Vater befürchtet, und seiner Dürftigkeit unerachtet war er hoch erfreut, weil nun eine Vision in Erfüllung gehen sollte, in welcher ihm der heilige Bernardus Trost und Vergebung[9 - Vergebung/(geh.) = Begnadigung, Entschuldigung, Verzeihung]der Sünde durch die Geburt eines Sohnes zugesichert hatte. In der heiligen Linde erkrankte mein Vater, und je weniger er die vorgeschriebenen beschwerlichen Andachtsübungen seiner Schwäche unerachtet aussetzen wollte, desto mehr nahm das Übel überhand; er starb entsündigt und getröstet in demselben Augenblick, als ich geboren wurde.

Mit dem ersten Bewußtsein dämmern in mir die lieblichen Bilder von dem Kloster und von der herrlichen Kirche in der heiligen Linde auf. Mich umrauscht noch der dunkle Wald… mich umduften noch die üppig aufgekeimten Gräser, die bunten Blumen, die meine Wiege waren. Kein giftiges Tier, kein schädliches Insekt nistet in dem Heiligtum der Gebenedeiten; nicht das Sumsen einer Fliege, nicht das Zirpen des Heimchens unterbricht die heilige Stille, in der nur die frommen Gesänge der Priester erhallen, die, mit den Pilgern goldne Rauchfässer schwingend, aus denen der Duft des Weihrauchopfers emporsteigt, in langen Zügen daherziehen. Noch sehe ich mitten in der Kirche den mit Silber überzogenen Stamm der Linde, auf welche die Engel das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau[10 - das wundertätige Bild der heiligen Jungfrau – Чудотворный образ Пресвятой Девы] niedersetzten. Noch lächeln mich die bunten Gestalten der Engel… der Heiligen… von den Wänden, von der Decke der Kirche an!

Die Erzählungen meiner Mutter von dem wundervollen Kloster, wo ihrem tiefsten Schmerz gnadenreicher Trost zuteil wurde, sind so in mein Innres gedrungen, dass ich alles selbst gesehen, selbst erfahren zu haben glaube, unerachtet es unmöglich ist, dass meine Erinnerung so weit hinausreicht, da meine Mutter nach anderthalb Jahren die heilige Stätte[11 - die heilige Stätte – святая обитель] verließ.

So ist es mir, als hätte ich selbst einmal in der öden Kirche die wunderbare Gestalt eines ernsten Mannes gesehen, und es sei eben der fremde Maler gewesen, der in uralter Zeit, als eben die Kirche gebaut, erschien, dessen Sprache niemand verstehen konnte und der mit kunstgeübter Hand in gar kurzer Zeit die Kirche auf das herrlichste ausmalte, dann aber, als er fertig worden, wieder verschwand.

So gedenke ich ferner noch eines alten fremdartig gekleideten Pilgers mit langem grauen Barte, der mich oft auf den Armen umhertrug, im Walde allerlei bunte Moose und Steine suchte und mit mir spielte; unerachtet ich gewiß glaube, dass nur aus der Beschreibung meiner Mutter sich im Innern sein lebhaftes Bild erzeugt hat. Er brachte einmal einen fremden wunderschönen Knaben mit, der mit mir von gleichem Alter war. Uns herzend und küssend, saßen wir im Grase, ich schenkte ihm alle meine bunten Steine, und er wußte damit allerlei Figuren auf dem Erdboden zu ordnen, aber immer bildete sich daraus zuletzt die Gestalt des Kreuzes. Meine Mutter saß neben uns auf einer steinernen Bank, und der Alte schaute, hinter ihr stehend, mit mildem Ernst unsern kindischen Spielen zu. Da traten einige Jünglinge aus dem Gebüsch, die, nach ihrer Kleidung und nach ihrem ganzen Wesen zu urteilen, wohl nur aus Neugierde und Schaulust nach der heiligen Linde gekommen waren. Einer von ihnen rief, indem er uns gewahr[12 - etw./einer Sache gewahr werden (geh.) = etw. nach einer gewissen Zeit in seiner Bedeutung erkennen] wurde, lachend: „Sieh da! eine heilige Familie, das ist etwas für meine Mappe!“[13 - Смотри-ка, ну прямо-таки Святое Семейство, это нечто для моего альбома!]

Er zog wirklich Papier und Krayon[14 - Krayon, Crayon m [frz. crayon, zu: craie = Kreide] (veralt.): 1. Bleistift. 2. Kreide[stift]] hervor und schickte sich an uns zu zeichnen[15 - und schickte sich an uns zu zeichnen – и принялся нас рисовать], da erhob der alte Pilger sein Haupt und rief zornig: „Elender Spötter[16 - Spötter m (geh.) = Spottdrossel, Zyniker], du willst ein Künstler sein, und in deinem Innern brannte nie die Flamme des Glaubens und der Liebe; aber deine Werke werden tot und starr bleiben wie du selbst, und du wirst wie ein Verstoßener in einsamer Leere verzweifeln und untergehen in deiner eignen Armseligkeit.“

Die Jünglinge eilten bestürzt von dannen.

Der alte Pilger sagte zu meiner Mutter: „Ich habe Euch heute ein wunderbares Kind gebracht, damit es in Euerm Sohn den Funken der Liebe entzünde, aber ich muß es wieder von Euch nehmen, und Ihr werdet es wohl sowie mich selbst nicht mehr schauen. Euer Sohn ist mit vielen Gaben herrlich ausgestattet, aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blute[17 - aber die Sünde des Vaters kocht und gärt in seinem Blute – но грех отца кипит и бурлит у него в крови], er kann jedoch sich zum wackern[18 - wacker (veralt.) = redlich; tapfer] Kämpen[19 - Kämpe m (veralt., noch scherzh.) = Kämpfer, Krieger] für den Glauben aufschwingen, lasset ihn geistlich werden!“

Meine Mutter konnte nicht genug sagen, welchen tiefen unauslöschlichen Eindruck die Worte des Pilgers auf sie gemacht hatten; sie beschloß aber demunerachtet, meiner Neigung durchaus keinen Zwang anzutun, sondern ruhig abzuwarten, was das Geschick über mich verhängen und wozu es mich leiten würde, da sie an irgend eine andere höhere Erziehung, als die sie selbst mir zu geben imstande war, nicht denken konnte.

Meine Erinnerungen aus deutlicher, selbst gemachter Erfahrung heben von dem Zeitpunkt an, als meine Mutter auf der Heimreise in das Zisterzienser Nonnenkloster gekommen war, dessen gefürstete Abtissin, die meinen Vater gekannt hatte, sie freundlich aufnahm. Die Zeit von jener Begebenheit mit dem alten Pilger, welche ich in der Tat aus eigner Anschauung weiß, so dass sie meine Mutter nur rücksichts[20 - rücksichts (veralt.) = in Rücksicht auf (Akk)] der Reden des Malers und des alten Pilgers ergänzt hat, bis zu dem Moment, als mich meine Mutter zum erstenmal zur Abtissin brachte, macht eine völlige Lücke: nicht die leiseste Ahnung ist mir davon übrig geblieben. Ich finde mich erst wieder, als die Mutter meinen Anzug, soviel es ihr nur möglich war, besserte und ordnete. Sie hatte neue Bänder in der Stadt gekauft, sie verschnitt mein wildverwachsnes Haar, sie putzte mich mit aller Mühe und schärfte mir dabei ein, mich ja recht fromm und artig bei der Frau Äbtissin zu betragen. Endlich stieg ich an der Hand meiner Mutter die breiten steinernen Treppen herauf und trat in das hohe, gewölbte, mit heiligen Bildern ausgeschmückte Gemach[21 - Gemach n (veralt., geh.) = Zimmer, [vornehmer] Wohnraum], in dem wir die Fürstin fanden. Es war eine große, majestätische schöne Frau, der die Ordenstracht eine Ehrfurcht einflößende Würde gab. Sie sah mich mit einem ernsten, bis ins Innerste dringenden Blick an und frug[22 - frug (veralt.) = fragte]: „Ist das Euer Sohn?“

Ihre Stimme, ihr ganzes Ansehn… selbst die fremde Umgebung, das hohe Gemach, die Bilder, alles wirkte so auf mich, dass ich, von dem Gefühl eines inneren Grauens ergriffen, bitterlich zu weinen anfing. Da sprach die Fürstin, indem sie mich milder und gütiger anblickte: „Was ist dir, Kleiner, fürchtest du dich vor mir?… Wie heißt Euer Sohn, liebe Frau?“

„Franz“, erwiderte meine Mutter, da rief die Fürstin mit der tiefsten Wehmut: „Franziskus!“ und hob mich auf und drückte mich heftig an sich, aber in dem Augenblick preßte mir ein jäher Schmerz, den ich am Halse fühlte, einen starken Schrei aus, so dass die Fürstin erschrocken mich losließ und die durch mein Betragen ganz bestürzt gewordene Mutter auf mich zusprang, um nur gleich mich fortzuführen. Die Fürstin ließ das nicht zu: es fand sich, dass das diamantne Kreuz, welches die Fürstin auf der Brust trug, mich, indem sie heftig mich an sich drückte, am Halse so stark beschädigt hatte, dass die Stelle ganz rot und mit Blut unterlaufen war. „Armer Franz,“ sprach die Fürstin, „ich habe dir weh getan, aber wir wollen doch noch gute Freunde werden.“

Eine Schwester brachte Zuckerwerk und süßen Wein, ich ließ mich, jetzt schon dreister geworden, nicht lange nötigen, sondern naschte tapfer von den Süßigkeiten, die mir die holde[23 - hold (veralt.) = hübsch] Frau, welche sich gesetzt und mich auf den Schoß genommen hatte, selbst in den Mund steckte. Als ich einige Tropfen des süßen Getränks, das mir bis jetzt ganz unbekannt gewesen, gekostet, kehrte mein munterer Sinn, die besondere Lebendigkeit, die nach meiner Mutter Zeugnis von meiner frühsten Jugend mir eigen war, zurück. Ich lachte und schwatzte zum größten Vergnügen der Äbtissin und der Schwester, die im Zimmer geblieben. Noch ist es mir unerklärlich, wie meine Mutter darauf verfiel, mich aufzufordern, der Fürstin von den schönen herrlichen Dingen meines Geburtsortes zu erzählen, und ich, wie von einer höheren Macht inspiriert, ihr die schönen Bilder des fremden unbekannten Malers so lebendig, als habe ich sie im tiefsten Geiste aufgefaßt, beschreiben konnte. Dabei ging ich ganz ein in die herrlichen Geschichten der Heiligen, als sei ich mit allen Schriften der Kirche schon bekannt und vertraut geworden. Die Fürstin, selbst meine Mutter, blickten mich voll Erstaunen an, aber je mehr ich sprach, desto höher stieg meine Begeisterung, und als mich endlich die Fürstin frug: „Sage mir, liebes Kind, woher weißt du denn das alles?“… da antwortete ich, ohne mich einen Augenblick zu besinnen, dass der schöne wunderbare Knabe, den einst ein fremder Pilgersmann mitgebracht hätte, mir alle Bilder in der Kirche erklärt, ja selbst noch manches Bild mit bunten Steinen gemalt und mir nicht allein den Sinn davon gelöset, sondern auch viele andere heilige Geschichten erzählt hätte.

Man läutete zur Vesper, die Schwester hatte eine Menge Zuckerwerk in eine Tüte gepackt, die sie mir gab und die ich voller Vergnügen einsteckte. Die Äbtissin stand auf und sagte zu meiner Mutter: „Ich sehe Euern Sohn als meinen Zögling an[24 - Я считаю вашего сына своим воспитанником.], liebe Frau, und will von nun an für ihn sorgen.“ Meine Mutter konnte vor Wehmut nicht sprechen, sie küßte, heiße Tränen vergießend, die Hände der Fürstin. Schon wollten wir zur Tür hinaustreten, als die Fürstin uns nachkam, mich nochmals aufhob, sorgfältig das Kreuz beiseite schiebend, mich an sich drückte und heftig weinend, so dass die heißen Tropfen auf meine Stirne fielen, ausrief: „Franziskus!.. Bleibe fromm und gut!“[25 - Будь благочестив и добр!]

Ich war im Innersten bewegt und mußte auch weinen, ohne eigentlich zu wissen warum.

Durch die Unterstützung der Äbtissin gewann der kleine Haushalt meiner Mutter, die unfern dem Kloster in einer kleinen Meierei wohnte, bald ein besseres Ansehen. Die Not hatte ein Ende, ich ging besser gekleidet und genoß den Unterricht des Pfarrers, dem ich zugleich, wenn er in der Klosterkirche das Amt hielt, als Chorknabe diente.

Wie umfängt mich noch wie ein seliger Traum die Erinnerung an jene glückliche Jugendzeit!.. Ach, wie ein fernes heiliges Land, wo die Freude wohnt und die ungetrübte Heiterkeit des kindlichen unbefangenen Sinnes, liegt die Heimat weit, weit hinter mir, aber wenn ich zurückblicke, da gähnt mir die Kluft entgegen, die mich auf ewig von ihr geschieden. Von heißer Sehnsucht ergriffen, trachte ich immer mehr und mehr, die Geliebten zu erkennen, die ich drüben, wie im Purpurschimmer des Frührots wandelnd, erblicke, ich wähne ihre holden Stimmen zu vernehmen. Ach!.. gibt es denn eine Kluft, über die die Liebe mit starkem Fittich[26 - Fittich m (dichter.) = Flügel m, Schwinge f] sich nicht hinwegschwingen könnte? Was ist für die Liebe der Raum, die Zeit!.. Lebt sie nicht im Gedanken, und kennt der denn ein Maß?… Aber finstre Gestalten steigen auf, und immer dichter und dichter sich zusammendrängend, immer enger und enger mich einschließend, versperren sie die Aussicht und befangen meinen Sinn mit den Drangsalen der Gegenwart, dass selbst die Sehnsucht, welche mich mit namenlosem wonnevollem Schmerz erfüllte, nun zu tötender heilloser Qual wird!

Der Pfarrer war die Güte selbst[27 - Священник был сама доброта…], er wußte meinen lebhaften Geist zu fesseln, er wußte seinen Unterricht so nach meiner Sinnesart zu formen, dass ich Freude daran fand und schnelle Fortschritte machte.

Meine Mutter liebte ich über alles, aber die Fürstin verehrte ich wie eine Heilige, und es war ein feierlicher Tag für mich, wenn ich sie sehen durfte. Jedesmal nahm ich mir vor, mit den neuerworbenen Kenntnissen recht vor ihr zu leuchten, aber wenn sie kam, wenn sie freundlich mich anredete, da konnte ich kaum ein Wort herausbringen, ich mochte nur sie anschauen, nur sie hören. Jedes ihrer Worte blieb tief in meiner Seele zurück, noch den ganzen Tag über, wenn ich sie gesprochen, befand ich mich in wunderbarer feierlicher Stimmung, und ihre Gestalt begleitete mich auf den Spaziergängen, die ich dann besuchte.

Welches namenlose Gefühl durchbebte mich, wenn ich, das Rauchfaß schwingend, am Hochaltare[28 - am Hochaltare – у главного алтаря] stand, und nun die Töne der Orgel von dem Chore herabströmten und, wie zur brausenden Flut anschwellend, mich fortrissen… wenn ich dann in dem Hymnus ihre Stimme erkannte, die wie ein leuchtender Strahl zu mir herabdrang und mein Inneres mit den Ahnungen des Höchsten… des Heiligsten erfüllte. Aber der herrlichste Tag, auf den ich mich wochenlang freute, ja, an den ich niemals ohne inneres Entzücken denken konnte, war das Fest des heiligen Bernardus, welches, da er der Heilige der Zisterzienser[29 - Zisterzienser m [nach dem frz. Kloster Coteaux, mlat. Cistercium] – Angehöriger des 1098 von reformerischen Benediktinern gegründeten Zisterzienserordens] ist, im Kloster durch einen großen Ablaß auf das feierlichste begangen wurde. Schon den Tag vorher strömten aus der benachbarten Stadt sowie aus der ganzen umliegenden Gegend eine Menge Menschen herbei und lagerten sich auf der großen blumichten Wiese, die sich an das Kloster schloß, so dass das frohe Getümmel Tag und Nacht nicht aufhörte. Ich erinnere mich nicht, dass die Witterung in der günstigen Jahreszeit (der Bernardustag fällt in den August) dem Feste jemals ungünstig gewesen sein sollte. In bunter Mischung sah man hier andächtige Pilger, Hymnen singend, daherwandeln, dort Bauerbursche sich mit den geputzten Dirnen jubelnd umhertummeln… Geistliche, die in frommer Betrachtung, die Hände andächtig gefaltet, in die Wolken schauen… Bürgerfamilien im Grase gelagert, die die hochgefüllten Speisekörbe auspacken und ihr Mahl verzehren. Lustiger Gesang, fromme Lieder, die inbrünstigen Seufzer der Büßenden, das Gelächter der Fröhlichen, Klagen, Jauchzen, Jubel, Scherze, Gebet erfüllen wie in wunderbarem, betäubendem Konzert die Lüfte!

Aber sowie die Glocke des Klosters anschlägt, verhallt das Getöse plötzlich… soweit das Auge nur reicht, ist alles, in dichte Reihen gedrängt, auf die Knie gesunken, und nur das dumpfe Murmeln des Gebets unterbricht die heilige Stille. Der letzte Schlag der Glocke tönt aus, die bunte Menge strömt wieder durcheinander, und aufs neue erschallt der minutenlang unterbrochene Jubel.

Der Bischof selbst, welcher in der benachbarten Stadt residiert, hielt an dem Bernardustage in der Kirche des Klosters, bedient von der untern Geistlichkeit des Hochstifts, das feierliche Hochamt, und seine Kapelle führte auf einer Tribüne, die man zur Seite des Hochaltars errichtet und mit reicher, seltener Hautelisse[30 - Hautelisse [(h)o: t'lis] /‹frz.› – gewirkter Wand-, Bildteppich mit senkrecht geführter Kette]behängt hatte, die Musik aus.

Noch jetzt sind die Empfindungen, die damals meine Brust durchbebten, nicht erstorben, sie leben auf in jugendlicher Frische, wenn ich mein Gemüt ganz zuwende jener seligen Zeit, die nur zu schnell verschwunden. Ich gedenke lebhaft eines Gloria, welches mehrmals ausgeführt wurde, da die Fürstin eben diese Komposition vor allen andern liebte. Wenn der Bischof das Gloria intoniert hatte und nun die mächtigen Töne des Chors daher brausten: Gloria in excelsis deo![31 - Gloria in excelsis deo! ‹lat.› – Слава Всевышнему!]… war es nicht, als öffne sich die Wolkenglorie über dem Hochaltar?… ja, als erglühten durch ein göttliches Wunder die gemalten Cherubim und Seraphim zum Leben und regten und bewegten die starken Fittiche und schwebten auf und nieder, Gott lobpreisend mit Gesang und wunderbarem Saitenspiel?