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Drei Kameraden / Три товарища. Книга для чтения на немецком языке
Drei Kameraden / Три товарища. Книга для чтения на немецком языке
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Drei Kameraden / Три товарища. Книга для чтения на немецком языке

»So sehen Sie aus! Rumtreiber seid ihr alle miteinander. Die Brokatsessel können Sie haben. Stellen Sie die roten Plüsch solange in den Salon.«

»Danke schön. Morgen bringe ich alles zurück. Den Teppich auch.«

»Teppich?« Sie drehte sich um. »Wer hat denn hier ein Wort vom Teppich gesagt?«

»Ich. Und Sie auch, eben gerade.«

Sie sah mich entrüstet an. »Der gehört doch dazu«, sagte ich. »Die Sessel stehen doch drauf.«

»Herr Lohkamp«, erklärte Frau Zalewski majestätisch, »treiben Sie es nicht zu weit! Mäßigkeit in allem, war ein Wort des seligen Zalewski. Das könnten Sie auch mal beherzigen.«

Ich wußte, daß der selige Zalewski sich trotz dieses Wahlspruches buchstäblich totgesoffen hatte. Seine Frau hatte mir das selbst bei anderen Gelegenheiten oft genug erzählt. Aber das machte ihr nichts aus. Sie benützte ihren Mann, wie andere Leute die Bibel: zum Zitieren. Und je länger er tot war, desto mehr schob sie ihm zu. Er paßte jetzt schon auf alles – wie die Bibel.

Ich war dabei, meine Bude auszuschmücken. Nachmittags hatte ich mit Patrice Hollmann telefoniert. Sie war krank gewesen, und ich hatte sie fast eine Woche nicht mehr gesehen. Jetzt waren wir um acht Uhr verabredet, und ich hatte ihr vorgeschlagen, bei mir zu essen und nachher in ein Kino zu gehen.

Die Brokatsessel und der Teppich wirkten pompös; aber die Beleuchtung dazu war schrecklich. Ich klopfte deshalb nebenan bei der Familie Hasse, um mir eine Tischlampe auszuleihen. Frau Hasse saß müde am Fenster. Ihr Mann war noch nicht da. Er arbeitete jeden Tag freiwillig ein bis zwei Stunden länger, um nur ja nicht entlassen zu werden. Die Frau hatte etwas von einem kranken Vogel. In ihren schwammigen, alternden Zügen war immer noch das schmale Gesicht eines Kindes zu erkennen – eines enttäuschten, traurigen Kindes.

Ich brachte mein Anliegen vor. Sie lebte auf und holte mir die Lampe. »Ach ja«, sagte sie seufzend, »wenn ich noch so daran denke, früher…«

Ich kannte die Geschichte. Sie handelte von den Aussichten, die sie gehabt hätte, wenn sie Hasse nicht genommen hätte. Ich kannte dieselbe Geschichte auch in der Fassung Hasses. Da handelte sie von den Aussichten, die er gehabt hätte, wenn er Junggeselle geblieben wäre. Es war wahrscheinlich die häufigste Geschichte der Welt. Auch die aussichtsloseste.

Ich hörte eine Weile zu, erwiderte ein paar Gemeinplätze und begab mich zu Erna Bönig, um mir ihr Grammophon zu holen.

Frau Hasse sprach von Erna nur als von der Person nebenan. Sie verachtete sie, weil sie sie beneidete. Ich mochte sie ganz gern. Sie machte sich nichts vor über das Leben und wußte, daß man sich dranhalten mußte, um ein bißchen von dem zu erwischen, was man so Glück nannte. Sie wußte auch, daß man es doppelt und dreifach bezahlen mußte. Glück war die ungewisseste Sache der Welt mit dem höchsten Preis.

Erna kniete vor ihrem Koffer nieder und suchte mir eine Anzahl Platten heraus. »Wollen Sie Foxtrotts?« fragte sie.

»Nein«, erwiderte ich. »Ich kann nicht tanzen.«

Sie sah erstaunt auf. »Sie können nicht tanzen? Ja, was machen Sie dann, wenn Sie ausgehen?«

»Ich tanze mit der Gurgel. Das geht auch ganz gut.«

Sie schüttelte den Kopf. »Ein Mann, der nicht tanzen kann, wäre bei mir abgemeldet.«

»Sie haben strenge, Grundsätze«, erwiderte ich. »Aber es gibt ja auch noch andere Platten. Sie spielten da neulich eine sehr schöne – es war eine Frauenstimme mit so einer Art Hawaiimusik…«

»Ah, die ist fabelhaft. >Wie hab’ ich nur leben können ohne dich…<, nicht wahr?«

»Richtig! Was so Schlagerdichtern alles einfällt! Ich glaube, es sind die einzigen Romantiker, die es noch gibt.«

Sie lachte. »Warum auch nicht? So ein Grammophon ist ja auch wie eine Art Stammbuch. Früher schrieb man sich Verse ins Album – heute schenkt man sich Grammophonplatten. Wenn ich mich an irgend etwas erinnern will, brauche ich nur die Platte von damals aufzulegen, und schon ist alles wieder da.«

Ich sah auf die Stöße von Platten herab, die auf der Erde lagen. »Daran gemessen, Erna, müssen Sie einen Haufen Erinnerungen haben.«

Sie stand auf und strich sich das rötliche Haar zurück. »Ja«, sagte sie und schob einen Pack mit dem Fuß beiseite, »aber eine einzige richtige wäre mir lieber…«

Ich packte aus, was ich zum Abendbrot eingekauft hatte, und machte alles zurecht, so gut ich konnte. Aus der Küche war keine Hilfe für mich zu erwarten, dazu stand ich mit Frida zu schlecht. Sie hätte mir höchstens etwas umgeworfen. Aber es ging auch so, und bald kannte ich meine alte Bude nicht wieder in ihrem neuen Glanz. Die Sessel, die Lampe, der gedeckte Tisch – ich spürte, wie eine unruhige Erwartung sich in mir sammelte.

Ich brach auf, obschon ich noch über eine Stunde Zeit hatte. Draußen wehte der Wind in langen Stößen um die Ecken der Häuser. Die Laternen brannten schon. Die

Dämmerung zwischen den Häusern war blau wie ein Meer. Das International schwamm darin wie ein abgetakeltes Kriegsschiff. Ich machte einen Sprung hinein.

»Hoppla, Robert«, sagte Rosa.

»Was machst du denn hier?« fragte ich. »Willst du nicht auf Tour?«

»Ist noch etwas zu früh.«

Alois schlich heran. »Einstöckig?« fragte er.

»Dreistöckig«, erwiderte ich.

»Gehst ja mächtig ‘ran«, meinte Rosa.

»Brauche etwas Mumm«, sagte ich und kippte den Rum.

»Spielst du was?« fragte Rosa.

Ich schüttelte den Kopf. »Keine Lust heute. Zu windig, Rosa. Was macht das Kleine?«

Sie lächelte mit all ihren Goldzähnen. »Unberufen, gut. Morgen gehe ich wieder hin. Habe diese Woche gute Kasse gehabt; den alten Böcken steckt das Frühjahr schon in den Knochen. Da bringe ich ihr ein neues Mäntelchen mit. Rote Wolle.«

»Rote Wolle ist der letzte Modeschrei.«

»Du bist ein Kavalier, Robby.«

»Wenn du dich da man nicht irrst. Komm, trink eins mit. Anisette, was?«

Sie nickte. Wir stießen an. »Sag mal, Rosa, was hältst du eigentlich von der Liebe?« fragte ich. »Du verstehst doch was davon.«

Sie brach in ein schallendes Gelächter aus. »Hör auf damit«, sagte sie dann. »Liebe! Ach, mein Arthur – wenn ich an den Lumpen denke, werde ich immer noch schwach in den Knien. Will dir was sagen, Robby, im Ernst gesprochen: Das menschliche Leben ist zu lang für die Liebe. Einfach zu lang. Das hat mir mein Arthur erklärt, als er abgehauen ist. Und das stimmt. Liebe ist wunderbar. Aber einem ist sie immer zu lang. Und der andere, der sitzt dann da und stiert. Stiert wie wahnsinnig.«

»Klar«, sagte ich. »Aber ohne Liebe ist man doch eigentlich auch bloß ‘ne Leiche auf Urlaub.«

»Mach’s wie ich«, erwiderte Rosa, »schaff dir ein Kind an. Da hast du was zum Lieben und hast deine Ruhe dabei.«

»Nicht dumm«, sagte ich. »Hat mir grade noch gefehlt.«

Rosa wiegte träumerisch den Kopf. »Was hab’ ich von meinem Arthur für Schläge gekriegt – und trotzdem, wenn er jetzt hier ‘reinkäme, die Melone so schief nach hinten auf dem Kopf —, Mensch, Junge, ich bibbere schon, wenn ich dran denke.«

»Wollen eins auf Arthurs Wohl trinken.«

Rosa lachte. »Der Hurenbock soll leben! Prost!«

Wir tranken aus. »Wiedersehen, Rosa. Gutes Geschäft heute abend!«

»Danke! Wiedersehen, Robby!«