Da wir noch Zeit haben, meine Herren, eine frische Flasche auszutrinken, so will ich Ihnen noch eine andere sehr seltsame Begebenheit erzählen, die mir wenige Monate vor meiner letzten Rückreise nach Europa begegnete. Der Großherr, welchem ich durch die römisch-russisch-kaiserlichen wie auch französischen Botschafter vorgestellet worden war, bediente sich meiner,[123] ein Geschäft von großer Wichtigkeit zu Großkairo[124] zu betreiben, welches zugleich so beschaffen[125] war, dass es immer und ewig ein Geheimnis bleiben musste.
Ich reisete mit großem Pompe[126] in einem sehr zahlreichen Gefolge zu Lande ab. Unterweges hatte ich Gelegenheit, meine Dienerschaft mit einigen sehr brauchbaren Subjekten zu vermehren. Denn als ich kaum einige Meilen weit von Konstantinopel entfernt sein mochte, sah ich einen kleinlichen, schmächtigen Menschen mit großer Schnelligkeit querfeldein daherlaufen, und gleichwohl trug das Männchen an jedem Beine ein bleiernes Gewicht, an die funfzig Pfund schwer. Verwunderungsvoll über diesen Anblick rief ich ihn an und fragte:»Wohin, wohin so schnell, mein Freund? Und warum erschwerst du dir deinen Lauf durch eine solche Last?«—»Ich lief«, versetzte der Läufer,»seit einer halben Stunde aus Wien, wo ich bisher bei einer vornehmen Herrschaft in Diensten stand und heute meinen Abschied nahm. Ich gedenke nach Konstantinopel, um daselbst wieder anzukommen. Durch die Gewichte an meinen Beinen habe ich meine Schnelligkeit, die jetzt nicht nötig ist, ein wenig mindern wollen. Denn Moderata durant, pflegte weiland mein Präzeptor[127] zu sagen.«– Dieser Asahel[128] gefiel mir nicht übel; ich fragte ihn, ob er bei mir in Dienst treten wollte, und er war dazu bereit. Wir zogen hierauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land. Nicht fern vom Wege auf einem schönen Grasrain[129] lag mäuschenstill ein Kerl, als ob er schliefe. Allein das tat er nicht. Er hielt vielmehr sein Ohr so aufmerksam zur Erde, als hätte er die Einwohner der untersten Hölle behorchen wollen. – »Was horchst du da, mein Freund?«—»Ich horche da zum Zeitvertreibe[130] auf das Gras und höre, wie es wächst.«—»Und kannst du das?«—»O Kleinigkeit!«—»So tritt in meine Dienste, Freund, wer weiß, was es bisweilen nicht zu horchen geben kann.«– Mein Kerl sprang auf und folgte mir. Nicht weit davon auf einem Hügel stand mit angelegtem Gewehr ein Jäger und knallte in die blaue, leere Luft. – »Glück zu, Glück zu, Herr Weidmann! Doch wonach schießest du? Ich sehe nichts als blaue, leere Luft.«—»O, ich versuchte nur dies neue Kuchenreutersche Gewehr. Dort auf der Spitze des Münsters zu Straßburg[131] saß ein Sperling, den schoß ich eben jetzt herab. «Wer meine Passion für das edle Weid- und Schützenwerk kennt, den wird es nicht wundernehmen, dass ich dem vortrefflichen Schützen sogleich um den Hals fiel. Dass ich nichts sparte, auch ihn in meine Dienste zu ziehen, versteht sich von selbst. Wir zogen darauf weiter durch manche Stadt, durch manches Land und kamen endlich vor dem Berge Libanon[132] vorbei. Daselbst vor einem großen Zedernwalde stand ein derber, untersetzter Kerl und zog an einem Stricke, der um den ganzen Wald herumgeschlungen war.»Was ziehst du da, mein Freund?«fragte ich den Kerl. – »O, ich soll Bauholz holen und habe meine Axt zu Hause vergessen. Nun muss ich mir so gut helfen, als es angehen will. «Mit diesen Worten zog er in einem Ruck den ganzen Wald, bei einer Quadratmeile groß, wie einen Schilfbusch vor meinen Augen nieder. Was ich tat, das läßt sich raten. Ich hätte den Kerl nicht fahren lassen, und hätte er mir meinen ganzen Ambassadeurgehalt[133] gekostet. Als ich hierauf fürbaß und endlich auf ägyptischen Grund und Boden kam, erhob sich ein so ungeheuerer Sturm, dass ich mit allen meinen Wagen, Pferden und Gefolge schier umgerissen und in die Luft davongeführt zu werden fürchtete. Zur linken Seite unseres Weges standen sieben Windmühlen in einer Reihe, deren Flügel so schnell um ihre Achsen schwirrten als ein Rückenspindel der schnellsten Spinnerin. Nicht weit davon zur Rechten stand ein Kerl von Sir John Falstaffs Korpulenz und hielt sein rechtes Nasenloch mit seinem Zeigefinger zu. Sobald der Kerl unsere Not und uns so kümmerlich in diesem Sturme haspeln sah, drehete er sich halb um, machte Fronte gegen uns und zog ehrerbietig, wie ein Musketier[134] vor seinem Obersten, den Hut vor mir ab. Auf einmal regte sich kein Lüftchen mehr, und alle sieben Windmühlen standen plötzlich still. Erstaunt über diesen Vorfall, der nicht natürlich zuzugehen schien, schrie ich dem Unhold[135] zu:»Kerl, was ist das? Sitzt dir der Teufel im Leibe, oder bist du der Teufel selbst?«—»Um Vergebung, Ihro Exzellenz![136]«, antwortete mir der Mensch;»ich mache da nur meinem Herrn, dem Windmüller, ein wenig Wind. Um nun die sieben Windmühlen nicht ganz und gar umzublasen, musste ich mir wohl das eine Nasenloch zuhalten.«– Ei, ein vortreffliches Subjekt! dachte ich in meinem stillen Sinn. Der Kerl läßt sich gebrauchen, wenn du dereinst zu Hause kommst und dirs an Atem fehlt, alle die Wunderdinge zu erzählen, die dir auf deinen Reisen zu Land und Wasser aufgestoßen sind. Wir wurden daher bald des Handels eins. Der Windmacher[137] ließ seine Mühlen stehen und folgte mir.
Nachgerade wars nun Zeit, in Großkairo anzulangen. Sobald ich daselbst meinen Auftrag nach Wunsch ausgerichtet hatte, gefiel es mir, mein ganzes unnützes Gesandtengefolge außer meinen neuangenommenen nützlichern Subjekten zu verabschieden und mit diesen als ein bloßer Privatmann zurückzureisen. Da nun das Wetter gar herrlich und der berufene Nilstrom[138] über alle Beschreibung reizend war, so geriet ich in Versuchung, eine Barke zu mieten und bis Alexandrien[139] zu Wasser zu reisen. Das ging nun ganz vortrefflich bis in den dritten Tag. Sie haben, meine Herren, vermutlich schon mehrmals von den jährlichen Überschwemmungen des Nils gehört. Am dritten Tage, wie gesagt, fing der Nil ganz unbändig an zu schwellen, und am folgenden Tage war links und rechts das ganze Land viele Meilen weit und breit überschwemmet. Am fünften Tage nach Sonnenuntergang verwickelte sich meine Barke auf einmal in etwas, das ich für Ranken und Strauchwerk hielt. Sobald es aber am nächsten Morgen heller ward, fand ich mich überall von Mandeln umgeben, welche vollkommen reif und ganz vortrefflich waren. Als wir das Senkblei auswarfen, fand sich, dass wir wenigstens sechzig Fuß hoch über dem Boden schwebten und schlechterdings weder vor noch rückwärts konnten. Ohngefähr gegen acht oder neun Uhr, soviel ich aus der Höhe der Sonne abnehmen konnte, erhob sich plötzlicher Wind, der unsere Barke ganz auf eine Seite umlegte. Hierdurch schöpfte sie Wasser, sank unter, und ich hörte und sah in langer Zeit nichts wieder davon, wie Sie gleich vernehmen werden. Glücklicherweise retteten wir uns insgesamt, nämlich acht Männer und zwei Knaben, indem wir uns an den Bäumen festhielten, deren Zweige zwar für uns allein nicht für die Last unserer Barke hinreichten. In dieser Situation verblieben wir drei Wochen und drei Tage und lebten ganz allein von Mandeln. Dass es am Trunke nicht fehlte, verstehet sich von selbst. Am zweiundzwanzigsten Tage unsers Unsterns[140] fiel das Wasser wieder ebenso schnell, als es gestiegen war; und am sechsundzwanzigsten konnten wir wieder auf terra firma[141] fußen.
Unsere Barke war der erste angenehme Gegenstand, den wir erblickten. Sie lag ohngefähr zweihundert Klafter weit von dem Orte, wo sie gesunken war. Nachdem wir nun alles, was uns nötig und nützlich war, an der Sonne getrocknet hatten, so versahen wir uns mit den Notwendigkeiten aus unserm Schiffsvorrat und machten uns auf, unsere verlorne Straße wieder zu gewinnen. Nach der genauesten Berechnung fand sich, dass wir an die hundertundfunfzig Meilen weit über Gartenwände und mancherlei Gehege hinweggetrieben waren. In sieben Tagen erreichten wir den Fluß, der nun wieder in seinem Bette strömte, und erzählten unser Abenteuer einem Bei.[142] Liebreich half dieser allen unsern Bedürfnissen ab und sendete uns in einer von seinen eigenen Barken weiter. In ohngefähr sechs Tagen langten wir zu Alexandrien an, allwo wir uns nach Konstantinopel einschifften. Ich wurde von dem Großherrn überaus gnädig empfangen und hatte die Ehre, seinen Harem zu sehen, wo seine Hoheit selbst mich hineinzuführen und so viele Damen, selbst die Weiber nicht ausgenommen, anzubieten geruhten, als ich mir nur immer zu meinem Vergnügen auslesen wollte.
Mit meinen Liebesabenteuern pflege ich nie großzutun, daher wünsche ich Ihnen, meine Herren, jetzt insgesamt eine angenehme Ruhe.
Elftes Kapitel
Sechstes Seeabenteuer
Nach Endigung der ägyptischen Reisegeschichte wollte der Baron aufbrechen und zu Bette gehen, gerade als die erschlaffende Aufmerksamkeit jedes Zuhörers bei Erwähnung des großherrlichen Harems in neue Spannung geriet. Sie hätten gar zu gern noch etwas von dem Harem gehört. Da aber der Baron sich durchaus nicht darauf einlassen und gleichwohl der mit Bitten auf ihn losstürmenden muntern Zuhörerschaft nicht alles abschlagen wollte, so gab er noch einige Stückchen seiner merkwürdigen Dienerschaft zum besten und fuhr in seiner Erzählung also fort:
Bei dem Großsultan galt ich seit meiner ägyptischen Reise alles in allem. Seine Hoheit konnten gar ohne mich nicht leben und baten mich jeden Mittag und Abend bei sich zum Essen. Ich muss bekennen, meine Herren, dass der türkische Kaiser unter allen Potentaten[143] auf Erden den delikatesten Tisch führet. Jedoch ist dies nur von den Speisen, nicht aber von dem Getränke zu verstehen, da, wie Sie wissen werden, Mohameds Gesetz seinen Anhängern den Wein verbietet. Auf ein gutes Glas Wein muss man also an öffentlichen türkischen Tafeln Verzicht tun. Was indessen gleich nicht öffentlich geschieht, das geschieht doch nicht selten heimlich; und des Verbots ungeachtet weiß mancher Türk so gut als der beste deutsche Prälat,[144] wie ein gutes Glas Wein schmeckt. Das war nun auch der Fall mit Seiner türkischen Hoheit. Bei der öffentlichen Tafel, an welcher gewöhnlich der türkische Generalsuperintendent,[145] nämlich der Mufti,[146] in partem salarii mitspeisete und vor Tische das Aller Augen – nach Tische aber das Gratias beten[147] musste, wurde des Weines auch nicht mit einer einzigen Silbe gedacht. Nach aufgehobener Tafel aber wartete auf Seine Hoheit gemeiniglich ein gutes Fläschchen im Kabinette. Einst gab der Großsultan mir einen verstohlenen freundlichen Wink, ihm in sein Kabinett zu folgen. Als wir uns nun daselbst eingeschlossen hatten, holte er aus einem Schränkchen eine Flasche hervor und sprach:»Münchhausen, ich weiß, ihr Christen versteht euch auf[148] ein gutes Glas Wein. Da habe ich noch ein einziges Fläschchen Tokaier.[149] So delikat müßt Ihr ihn in Eurem Leben nicht getrunken haben. «Hierauf schenkten Seine Hoheit sowohl mir als sich eins ein und stießen mit mir an. – »Nun, was sagt Ihr? Gelt! es ist was Extrafeines?«—»Das Weinchen ist gut, Ihro Hoheit, «erwiderte ich;»allein mit Ihrem Wohlnehmen muss ich doch sagen, dass ich ihn in Wien beim hochseligen Kaiser Karl dem Sechsten weit besser getrunken habe. Potz[150] Stern! den sollten Ihro Hoheit einmal versuchen.«—»Freund Münchhausen, Euer Wort in Ehren! Allein es ist unmöglich, dass irgendein Tokaier besser sei. Denn ich bekam einst nur dies eine Fläschchen von einem ungarischen Kavalier, und er tat ganz verzweifelt rar damit.«—»Possen, Ihro Hoheit! Tokaier und Tokaier ist ein großmächtiger Unterschied. Die Herren Ungarn überschenken sich eben nicht. Was gilt die Wette, so schaffe ich Ihnen in Zeit einer Stunde geradesweges und unmittelbar aus dem Kaiserlichen Keller eine Flasche Tokaier, die aus ganz andern Augen sehen soll.«—»Münchhausen, ich glaube, Ihr faselt.«—»Ich fasele nicht. Geradesweges aus dem Kaiserlichen Keller in Wien schaffe ich Ihnen in Zeit von einer Stunde eine Flasche Tokaier von einer ganz andern Nummer als dieser Krätzer[151] hier.«—»Münchhausen, Münchhausen! Ihr wollt mich zum besten haben, und das verbitte ich mir.[152] Ich kenne Euch zwar sonst als einen überaus wahrhaften Mann, allein – jetzt sollte ich doch fast denken, Ihr flunkertet.«—»Ei nun, Ihro Hoheit! Es kommt ja auf die Probe an. Erfülle ich nicht mein Wort – denn von allen Aufschneidereien bin ich der abgesagteste Feind-, so lassen Ihro Hoheit mir den Kopf abschlagen. Allein mein Kopf ist kein Pappenstiel.[153] Was setzen Sie mir dagegen?«—»Topp![154] Ich halte Euch beim Worte. Ist auf den Schlag vier nicht die Flasche Tokaier hier, so kostets Euch ohne Barmherzigkeit den Kopf. Denn foppen lasse ich mich auch von meinen besten Freunden nicht. Besteht Ihr aber, wie Ihr versprecht, so könnet Ihr aus meiner Schatzkammer so viel an Gold, Silber, Perlen und Edelgesteinen nehmen, als der stärkste Kerl davonzuschleppen vermag.»
«Das läßt sich hören!«antwortete ich, bat mir gleich Feder und Tinte aus und schrieb an die Kaiserin-Königin Maria Theresia[155] folgendes Billett:[156]»Ihre Majestät haben ohnstreitig als Universalerbin[157] auch Ihres Höchstseligen Herrn Vaters Keller mitgeerbt. Dürfte ich mir wohl durch Vorzeigern dieses eine Flasche von dem Tokaier ausbitten, wie ich ihn bei Ihrem Herrn Vater oft getrunken habe? Allein von dem besten! Denn es gilt eine Wette. Ich diene gern dafür wieder, wo ich kann, und beharre übrigens usw.»
Dies Billett gab ich, weil es schon fünf Minuten über drei Uhr, nur sogleich offen meinem Läufer, der seine Gewichte abschnallen und sich unverzüglich auf die Beine nach Wien machen musste. Hierauf tranken wir, der Großsultan und ich, den Rest von seiner Flasche in Erwartung des bessern vollends[158] aus. Es schlug ein Viertel, es schlug halb, es schlug drei Viertel auf vier, und noch war kein Läufer zu hören und zu sehen. Nachgerade, gestehe ich, fing mir an ein wenig schwül zu werden, denn es kam mir vor, als blickten Seine Hoheit schon bisweilen nach der Glockenschnur, um nach dem Scharfrichter zu klingeln. Noch erhielt ich zwar Erlaubnis, einen Gang hinaus in den Garten zu tun, um frische Luft zu schöpfen,[159] allein es folgten mir auch schon ein paar dienstbare Geister nach, die mich nicht aus den Augen ließen. In dieser Angst, und als der Zeiger schon auf fünfundfunfzig Minuten stand, schickte ich noch geschwind nach meinem Horcher und Schützen. Sie kamen unverzüglich an, und der Horcher musste sich platt auf die Erde niederlegen, um zu hören, ob nicht mein Läufer endlich ankäme. Zu meinem nicht geringen Schrecken meldete er mir, dass der Schlingel[160] irgendwo, allein weit weg von hier, im tiefsten Schlafe läge und aus Leibeskräften[161] schnarchte. Dies hatte mein braver Schütze nicht so bald gehört, als er auf eine etwas hohe Terrasse lief und, nachdem er sich auf seine Zehen[162] noch mehr emporgereckt hatte, hastig ausrief:»Bei meiner armen Seele! Da liegt der Faulenzer unter einer Eiche bei Belgrad[163] und die Flasche neben ihm. Wart! Ich will dich aufkitzeln.«– Und hiermit legte er unverzüglich seine Kuchenreutersche Flinte an den Kopf und schoß die volle Ladung oben in den Wipfel des Baumes. Ein Hagel von Eicheln, Zweigen und Blättern fiel herab auf den Schläfer, erweckte und brachte ihn, da er selbst fürchtete, die Zeit beinahe verschlafen zu haben, dermaßen geschwind auf die Beine, dass er mit seiner Flasche und einem eigenhändigen Billett von Maria Theresia um neunundfunfzigundeinehalbe Minuten auf vier Uhr vor des Sultans Kabinette anlangte. Das war ein Gaudium![164] Ei, wie schlürfte das Großherrliche Leckermaul! – »Münchhausen, «sprach er,»Ihr müßt es mir nicht übelnehmen, wenn ich diese Flasche für mich allein behalte. Ihr steht in Wien besser als ich; Ihr werdet schon an noch mehr zu kommen wissen.«– Hiermit schloß er die Flasche in sein Schränkchen, steckte den Schlüssel in die Hosentasche und klingelte nach dem Schatzmeister. – O welch ein angenehmer Silberton meinen Ohren! – »Ich muss Euch nun die Wette bezahlen. – Hier!«– sprach er zum Schatzmeister, der ins Zimmer trat, – »laßt meinem Freunde Münchhausen so viel aus der Schatzkammer verabfolgen,[165] als der stärkste Kerl wegzutragen vermag.»
Der Schatzmeister neigte sich vor seinem Herrn bis mit der Nase zur Erde, mir aber schüttelte der Großsultan ganz treuherzig die Hand, und so ließ er uns beide gehen.
Ich säumte nun, wie Sie denken können, meine Herren, keinen Augenblick, die erhaltene Assignation geltend zu machen, ließ meinen Starken mit seinem langen hänfenen Stricke kommen und verfügte mich in die Schatzkammer. Was da mein Starker, nachdem er sein Bündel geschnürt hatte, übrigließ, das werden Sie wohl schwerlich holen wollen. Ich eilte mit meiner Beute geradesweges nach dem Hafen, nahm dort das größte Lastschiff, das zu bekommen war, in Beschlag und ging wohlbepackt mit meiner ganzen Dienerschaft unter Segel, um meinen Fang in Sicherheit zu bringen, ehe was Widriges[166] dazwischenkam. Was ich befürchtet hatte, das geschah. Der Schatzmeister hatte Tür und Tor von der Schatzkammer offen gelassen – und freilich wars nicht groß mehr nötig, sie zu verschließen —, war über Hals und Kopf[167] zum Großsultan gelaufen und hatte ihm Bericht abgestattet, wie vollkommen wohl ich seine Assignation genutzt hatte. Das war denn nun dem Großsultan nicht wenig vor den Kopf gefahren. Die Reue über seine Übereilung konnte nicht lange ausbleiben. Er hatte daher gleich dem Großadmiral befohlen, mit der ganzen Flotte hinter mir herzueilen und mir zu insinuieren,[168] dass wir so nicht gewettet hätten. Als ich daher noch nicht zwei Meilen weit in die See war, so sah ich schon die ganze türkische Kriegsflotte mit vollen Segeln hinter mir herkommen, und ich muss gestehen, dass mein Kopf, der kaum wieder fest geworden war, nicht wenig von neuem anfing zu wackeln. Allein nun war mein Windmacher bei der Hand und sprach:»Lassen sich Ihro Exzellenz nicht bange sein!«Er trat hierauf auf das Hinterverdeck meines Schiffes, so dass sein eines Nasenloch nach der türkischen Flotte, das andere aber auf unsere Segel gerichtet war, und blies eine so hinlängliche Portion Wind, dass die Flotte, an Masten, Segel- und Tauwerk gar übel zugerichtet, nicht nur bis in den Hafen zurückgetrieben, sondern auch mein Schiff in wenig Stunden glücklich nach Italien getrieben ward. Von meinem Schatze kam mir jedoch wenig zugute. Denn in Italien ist, trotz der Ehrenrettung des Herrn Bibliothekar Jagemann in Weimar,[169] Armut und Bettelei so groß und die Polizei so schlecht, dass ich erstlich, weil ich vielleicht eine allzu gutwillige Seele bin, den größten Teil an die Straßenbettler ausspenden musste. Der Rest aber wurde mir auf meiner Reise nach Rom auf der geheiligten Flur von Loretto durch eine Bande Straßenräuber abgenommen. Das Gewissen wird diese Herren nicht sehr darüber beunruhigt haben. Denn ihr Fang war noch immer so ansehnlich, dass um den tausendsten Teil die ganze honette[170] Gesellschaft sowohl für sich als ihre Erben und Erbnehmer auf alle vergangenen und zukünftigen Sünden vollkommenen Ablaß selbst aus der ersten und besten Hand in Rom dafür erkaufen konnte. —
Nun aber, meine Herren, ist in der Tat mein Schlafstündchen da. Schlafen Sie wohl!
Zwölftes Kapitel
Siebentes Seeabenteuer nebst authentischer Lebensgeschichte eines Partisans, der nach der Entfernung des Barons als Sprecher auftritt
Nach Endigung des vorigen Abenteuers ließ sich der Baron nicht länger halten, sondern brach wirklich auf und verließ die Gesellschaft in der besten Laune. Doch versprach er erst die Abenteuer seines Vaters, auf die seine Zuhörer noch immer spannten, ihnen nebst manchen andern merkwürdigen Anekdoten bei der ersten besten Gelegenheit zu erzählen.
Als sich nun jedermann nach seiner Weise über die Unterhaltung herausließ, die er soeben verschafft hatte, so bemerkte einer von der Gesellschaft, ein Partisan des Barons, der ihn auf seiner Reise in die Türkei begleitet hatte, dass unweit Konstantinopel ein ungeheuer großes Geschütz befindlich sei, dessen der Baron Tott in seinen neulich herausgekommenen Denkwürdigkeiten ganz besonders erwähnet. Was er davon meldet, ist, soviel ich mich erinnere, folgendes:»Die Türken hatten ohnweit der Stadt über der Zitadelle auf dem Ufer des berühmten Flusses Simois[171] ein ungeheueres Geschütz aufgepflanzt. Dasselbe war ganz aus Kupfer gegossen und schoß eine Marmorkugel, wenigstens elfhundert Pfund an Gewicht. Ich hatte große Lust, sagt Tott, es abzufeuern, um erst aus seiner Wirkung gehörig zu urteilen. Alles Volk um mich her zitterte und bebte, weil es sich versichert hielt, dass Schloß und Stadt davon übern Haufen stürzen würden. Endlich ließ doch die Furcht ein wenig nach, und ich bekam Erlaubnis, das Geschütz abzufeuern. Es wurden nicht weniger als dreihundertunddreißig Pfund Pulver dazu erfordert, und die Kugel wog, wie ich vorhin sagte, elfhundert Pfund. Als der Kanonier[172] mit dem Zünder ankam, zog sich der Haufen, der mich umgab, so weit zurück, als er konnte. Mit genauer Not überredete ich den Bassa, der aus Besorgnis herzukam, dass keine Gefahr zu besorgen sei. Selbst dem Kanonier, der es nach meiner Anweisung abfeuern sollte, klopfte vor Angst das Herz. Ich nahm meinen Platz in einer Mauerschanze hinter dem Geschütz, gab das Zeichen und fühlte einen Stoß wie von einem Erdbeben. In einer Entfernung von dreihundert Klaftern zersprang die Kugel in drei Stücke; diese flogen über die Meerenge, prallten von dem Wasser empor an die gegenseitigen Berge und setzten den ganzen Kanal, so breit er war, in einen Schaum.»
Dies, meine Herren, ist, soviel ich mich erinnere, Baron Totts Nachricht von der größten Kanone in der bekannten Welt. Als nun der Herr von Münchhausen und ich jene Gegend besuchten, wurde die Abfeuerung dieses ungeheueren Geschützes durch den Baron Tott uns als ein Beispiel der außerordentlichen Herzhaftigkeit dieses Herrn erzählt.
Mein Gönner,[173] der es durchaus nicht vertragen konnte, dass ein Franzose ihm etwas zuvorgetan haben sollte, nahm ebendieses Geschütz auf seine Schulter, sprang, als ers in seine eigentliche waagrechte Lage gebracht hatte, geradesweges ins Meer und schwamm damit an die gegenseitige Küste. Von dort aus versuchte er unglücklicherweise die Kanone auf ihre vorige Stelle zurückzuwerfen. Ich sage, unglücklicherweise! Denn sie glitt ihm ein wenig zu früh aus der Hand, gerade als er zum Wurf ausholte. Hierdurch geschah es denn, dass sie mitten in den Kanal fiel, wo sie nun noch liegt und wahrscheinlich bis an den Jüngsten Tag liegen bleiben wird.
Dies, meine Herren, war es eigentlich, womit es der Herr Baron bei dem Großsultan ganz und gar verdarb. Die Schatzhistorie, der er vorhin seine Ungnade beimaß, war längst vergessen. Denn der Großsultan hat ja genug einzunehmen und konnte seine Schatzkammer bald wieder füllen. Auch befand der Herr Baron auf eine eigenhändige Wiedereinladung des Großsultans sich erst jetzt zum letzten Male in der Türkei und wäre vielleicht wohl noch da, wenn der Verlust dieses berüchtigten Geschützes den grausamen Türken nicht so aufgebracht hätte, dass er nun unwiderruflich den Befehl gab, dem Baron den Kopf abzuschlagen. Eine gewisse Sultanin aber, von welcher er ein großer Liebling geworden war, gab ihm nicht nur unverzüglich von diesem blutgierigen Vorhaben Nachricht, sondern verbarg ihn auch so lange in ihrem eigenen Gemache, als der Offizier, dem die Exekution aufgetragen war, mit seinen Helfershelfern nach ihm suchte. In der nächstfolgenden Nacht flüchteten wir an den Bord eines nach Venedig[174] bestimmten Schiffes, welches gerade im Begriffe war[175] unter Segel zu gehen, und kamen glücklich davon.
Dieser Begebenheit erwähnt der Baron nicht gern, weil ihm da sein Versuch mißlang und er noch dazu um ein Haar sein Leben obendrein verloren hätte. Da sie gleichwohl ganz und gar nicht zu seiner Schande gereicht, so pflege ich sie wohl bisweilen hinter seinem Rücken zu erzählen.
Nun, meine Herren, kennen Sie insgesamt den Herrn Baron von Münchhausen und werden hoffentlich an seiner Wahrhaftigkeit im mindesten nicht zweifeln. Damit Ihnen aber auch kein Zweifel gegen die meinige zu Kopfe steige, ein Umstand, den ich so schlechtweg[176] eben nicht voraussetzen mag, so muss ich Ihnen doch ein wenig sagen, wer ich bin. Mein Vater, oder wenigstens derjenige, welcher dafür gehalten wurde, war von Geburt ein Schweizer aus Bern.[177] Er führte daselbst eine Art von Oberaufsicht über Straßen, Alleen, Gassen und Brücken. Diese Beamten heißen dortzulande – hm! – Gassenkehrer.[178] Meine Mutter war aus den savoyischen Gebirgen[179] gebürtig und trug einen überaus schönen großen Kropf am Halse, der bei den Damen jener Gegend etwas sehr Gewöhnliches ist. Sie verließ ihre Eltern sehr jung und ging ihrem Glücke in ebender Stadt nach, wo mein Vater das Licht der Welt erblickt hatte. Solange sie noch ledig war, gewann sie ihren Unterhalt durch allerlei Liebeswerke[180] an unserm Geschlechte. Denn man weiß, dass sie es niemals abschlug, wenn man sie um eine Gefälligkeit ansprach und besonders ihr mit gehöriger Höflichkeit in der Hand zuvorkam. Dieses liebenswürdige Paar begegnete einander von ohngefähr auf der Straße, und da sie beiderseits ein wenig berauscht waren, so taumelten sie gegeneinander und taumelten sich alle beide über den Haufen. Wie sich nun bei dieser Gelegenheit ein Teil immer noch unnützer machte als der andere und das Ding zu laut wurde, so wurden sie alle beide erst in die Scharwache,[181] hernach aber in das Zuchthaus geschleppt. Hier sahen sie bald die Torheit ihrer Zänkerei ein, machten alles wieder gut, verliebten sich und heuerateten einander. Da aber meine Mutter zu ihren alten Streichen zurückkehrte, so trennte mein Vater, der gar hohe Begriffe von Ehre hatte, sich ziemlich bald von ihr und wies ihr die Revenüen von einem Tragkorbe zu ihrem künftigen Unterhalte an. Sie vereinigte sich hierauf mit einer Gesellschaft, die mit einem Puppenspiel umherzog. Mit der Zeit führte sie das Schicksal nach Rom, wo sie eine Austerbude hielt.