Das mussten Reginhild und ihr Gatte nicht nur vollkommen einsehen, sondern die erstere stand auch schon Siegfrieds wegen von jeder weiteren Einrede ab.
Graf Albrecht ließ seiner Gefangenen einige Tage Zeit, sich bei ihm einzuwohnen, und erst als er zu bemerken glaubte, dass sie sich in ihr Schicksal gefunden hatte, suchte er eine Unterredung mit ihr und erfuhr dabei, soweit er es nicht schon wusste das Folgende.
Bereits Odas ältester Bruder war kinderlos dahin geschieden, und darauf hatte der zweite, Graf Hoyer, der schon Domherr in Halberstadt war, die Regierung der Grafschaft angetreten und sich ein Weib genommen, die ihm aber auch keinen Erben schenkte. Darin erblickte der frommgläubige Mann und noch mehr seine Gemahlin Margarete, eine herbe, zu tiefsinnigem Grübeln geneigte Natur, einen Wink, vielleicht eine Strafe des Himmels, der sie sich in Demut beugen müssten. Oda ließ sogar die Vermutung durchblicken, dass ihren Bruder eine heimliche Schuld drücken müsse, für die Gott der Allmächtige und seine heilige Kirche eine hohe Sühne verlange. Darum hatte er beschlossen, die Grafschaft nicht in weltlichem Besitz zu lassen, sondern sie zum Troste seiner Seele einer geistlichen Herrschaft einzuverleiben. Er hatte sie daher dem Bischof von Halberstadt gegen Verschreibung einer Leibrente und einer Kurie in Halberstadt angeboten, und der Bischof hatte natürlich mit beiden Händen zugegriffen und drängte nun zur sofortigen Übergabe, in welche Graf Hoyer jedoch erst nach dem Ableben seiner Gemahlin willigen wollte. Darüber schwebten nun die Verhandlungen, welche mit ebenso großem Eifer auf seiten des Bischof wie ablehnender Zähigkeit auf seiten des Grafen Hoyer geführt wurden. Aber nur über den Zeitpunkt konnte man sich nicht einigen, die Übergabe selbst war ein unwiderruflich gefasster Beschloss.
Im übrigen konnte sich Oda über ihren Bruder nicht groß beklagen; er hatte sie stets freundlich behandelt und ihr auch seinen Schmerz darüber nicht verhehlt, dass ihn sein gottesfürchtiges Gewissen zur Enterbung der viel jüngeren Schwester zwang. Zu ihrer Schwägerin konnte Oda niemals in ein rechtes Verhältnis kommen; das kalt abweisende Wesen Margaretens schreckte sie zurück, und sie fühlte wohl, dass sie der liebelosen Frau im Wege war.
Darum hatte der Abschied von der Burg ihrer Väter, der hoch und herrlich über dem wiesengrünen, waldumrauschten Selketale gelegenen Feste Falkenstein Oda nicht zu heiße Tränen gekostet, obschon ihr bewusst war, was sie verließ und für immer aufgab. Den Schleier zu nehmen hatte sie sich jedoch nicht entschließen können, hatte daher der einsamen Zelle im Kloster Walbeck das glänzende Schloss des freiweltlichen Stiftes Quedlinburg zum dauernden Aufenthalt vorgezogen, um doch nicht ein für allemal den Freuden des Lebens entsagen zu müssen.
Es war in Graf Albrechts Gemach auf der oberen Burg, wo ihm Oda diese Mitteilungen machte. Dasselbe war mit einem großen Kamin versehen und hatte verglaste Fenster, aber nur sehr spärlichen Hausrat. In einem grobgezimmerten Armstuhl aus Eichenholz mit hoher, steiler Lehne, einem Throne vergleichbar, saß Albrecht und ihm gegenüber in einem ähnlichen, etwas kleineren Gräfin Oda. Er hatte ihr ein zottiges Bärenfell unter die Füße geschoben, das sonst vor seinem Sessel lag als einzige Bedeckung des steinernen Fußbodens. Kahl und schmucklos starrten die getünchten Wände; nur ein roh bemalter Heiland am Kreuz mit einem dahinter gesteckten längst verdorrten Zweige hing über einem großen eichenen Tische, auf dem ein kleines irdenes Gefäß mit schwarzer Tinte und ein Wasserkrug nebst Becher standen. Weiter lagen darauf eine Rohrfeder, einige Pergamente, ein Paar Sporen, ein Jagdhorn und endlich ein in Holzdeckel gebundener Sachsenspiegel, der auf Odas väterlicher Burg verfasst war, und den der Graf von Regenstein als Gerichtsherr besaß und besitzen musste. Ein alter Schrein, eine mit erhabenem Schnitzwerk verzierte Truhe und zwei hölzerne Schemel, auf denen allen auch noch mancherlei Gebrauchsgegenstände, Jagdzeug und Gewaffen lagen, vollendeten die einfache Ausstattung. In einer Ecke lehnte ein langes Schwert.
Von den Fenstern konnte der Graf weit in das Land schauen und auch das Schloss der Äbtissin von Quedlinburg sehen, zu dem er oftmals hinüberblickte, als müsste er es nicht bloß mit der Wucht seines Schwertes und seines Namens schützen und schirmen, sondern selbst aus der Ferne noch mit sorgenden Augen bewachen. Dann sah er auch Jutta dort wandeln und walten, und ihr Bild stand mit all ihrer verführerischen Schönheit und berückenden Huld vor seiner Seele und verdrängte in ihm die Erinnerung an ihren launenhaften Eigensinn, mit dem sie ihn schon so manches Mal geärgert hatte.
Nun aber kam es ihm selber etwas sonderbar vor, wie er hier in dem einsamen Gemache seiner unnahbaren Felsenburg einem jungen Mädchen gegenübersaß und mit gespannter Aufmerksamkeit dessen Erzählung lauschte, die ihm den Zornmut im Busen erregte. Er versprach der jungen Gräfin, es bei ihrem Bruder zunächst mit Vorstellungen und Warnungen zu versuchen, ob er nicht zu einer Sinnesänderung zu bewegen wäre, wozu sie hoffnungslos das Haupt schüttelte.
Sie hatte sich ihre nächste Zukunft schon ganz anders zurechtgelegt, hatte sich damit beschieden, auf dem Schloss zu Quedlinburg bei der selbst noch jugendlichen Äbtissin und im Kreise der Konventualinnen ein neues Heim zu finden und dort ihr Verlassensein zu vergessen, und statt dessen sah sie sich nun mit einem Male ihrer Freiheit beraubt, entführt und gefangen auf dem Regenstein bei dem mächtigen Grafen, der ihr mit der zartesten Rücksicht begegnete und sogar Schritte für sie zur Erhaltung ihres Erbes tun wollte. Noch kam ihr das alles wie ein Traum vor, noch konnte sie ein unbestimmtes Gefühl von Furcht nicht ganz aus ihrem Herzen verbannen. Wenn sie aber dem hohen, willensstarken Manne in die klaren Augen blickte und seine ruhige, ernst tönende Stimme hörte, so überkam sie ein beschwichtigendes, wachsendes Vertrauen zu dem ritterlichen Burgherrn, an den sie bisher nur mit scheuer Bewunderung zu denken gewohnt war.
Denn sie kannte ihn längst. Vor ein paar Jahren war er einmal zu einem großen Jagen auf dem Falkenstein gewesen, und das Bild seiner gebietenden, alle anderen Gäste überstrahlenden Erscheinung hatte sich ihr so unauslöschlich eingeprägt, dass er seitdem wie ein Heros durch ihre Gedanken und Träume schritt. Sie sah ihn bis zu dem Turnier in Ballenstedt nicht wieder, hörte aber desto mehr von ihm, denn immer und überall klang seines Namens Ruf. Die Männer sprachen von ihm wie von einem Fürsten, den die einen fürchteten, die anderen beneideten, alle aber achteten und seines Mutes wegen rühmten. Auch auf dem Turniere war Graf Albrecht der Held und erste Sieger geblieben, von Tausenden umjubelt. Sie hatte er unter der Menge natürlich nicht bemerkt, so wenig wie er ihr in der Jagdgesellschaft auf dem Falkenstein Beachtung geschenkt hatte. Darum hatte er sie auch jetzt nicht wiedererkannt, als sie gefangen vor ihm erschien. Und wie sollte er auch, er, der große Graf von Regenstein! und sie, ein in der Zurückgezogenheit und Einsamkeit aufgewachsenes Burgfräulein, für das noch kein Ritter eine Lanze gebrochen hatte!
Und nun war sie seine Gefangene, vielleicht auf lange Zeit, und konnte nicht einmal wünschen, dass es nicht so wäre. Das war kein Abenteuer, in das sie ein Spiel des Zufalls verwickelte, das war Schicksalsfügung, der sie sich mit stiller Erwartung des Kommenden willenlos ergab.
Achtes Kapitel.
Anders als in Graf Albrechts Gemach sah es in dem Zimmer seines jungfräulichen Gastes aus. Und das war Siegfrieds Werk. Alles, was er unter dem Rat und Beistand oder auch trotz der Abwehr der alten Ursula an Hausrat und vermeintlichem Schmuck und Zier aus den vergessensten Räumen der weiten Burg herschleppen konnte, das brachte er während Odas Abwesenheit in ihrem Zimmer an, so dass dieses zwar einen ganz wohnlichen Anstrich gewann, aber auch in einer etwas bunt zusammengewürfelten Ausstattung prangte.
Teppiche lagen auf dem Fußboden, Teppiche mit stark verschossenen Heiligenbildern hingen an den Wänden. Auf einem Schranke standen zwischen alten Tongefäßen ein ausgestopfter Auerhahn und eine holzgeschnitzte Mutter Gottes. Mit gepresstem Leder bezogene Stühle und gestickte Fußbänkchen hatte Siegfried herbeigeschafft, hatte sogar einen zierlich gearbeiteten Frauenpanzer aufgestöbert und über dem Kamine aufgehängt, hatte über einen viereckigen und einen runden Tisch farbig benähte Linnen breiten lassen und den kleinen Metallspiegel der seligen Mutter rings mit Pfauenfedern umsteckt. Auf die Tische hatte er eine Laute und eine schon vergilbte, aber sauber geschriebene Ausgabe des Reinhart Fuchs von Heinrich dem Glichesäre gelegt.
Oda lächelte und Eilika lachte, als sie diese Anstalten, ihnen die Gefangenschaft möglichst bequem zu machen, gewahrten. Sie wussten auch, von wem sie herrührten, denn sie hatten Siegfried zwischen den einzelnen Gebäuden der Burg mehrmals hin und her gehen und sich mit den aufgestapelten Dingen wie noch mit allerhand seltsamem Gerümpel tragen sehen, das glücklicherweise nicht alles Platz gefunden hatte. Aber Siegfrieds freundliche Fürsorge rührte Oda, und sie nahm sich vor, dem jungen Ritter dafür zu danken.
Eines Tages musste Graf Albrecht nach seiner Burg Botfeld bei Elbigerode verreiten, ich Oda blieb mit Siegfried allein. Er frug sie, ob sie sich das Regensteiner Felsennest nicht endlich einmal ansehen wollte; er würde sie gern führen und ihr alles zeigen. Diesen Vorschlag nahm sie freudig an, und sie gingen beide hinaus und erstiegen die oberste Platte des Felsens, von der man die Feste in ihrem ganzen Umkreise übersehen konnte.
Der breite Rücken des Berges, der eigentlich nur ein ungeheuerer, teils bewaldeter, teils wild zerklüfteter Felsblock war, nach Norden und Westen steil abfallend, von Süden und Osten sanfter ansteigend, bestand aus mehreren höher und tiefer gelegenen Flächen, die durch Felsentreppen miteinander verbunden und groß genug waren, um jede für sich eine stattliche Burg zu tragen. Es hatte auch wirklich jede einzelne derselben ihre eigene sehr starke Befestigung, die ebenso wie die dazu gehörigen Gebäude zum Teil aus dem gewachsenen Felsen heraus oder in ihn hinein gearbeitet waren. Gänge, Wölbungen, Hallen und Gemächer waren aus lebendigem Stein, und im Innern der Häuser schlossen sich die gemauerten Räume unmittelbar an die aus dem Felsen gehöhlten und fanden in ihnen ihre Fortsetzung und Ergänzung. Der höchstbelegene und wichtigste Teil der Feste bestand sogar nur aus natürlichem Felsen und enthielt in mehreren Geschossen übereinander geräumige Hallen und Kammern mit klafterdicken Wänden und rund ausgemeißelten Türen und Fensterbögen. Das ganze aber, das mit seinen bald vorgeschobenen, bald versteckt zurücktretenden Werken, Türmen, Ecken und mächtigen Felsbauten, seinen Häusern, Gärten und Gehöften dem hier nicht Heimischen planlos kraus und darum noch abenteuerlicher und größer erschien, als es schon an und für sich in hohem Grade war, dieses großartige, die kühnsten Vorstellungen übersteigende Ganze war in unregelmäßigen Zickzack- und Bogenlinien, je nach Umriss und Gestalt des hohen Felsenberges von unerklimmbaren künstlichen und natürlichen Steinmauern umgürtet, und seine Umschreitung nahm beträchtliche Zeit in Anspruch.
So war der Regenstein eine Felsenburg oder vielmehr ein Verband, eine Gesamtheit von Burgen, die in ihrer Vereinigung an Größe und Stärke, an sturmfreier Sicherheit sowohl wie an Schönheit der Lage wohl nirgends ihresgleichen hatte.
Siegfried führte Oda auf der freien Höhe des Felsens an den schwindelnden Absturz und fasste sie hier bei der Hand, die sie ihm willig überließ. »Seht, Fräulein,« sprach er, »der Felsen fällt hier mehr als achthundert Fuß lotrecht in die Tiefe hinab, und wenn dort unten auf dem Wege ein Mensch ginge, so würde er Euch kaum größer scheinen als eine Krähe. Hier sind wir gegen jeden Ansturm geschützt; was nicht fliegen kann, kommt hier nicht herauf und auch nicht lebendig hinab.«
Oda hielt sich fester an Siegfrieds Hand und blickte vom äußersten Rande in die jähe Tiefe hinab.
»Nun wendet Euch um,« sagte er. »Dort, von Blankenburg her ist es allein möglich, den Berg zu ersteigen; aber auch dort wehren Klippen und Felswände, noch durch feste Mauern verstärkt, den Vordringenden, und das doppelte Tor in dem Felsen-Engpaß mit der Zugbrücke über dem Graben, durch das Ihr eingeritten seid, bildet den einzigen Zugang. Habt Uhr schon je von einer Burg gehört, so unbezwinglich und unnahbar wie diese?«
»Niemals!« erwiderte Oda, über das, was sie sah, aufs höchste verwundert.
»Nicht wahr, Ihr fühlt Euch hier sicher und gut verwahrt?«
»O ja,« lächelte sie, »hier entwischt Euch keiner.«
»Nun sehet hier,« fuhr er fort, »hier an den Felsen gelehnt, von diesem selber zum Teil gebildet und von ihm überragt, ist der Palas mit dem Saalbau, dem Bergfried, dem Rüsthause und dem Marstall. Wir nennen es die Oberburg; da wohnen wir und unsere Gäste, wenn wir deren haben, und jene zwei Fenster dort, aus deren einem eben der Vorhang wie ein Fähnlein flattert, sind die Euren. Dort rechts aber, weiter unten, jenseits des Hofes und seitlich des großen Baumgartens ist die Vorburg, wo in starken Weichhäusern die Reisigen und Knechte liegen. Daran schließen sich die Ställe für die Gäule und das Vieh nebst Scheunen und Vorratsräumen. Da drüben links, wo sich der Berg mit zackigen Klippen hinabsenkt, sind zwischen Felsen versteckt wieder andere Weichhäuser, die beinahe ganz aus dem natürlichen Stein geschaffen sind. Dort haust unser treuester Mann, der Ritter Bock von Schlanstedt, dem wir's zu verdanken haben, dass Ihr hier seid, Gräfin Oda. Er hat sich die Felsenhöhle selber zur Kemenate ausgesucht und eingerichtet, und es sieht fast wunderlich bei ihm aus. Verrostete Waffen, befremdliche Beutestücke und zarte Liebespfänder, von denen allen er eine abenteuerliche oder rührende Geschichte zu erzählen weiß, bewahrt er dort zu ewigem Andenken auf wie zutage geförderte Schätze, mit denen er sich in seiner sorglosen Armut unermesslich reich dünkt.«
»Kann man das nicht einmal sehen?« frug Oda.
»O Ihr würdet ihn stolz machen, wenn Ihr ihn in seiner Klause einmal besuchtet,« erwiderte Siegfried. »Aber nun kommt, Gräfin Oda, nun will ich Euch das Beste zeigen.«
Aber sie bat: »Lasst uns noch weilen, Graf Siegfried, und des herrlichen Blickes genießen.«
Wunderbar freilich war der weite Rundblick von hier oben. Siegfried nannte der sich dem Genuss ganz Hingebenden alle von hier sichtbaren Städte und Dörfer, Schlösser und Burgen, die Gipfel des nahen Gebirges und die fernher schauenden Höhenzüge, und sie konnte sich kaum satt sehen an dem prächtigen Bilde.
»Und wie schön nimmt sich der Regenstein selber aus von allen Punkten, die wir hier sehen!« sprach Siegfried mit gerechtem Stolze. »Ihr möget auf dem Ballenstedter oder auf dem Quedlinburger Schloss, der Lauenburg, drüben auf den Harzbergen, oder fern da oben auf dem Kloster des Huys stehen, überall hebt sich seine Felsenmasse, den Blick anziehend und fesselnd, aus dem Lande empor; immer schaut er den Wanderer, der vom Huy über Halberstadt und Quedlinburg nach dem Harze geht, von rechts her mit seiner hohen, fast senkrechten Wand gewaltig und gebieterisch an, den Gau beherrschend und überwachend.«
Oda hörte ihrem ritterlichen Führer andächtig zu, und ihm machte es sichtlich große Freude, ihr alles zeigen und erklären zu können.
»Wie heißt dieser nächste Berg in gerader Schnur auf Halberstadt?« frug sie.
»Das ist der Hoppelberg,« erwiderte Siegfried. »Sein Ausläufer links nach Westen endet in einem langgestreckten Felsen; seht Ihr die Türme darauf herüber schauen?«
Oda nickte.
»Das ist die bischöfliche Burg Langenstein,« fuhr er fort, »keine freundliche Nachbarschaft. Die andere Kuppe mehr rechts ist der Helmstein, ein guter Name! nicht wahr? wie eine grünbekränzte Sturmhaube sitzt er über dem Tale.«
Oda nickte wieder, im Anschauen versunken.
»Und das dort ist die Heimburg, wo Eure Geschwister Bernhard und Reginhild wohnen?« sagte sie dann. »Da kann man ja hinüber winken.«
»Gewiss, das tun wir auch,« entgegnete Siegfried. »Wir grüßen uns manchmal mit Fähnlein und Wimpeln und geben uns verabredete Zeichen, so dass wir uns leidlich miteinander verständigen können.«
»Und gerade dahinter ist die hoch und breit gewölbte Kuppel des Brockens, so großartig und ruhig! O Graf Siegfried, hier ist gut sein, so schön hatte ich mir den Regenstein nicht gedacht,« rief Oda begeistert.
Siegfried nickte ihr freudig zu, und sie standen eine Weile schweigend und wandten den Blick still genießend hierhin und dorthin.
Ein frischer Wind zog um die luftige Höhe, kräuselte Odas braunes Stirnhaar und wühlte in den langen blonden Locken Siegfrieds. Am Himmel schwebte weißes Gewölk und warf seine beweglichen Schatten auf den grauen Fels, den gelblichen Sand dort unten in der Tiefe und über das junge, kaum erwachte Frühlingsgrün der Eichen und Birken oder über die dunklen Kiefern. Im Walde tönte der Schrei des Hähers, und aus dem stillen Tale klang eine Glocke vom Kloster Michaelstein herauf.
Unten auf der Vorburg war ein bewegtes, geschäftiges Treiben von Knechten und Mägden mit allerhand fleißigen Hantierungen. Es sah wirtschaftlich und friedlich aus innerhalb der mächtigen Anlagen, wo nichts dem Schönheitssinne schmeicheln wollte, sondern alles zweckdienlich, nur stark und fest gebaut und zueinander gefügt war.
»Was ist das für ein dumpfes Hämmern und Klingen, als käme es aus dem Innern des Felsens?« frug Oda aufhorchend.
»Kommt nur, Fräulein! ich will es Euch zeigen«, sprach Siegfried.
Nun schritten sie wieder über Felsenstufen hinab und hinauf und kamen zu mehreren Reihen jener merkwürdigen Felsenkammern, die sich einem riesenhaften Taubenhause vergleichbar neben und übereinander in dem gewaltigen, alles überragenden Hauptstock des ganzen Felsberges befanden. Sie hatten alle große, unverschlossene, aber durch eine niedrige Brüstung erhöhte Öffnungen nach dem Absturz des Felsens zu, hatten aus dem Gestein gehauene Sitzbänke, Schlafstellen und Pferdekrippen, und viele waren durch schmale Durchgänge miteinander verbunden.
Vielleicht rührten diese schwer zugänglichen Höhlen von der ersten Niederlassung auf dem Regenstein – dem ›Steine (Burg) des Regino‹ d. i. des Ratschlagenden, Gewalthabenden (Attribute altgermanischer Götter und Helden) – her und waren von einem wilden, unbändigen Geschlecht bewohnt gewesen, das die heut Lebenden an Kraft und Trotz weit hinter sich ließ. Jetzt dienten sie sehr verschiedenen Zwecken, teils zu Gefängnissen, teils zu Vorratsräumen oder in Fehden zu Verteidigungsstätten gegen unten lagerndes Kriegsvolk. Aus einer aber drang das Hämmern, denn diese war zu einer Schmiede eingerichtet, und der Waffenmeister der Burg stand dort neben zwei Knechten, die rotglühendes Eisen auf dem Amboss bearbeiteten, während auf dem Herde unter einem in den Felsen gebohrten Schlot ein Feuer brannte.
Oda war im höchsten Grade erstaunt, diese verborgene, gewaltige Naturfeste zu sehen, deren hohe Wände und Wölbungen gewachsener Fels waren, eine Burg für sich und stärker als jede, die gebaut und gebrochen werden konnte. Palas und Bergfried, soweit sie Menschenwerk waren, konnten einmal schwinden, aber diese ungeheuere Felsenburg hier oben musste stehen, solange die Erde stand.
Siegfried und Oda setzten sich in eine dieser kühlen Grotten auf die Brüstung der Fensteröffnung und schauten hinab auf den Wald, der hier und da weite Lichtungen zeigte und von einzelnen Wegen durchkreuzt war.
»Ist es nicht ein seltsames Wiedersehen, das wir hier oben feiern, Gräfin Oda?« begann nun Siegfried, »und eine eigene Schickung, die Euch als Gefangene hier auf den Regenstein führt, um den wieder zu finden, der einst glückestrunken zu Euren Füßen kniete?«
»Ihr habt recht,« erwiderte sie, »davon ahnte ich nichts, als ich Euch damals den grünen Kranz auf die Locken drückte.«
»Und ich wusste nicht einmal Euren Namen, habe ihn auch später nicht erfahren. Aber Euer Bild stand fest im Spiegel meiner Seele, unter Tausenden hätte ich Euch wieder erkannt und war schon drauf und dran, das Land zu durchreiten, um die zu suchen, die mich bekränzt hatte.«
»Mich machte es sehr glücklich,« sprach sie.
»Wirklich? tat es das?« frug er leuchtenden Blickes.
»Ja!« erwiderte sie treuherzig. »Wir Mädchen alle, die wir da zusammen an den Schranken saßen, beneideten die Fürstin, als sie Eurem edlen Bruder Albrecht den ersten Turnierdank reichte. Da kam der Wappenkönig und ließ uns losen, wer seinen Kranz dem siegreichen Knappen, auch ein Regensteiner, sagte er – übergeben sollte. Mich traf das Los, und ich war sehr stolz darauf.«
»Ich habe ihn noch, Gräfin Oda!« sagte Siegfried leise.
»Einen Turnierdank muss man auch aufbewahren,« erwiderte sie. »Wie manchen mag Euer Bruder Graf Albrecht schon haben!«
»Albrecht! ja der!« rief Siegfried. Wo fändet Ihr auch landauf landab noch einen, der im Sattel säße, der Schwert und Lanze führte wie mein Bruder Albrecht! Der hätte mit in König Artus' Tafelrunde thronen können.«
»Ich glaub' es, ich glaub' es!« sprach Oda rasch. O erzählt mir von ihm, Graf Siegfried, was er schon alles getan und erlebt hat; ich weiß noch so wenig von ihm, aber alles, was ich weiß, ist groß und gut.«
»O wie freu' ich mich, dass Ihr meinen Bruder so liebt!« sprach er, »und bei allen Heiligen! er verdient es, Gräfin Oda!«
Das holde Mädchen erschrak, und eine helle Röte stieg ihr über die Wangen zu der reinen Stirn empor. Sie senkte die Wimpern und schwieg.
»Er ist unser Haupt und Hort,« fuhr Siegfried begeistert fort, »was wäre diese starke Feste ohne ihn? ein öder Fels; durch ihn erst erhält jeder Stein hier Kraft und Bedeutung, sein Blick macht das Tote lebendig, und das Roß an seinem Zügel, das Schwert in seiner Hand bekommt etwas von seinem Geiste, wird fast ein Stück von ihm.«
Odas Augen hingen strahlend an den Lippen des Rühmenden. »Mich dünkt, Ihr seht ihm von seinen Brüdern am ähnlichsten,« sprach sie.
»Findet Ihr?« lächelte er, und nun war die Reihe zu erröten, an ihm. »Vielleicht im Gesicht, aber ein Mann wie er werde ich nie,« sagte er bescheiden.
»Da denke ich besser von Euch, Graf Siegfried!« sagte sie freundlich. »Ihr werdet Euch noch manchen Dank gewinnen!«
»Könnt' ich ihn nur stets aus Eurer Hand empfangen!« sprach er mit einem warmen Blick.
»Wenn Ihr ihn gewonnen und ich ihn zu vergeben habe, so soll er Euch nicht fehlen, das versprech' ich Euch!« erwiderte sie lächelnd.
Ein rötlicher Schmetterling flog von außen zur Fensteröffnung herein und umflatterte Odas Haupt. »Seht!« sprach sie, »ein beschwingter Herold des Frühlings hat Eure Burg erstiegen; gegen den seid Ihr wehrlos!«
»Er hat hier oben die schönste Blume gewittert, die uns der Frühling gebracht hat«, erwiderte er.
»Ihr seid ein Schmeichler, Graf Siegfried!« lächelte sie und erhob sich. »Solche Worte passen wenig zu diesen grauen Felsenwänden und noch weniger für das Ohr einer armen Gefangenen.«
»Wer ist denn hier der Gefangene?« frug er noch sitzen bleibend. Aber sie hatte schon ein paar Schritte dem Ausgange zu getan und gab keine Antwort.
»Wartet!« rief er ihr nach und sprang auf. »Laßt mich voraus, es geht da steil und beschwerlich hinab.«
Sie ließ ihn vor und schritt die Stufen, die von dem Felsen auf den Burghof führten, dicht hinter ihm hinab, wobei sie sich mit einer Hand auf seine Schulter stützte. Wonnig fühlte er die sanfte Berührung.
Unten kamen sie an der dunklen Öffnung eines Stollens vorüber, der schräg in die Tiefe des Felsens hinein führte. Auf eine Bemerkung Odas über den unterirdischen Gang entgegnete Siegfried: »Er ist halb verschüttet, und wir brauchen ihn nicht; sie nennen ihn das Tempelherrenverlies, und – ich weiß selbst nicht warum.«
Er wusste es wohl, wollte es aber nicht sagen, und Oda frug nicht weiter.
»Nun will ich Euch noch meine Vögel zeigen,« sprach er. »Aber erst sollt Ihr die schwächste Seite des Regensteins von nahem besehen, damit Ihr Euch immer sicherer hier fühlt, falls sie etwa kommen sollten, Euch mit Gewalt von uns wegzuholen.«
»Freiwillig ging ich auch nicht mit«, erwiderte sie und sah ihn dabei schelmisch an.
Er führte sie nun über grünen Rasen und durch Gebüsch an den Befestigungen entlang, und sie sah mit steigender Verwunderung die Ausdehnung der Burg und die bemoosten, efeuumsponnenen Klippen, Ringmauern und Türme, die den Zugang auch an der schwächsten Stelle noch so unbezwinglich verteidigten.