Книга Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars. - читать онлайн бесплатно, автор Albert Daiber. Cтраница 2
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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.
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Die Weltensegler. Drei Jahre auf dem Mars.

Zweites Kapitel

Die Abreise der Weltensegler

Für Professor Stiller und seine Gefährten vergingen die folgenden Tage in fieberhafter Tätigkeit mit den Vorbereitungen zur Reise. Auch auf dem Cannstatter Wasen in der Werkstätte des Weltenseglers herrschte wieder regste Tätigkeit. Das Luftschiff war aus der gewaltigen Halle heraus auf den großen, freien Platz davor gebracht und hier fest verankert worden. Nun erst konnte man die riesigen Formen des Ballons richtig erkennen. Er hatte eine länglich ovale Gestalt, ebenso die an ihm befestigte geschlossene Gondel. Infolge dieser Ähnlichkeit machte die Gondel den Eindruck, als befinde sich ein zweiter kleinerer Ballon unterhalb des großen, gewissermaßen wie Mutter und Kind.

Die Länge des Luftschiffes betrug, von einer Spitze zur andern gemessen, zweihundert Meter, die mittlere Höhe zwanzig Meter.

Das innere Gerippe des Ballons bestand aus einem Netzwerk von luftleer gemachten, sehr dünnen, aber außerordentlich starken Metallblechröhren. Darüber legte sich ein zweites, gleich konstruiertes Gerippe und über dieses ein drittes. Wohl waren die drei Lagen unter sich verbunden, aber doch so, daß auch jede einzelne für sich allein tätig sein und die Gondel tragen konnte. Es war sozusagen ein dreifach übereinander gestülpter Ballon.

Zur Anfertigung der Metallröhren wurde die von Professor Samuel Schwab in Tübingen neu entdeckte Metallmischung, Suevit genannt, verwendet. Diese Mischung zeichnete sich durch außerordentliche Leichtigkeit, fabelhafte Widerstandsfähigkeit und gewaltige Tragkraft aus und stellte alle bis jetzt in dieser Richtung bekannten Metallpräparate in den Schatten. Suevit bestand der Hauptsache nach aus Aluminium, dem aber in bestimmtem prozentualem Verhältnisse Wolfram neben etwas Kupfer und Vanadium beigegeben war. Diese Legierung ließ sich zu feinstem Blech auswalzen, ohne dabei von ihrer Widerstandskraft auch nur das geringste einzubüßen. Aus diesem Blech nun wurden die Röhren geformt, die zur Anfertigung der drei Ballongerippe dienten. Die Röhren waren nahtlos und wurden, nachdem sie auf das sorgfältigste luftleer gemacht worden waren, mit dem neuen merkwürdigen Gase Argonauton gefüllt.

Zur Umhüllung der einzelnen Metallgerippe diente das von dem leider zu früh verstorbenen Eßlinger Großindustriellen Wilhelm Weckerle erfundene Gewebe aus Seide und Leinen, das das Staunen und die Vewunderung der gesamten Textilbranche erregte. Die Fäden dieses Gewebes wurden auf eigens dazu gebauten Webstühlen mittels neuer Maschinen auf geistreiche Weise so miteinander verknüpft, daß sie nahezu unzerreißbar und von wunderbarer Glätte wurden. Jeder einzelne der drei Ballons wurde mit dem Stoff umhüllt, dann erst wurde dieser so lange mit Kautschuklösung getränkt, als er aufnahmefähig war. Durch dieses Verfahren wurde der Stoff für das Gas vollständig undurchdringlich gemacht. Nichtsdestoweniger wurde der Vorsicht wegen das Ganze noch mit einer dünnen Kautschukmasse umgeben und auf diese endlich die Pillerinlösung aufgetragen, eine von Professor Piller in Tübingen zu diesem Zwecke hergestellte Eisensilikatflüssigkeit. Sie gab dem Überzuge eine einer Panzerung ähnliche Widerstandskraft, die selbst durch Anwendung größter äußerer Gewalt kaum überwunden werden konnte. Der Ballon stellte so das Ideal des starren Systems des Luftschiffes dar.

In dieser peinlich genauen Art wurden auch die einzelnen Bestandteile des Ballons behandelt. Die Berechnung war so getroffen, daß auch nach einem etwaigen Verlust der ersten, äußersten Hülle oder, was kaum anzunehmen war, auch der zweiten mittleren, die innerste immer noch als selbständiges Ganzes zu funktionieren und die Gondel zu tragen vermochte.

Auf diese Weise suchte Professor Stiller allen nur möglichen Gefahren im Weltraum erfolgreich zu trotzen. Jede Ballonhülle war mit einer besonderen Klappe versehen, die vom Gondelinnern aus dirigiert werden konnte.

Der Ballon war, wie bereits gesagt, mit dem neu entdeckten, spezifisch unendlich leichten Gase Argonauton gefüllt. Kaum noch wägbar (0,01), besaß das Argonauton die unschätzbare Eigenschaft, weder durch enorme Hitze (+1350 Grad), noch durch größte Kälte (-500 Grad) irgendwie in seinem Aggregatzustande beeinflußt oder gar verändert zu werden. Es war zur Zeit noch das einzige wirklich beständige oder permanente Gas, das Rätsel der Gelehrtenwelt.

Das Gerippe der Gondel bestand aus derselben Art von Röhren und einem Überzuge aus Weckerleschem Gewebe, das in ähnlicher Weise wie der Ballon mit Kautschuk überzogen und mit Pillerinlösung widerstandsfähig gemacht worden war; Außerdem trug die Gondel noch eine dicke Isolierschicht aus Asbest. Im Innern aber war sie dicht mit Pelzwerk ausgeschlagen; galt es doch, dem Wärmeverlust im ungeheuer kalten Ätherraume, dessen Temperatur auf 120 bis 150 Grad Celsius unter Null geschätzt wurde, nach Möglichkeit vorzubeugen. An Sitz- wie Liegegelegenheit fehlte es in der Gondel nicht. Ihr Inneres machte sogar einen äußerst wohnlichen und behaglichen Eindruck. An den Längsseiten der zehn Meter langen und fünf Meter breiten Gondel befanden sich in einer Art von Schränken die Vorräte von den verschiedenartigsten Nahrungsmitteln.

Unterhalb der Vorratsräume liefen die Leitungen der elektrischen Apparate für Heizung und Beleuchtung des Gondelinnern und diejenigen für die Erneuerung der Luft. Die Fortschritte der technischen Wissenschaften hatten es möglich gemacht, ganz gewaltige Mengen elektrischer Kraft auf einem verhältnismäßig kleinen Raume festzulegen. Auf diese Weise nur war es dem Weltensegler möglich, ohne nennenswerte Mehrbelastung diejenigen Energiemengen an elektrischer Kraft mit sich zu führen, die in ihrer umgesetzten Form als Licht und Wärme nicht nur die Existenz der Gondelbewohner ermöglichen, sondern auch zur Vorwärtsbewegung und Lenkung des Luftschiffes selbst dienen sollten. Für letztere Zwecke waren am Ballonkörper selbst seitwärts, rechts und links, Luftschrauben angebracht, die durch die elektrische Kraft von der Gondel aus in Tätigkeit gesetzt werden konnten. Zur ebenfalls elektrisch betriebenen Steuerung dienten mit dem imprägnierten Weckerleschen Stoffe bespannte, wagrecht wie senkrecht einstellbare große, mit Suevitröhren eingefaßte Flächen. Dadurch war eine Steuerung nach zwei Richtungen hin möglich, horizontal sowohl wie auch vertikal.

Die in metallene Behälter eingeschlossene feste, kristallinische Luft, im Augenblicke ihres Kontaktes mit äußerer, gasförmiger Luft sofort sich verflüssigend und fein zerstäubend, nahm, trotz großer Vorratsmenge, ebenfalls nicht allzuviel Raum und Gewicht in Anspruch.

So waren die wichtigsten, elementarsten Bedingungen erfüllt, die das großartige Unternehmen zu einem erfolgreichen Ergebnis führen konnten. Seit sich der Weltensegler im Freien befand, allen Augen sichtbar, strömte eine Menge neugieriger Besucher herbei, um ihn zu bewundern, die Erbauer mit Fragen zu bestürmen und sie um allerlei Auskunft zu bitten. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich nun endlich in dem ihnen am meisten zusagenden Elemente. Sie schwammen förmlich in Stolz, Wonne und erhöhtem Selbstgefühl, waren sie doch in diesem Augenblick die wichtigsten und dank ihrer Intelligenz als Erbauer auch die angesehensten Persönlichkeiten nicht allein Groß-Stuttgarts, sondern sogar der gesamten Welt. Ihre Namen waren in aller Munde. Was konnten sie mehr verlangen? Selten wird einem Irdischen das große Los zuteil, allgemein mit Hochachtung genannt zu werden. Unter den staunenden Besuchern des Cannstatter Wasens waren Vertreter aller möglichen Völker erschienen, Gelehrte und Ungelehrte, Hochkultivierte und Halbwilde, Männer, Frauen und Kinder, war es ja doch seit Monaten schon durch Zeitungen und Spezialberichte überall, diesseits und jenseits der Ozeane, bekannt geworden, daß das große, unerhört verwegene Wagnis einer Reise nach dem fernen Mars anfangs Dezember vom Herzen des Schwabenlandes aus zur Ausführung kommen sollte. Die Namen Blieder und Schnabel waren daher in den fernsten Winkel des Erdballes getragen worden als die kühnen Schöpfer des Luftschiffes, das als erstes die unendlichen Räume des Weltenäthers durchschnitt.

Mit der Zunahme der Besucher stieg die allgemeine Erregung, als der Tag des Aufstieges des Weltenseglers langsam näher rückte. Nach Hunderttausenden wurden die Fremden geschätzt, die nach Groß-Stuttgart geströmt waren, um das in seiner Art einzige Schauspiel zu sehen, ein Schauspiel, von dem noch in den fernsten Zeiten als von einer wunderbaren Begebenheit gesprochen werden mußte. Nur persönlich dabei zu sein, den Augenblick des Aufstieges in seiner ganzen Wucht der Eigenart auf sich einwirken zu lassen, von diesem einzigen Wunsche waren alle Besucher beseelt. Sie zahlten gewaltige Preise für ihre Unterkunft. Wer mit dem Geld nicht verschwenderisch um sich werfen konnte, fand weit und breit in und um Stuttgart herum keine Unterkunft. Nicht nur waren die Gasthäuser bis unter das Dach hinauf besetzt, nein, auch die Häuser von Privaten waren gefüllt. Noch niemals hatte Stuttgart mit seiner Umgebung einen so ungeheuren Fremdenstrom erlebt, wie in diesen Tagen.

Auf dem Wasen selbst war das Leben und Treiben der Menschenmenge nachgerade lebensgefährlich geworden. Man stieß und drängte sich förmlich. Überall war ein fürchterliches Pressen und Schieben, dazwischen ein Lachen und Schimpfen und Wettern in allen Sprachen der Völker. Jeder und jede wollte so nahe als möglich an den Weltensegler gelangen, an dieses Wunder der Technik, dieses stolze Erzeugnis wissenschaftlicher Berechnung. Alle wollten das Werk möglichst genau sehen und betrachten, womöglich auch befühlen und einen Blick in die merkwürdig eingerichtete Gondel werfen; sollte diese doch für viele Wochen der Aufenthaltsort der berühmten sieben Gelehrten sein, die ohne Rücksicht auf ihr Leben die einem Märchen gleiche Reise nach einer andern Welt unternahmen, einer Welt, die in schwindelerregend weiter Ferne von der Erde sich befand.

Die Meinungen über das Gelingen oder Mißlingen der Expedition waren beim Publikum noch immer geteilt. Darüber aber waren sich alle einig, daß das Unternehmen an Kühnheit und Großartigkeit alles in den Schatten stellte, was die Welt bisher gesehen, und daß die Männer der Expedition an Mut und Entschlossenheit nicht ihresgleichen fanden.

So war der 7. Dezember herangekommen, der ewig denkwürdige Tag, an dem nachmittags punkt vier Uhr der Aufstieg des Weltenseglers stattfinden sollte. Kurz nach Tagesanbruch war Professor Stiller auf der Baustelle erschienen. Die Herren Blieder und Schnabel befanden sich bereits auf dem Platze und erwarteten den Professor. Ebenso waren sämtliche am Weltensegler beschäftigte Arbeiter angetreten. Der Ballon wie die Gondel wurden einer scharfen, eingehenden Besichtigung unterworfen. Die von Professor Stiller gerügten Ausstände waren beseitigt. Einige kleinere Anstände, die der Professor da und dort noch entdeckte, verbesserten die Arbeiter sehr rasch. Nachdem auch das Kleinste geordnet war, stieg Professor Stiller in die Gondel. Ihm folgten die Herren Blieder und Schnabel sowie einige der ersten Arbeiter.

Die Taue, mit denen das Riesenluftschiff am Boden befestigt war, wurden vorsichtig gelöst. Langsam, in stolzer Sicherheit erhob sich der Weltensegler gen Himmel. Unterdessen hatte sich trotz der frühen Morgenstunde eine Menge von Neugierigen auf dem Wasen eingefunden, die mit Staunen und lauter Bewunderung den Bewegungen des Luftschiffes folgten. Hoch oben in der Luft, kaum noch erkennbar, bald rückwärts, bald vorwärts flog der Weltensegler, willig der Steuerung gehorchend wie das flinkste Schiff im Wasser. In raschem Fluge und weitem Bogen zog das Luftschiff über Stuttgart hin, kehrte wieder über den Ort des Aufstieges zurück und ließ sich langsam und majestätisch genau auf dem Punkt nieder, von dem es ausgegangen war.

Ein tausendstimmiges Bravo der Zuschauer, wie ein Donner klingend, belohnte die gelungene Probefahrt. Nun konnte es tatsächlich keinem Zweifel mehr unterliegen, daß ein so wunderbar schnell fliegendes und leicht lenkbares Luftschiff wie der Weltensegler den höchsten aeronautischen Anforderungen genügen, daß die Reise wirklich zu einem befriedigenden Ziele, zu einem günstigen Ergebnis führen mußte.

Mit Befriedigung verließ Professor Stiller die Gondel. Die Sache war besser ausgefallen, als er vor wenigen Tagen selbst noch geglaubt hatte. Sein so lange genährter und auch berechtigter Unmut gegen die Herren Blieder und Schnabel wich freundlicheren Gefühlen, als er sich von ihnen verabschiedete. Gern übersah er deshalb auch, daß die Erbauer des Weltenseglers eigentlich nur die Handlanger bei der Ausführung des Erzeugnisses seiner eigenen Geistesarbeit gewesen waren, und gönnte ihnen den leicht und billig verdienten Ruhm. Neidlos überließ er seine alten Schulgenossen dem herbeiströmenden Publikum, das diese mit Glückwünschen zu dem genialen Bau und der gelungenen Probefahrt des Weltenseglers überschüttete.

Es ging auf ein halb vier Uhr nachmittags. Ein Meer von Menschen wogte auf dem Wasen. Von Minute zu Minute stieg die Erwartung, denn bald sollten die kühnen Weltensegler, die sieben berühmten Gelehrten, Deutschlands und Schwabens Stolz und Zier, auf dem Wasen eintreffen, um in dem Luftschiff mit dem so treffenden Namen die ungeheuerliche Reise anzutreten. Punkt ein halb vier Uhr begannen die Glocken aller Türme von Groß-Stuttgart zu läuten. Es war ein harmonisches, feierliches Konzert, würdig des bevorstehenden ernsten und zugleich so großartigen Augenblicks. Aus dem Tale des Nesenbachs heraus wie aus dem des Neckars verkündete der laute, eherne Mund der Glocken das Hohelied von Mut, von Kühnheit und dem Menschengeist, der sich über den einengenden Erdenkreis hinaus erhob und sich einen Verkehr mit jenen fernen, geheimnisvollen Welten anzubahnen anschickte, der seit Beginn der menschlichen Kultur bis zur heutigen Stunde das hoffnungslose Sehnen und Wünschen der Edelsten und Besten gewesen war. Jetzt endlich, nach Jahrtausenden, sollte dieses Sehnen Erfüllung finden, der Verwirklichung entgegengehen. Kein Wunder, daß die gesamte Welt mit atemloser Spannung nach der Hauptstadt des Schwabenlandes blickte, wo eine solche Großtat vollbracht werden sollte.

Nach allen Richtungen der Windrose flogen von dem Cannstatter Wasen die Telegramme der Berichterstatter. Ein großes Depeschenbureau war für diesen Zweck in unmittelbarer Nähe des Weltenseglers errichtet worden. Auf dem Wasen selbst war die Erregung der Massen nachgerade aufs höchste gestiegen. Die feierlichen Akkorde der Glocken hatten bei der Menschenmenge ein erhebendes, sonntägliches Gefühl erweckt, und als fünf Minuten vor vier Uhr die Glocken plötzlich mit einem Schlage verstummten, da herrschte auf dem weiten Platze die ernste, erwartungsvolle Stille der Kirche.

Die Sonne stand schon tief im Westen. Ihre rotgoldenen Strahlen spielten wie Abschied nehmend an dem Weltensegler und ließen das gewaltige, kaum sich bewegende Luftschiff wie mit einem Heiligenschein umgeben erscheinen. Da ertönten von der Neckarbrücke her Hurrarufe. Sie pflanzten sich fort und wurden zu einem betäubenden Willkommen. Aus Hunderttausenden von Kehlen stieg brausender Begrüßungsruf, als die Menge der sieben Gelehrten ansichtig wurde, deren Namen von Mund zu Mund gingen, und deren Bildnisse in ungezählten Exemplaren gekauft worden waren. Die Herren vertraten folgende Fächer:

Prof. Dr. Siegfried Stiller, Astronomie, Physik und Chemie,

Prof. Dr. Paracelsus Piller, Medizin und allgemeine Naturwissenschaft,

Prof. Dr. David Dubelmeier, Jurisprudenz,

Prof. Dr. Bombastus Brummhuber, Philosophie,

Prof. Dr. Hieronymus Hämmerle, Philologie,

Prof. Dr. Theobald Thudium, Nationalökonomie,

Prof. Dr. Friedolin Frommherz, Ethik und Theologie.

In einem Autoelektrik sitzend, fuhren die Herren langsam durch die sich vor ihnen öffnende Menschenmauer der Baustelle des Weltenseglers zu. Ernst und voll Würde grüßten die kühnen Reisenden die ihnen zujubelnde Menge. Am Weltensegler angelangt, verließen sie den Wagen, und Professor Stiller bestieg die in aller Eile und in letzter Stunde noch aufgerichtete Rednertribüne, um von da aus einige Worte des Abschiedes an die nächste Umgebung zu richten.

„Verehrte Damen und Herren, werte Freunde und Kollegen von nah und fern dieses kleinen Erdenballes! Die Geschichte unseres Planes ist Ihnen ja allen bekannt. Heute ist er verwirklicht insofern, als es uns gelungen ist, ein Luftschiff zu konstruieren, das nicht nur die Atmosphäre unserer Erde mit Leichtigkeit durchschneiden, sondern auch – und dies ist der springende Punkt – den Ätherraum selbständig durchfliegen soll. Alle hier in Frage kommenden, ungeheuer verwickelten wissenschaftlichen Bedingungen, die vorher erfüllt werden mußten, um unsere Reise nach dem Mars zu ermöglichen, will ich nicht weiter erwähnen. Dies würde mich auch viel zu weit führen. Aber für meine heilige Pflicht halte ich es, in dieser Stunde des Abschiedes laut und offen zu erklären, daß möglicherweise unsere Reise von manchen Faktoren ungünstig beeinflußt, durch diese „Unbekannten“, die wir hier auf unserm Planeten nicht in den Kreis unserer Berechnung zu ziehen vermochten, vielleicht auch zum Scheitern gebracht werden kann. Diese Erkenntnis schützt uns vor Selbstüberhebung, sie zeigt uns aber auch klar die Gefahren unserer Expedition. Nicht Leichtfertigkeit, sondern die vorwärts treibende Wissenschaft, der Durst nach Aufklärung ist es, der uns unser eigenes Leben nicht achten, sondern in den Dienst der allgemeinen Forschung stellen läßt.

Ob und wann wir uns je in diesem Leben wiedersehen werden, kann heute niemand von uns sagen. Kommen wir in einer Reihe von Jahren nicht mehr zurück, so weihen Sie unserm Andenken eine stille Träne. (Allgemeine Rührung.) Wir sind eben dann die Opfer unseres Berufes geworden. Aber ebensogut ist es möglich, daß wir Ihnen einmal später von den Wundern einer andern Welt berichten können. Leben Sie daher alle, alle wohl, und nehmen Sie zum Abschiede meinen und meiner Kollegen herzlichen Dank für Ihr Erscheinen hier, für Ihre Anteilnahme an unserm Unternehmen.“

Beifallsstürme brachen los, als Professor Stiller seine Rede beendigt hatte und nun gemessenen Schrittes von der Tribüne herabstieg. Wieder trat eine lautlose Stille ein, als die Gelehrten einer nach dem andern in die Gondel stiegen. Professor Stiller war der letzte, der die Strickleiter zur Gondel hinaufkletterte. Er winkte noch mit der Hand, dann schloß sich die kleine Tür. Das Klingeln einer elektrischen Glocke war das Signal zum Lösen der Taue. Der Weltensegler hob sich. Ruhig, gerade stieg er hinauf in den mehr und mehr heraufziehenden Winterabend. Kleiner und kleiner wurde der mächtige Ballon, größer und größer die Entfernung zwischen ihm und der Erde, dann verschwand er vor den Augen der Zurückgebliebenen, die sich schweigend unter dem machtvollen Eindruck des Geschehenen nach und nach zerstreuten.

Am Abend dieses bedeutungsvollen Tages gab der hohe Rat der Stadt Stuttgart zu Ehren der Herren Blieder und Schnabel, der Erbauer des Weltenseglers, in dem glänzend erleuchteten, prachtvoll geschmückten Cannstatter Kursaal ein prunkvolles Festmahl. In mancherlei Reden wurden die Herren als die im Augenblick berühmtesten Männer und hervorragendsten Leuchten ihrer Vaterstadt gefeiert. Tränen der Freude liefen den beiden Herren über die gut genährten Wangen, als sie so offen ihr Loblied aus dem Munde der hochwürdigen Stadtväter singen hörten. Allerdings behaupteten böse Zungen später, Blieder und Schnabel hätten nur deshalb geweint und nicht mit Worten zu danken vermocht, weil sie schon zu viel des guten Weines getrunken und den Zungenschlag bekommen hätten. Aber böse Zungen sind ja immer dabei, wenn es gilt, die Verdienste anderer zu schmälern.

Beim Festmahle erreichte die allgemeine Rührung ihren Höhepunkt, als den Herren Blieder und Schnabel auf ihre etwas großen Köpfe je ein mächtiger Lorbeerkranz gepreßt wurde. Am Schlusse des Mahles verkündete der Herr Oberbürgermeister der Haupt- und Residenzstadt, daß Herr Architekt Adolf Blieder und Herr Professor Julius Schnabel auf Grund ihrer Leistungen bei dem kühnen Bau des Weltenseglers aus dem Stande der gewöhnlichen Bürger der Stadt herausgehoben und in die kleine Gemeinde der Ehrenbürger versetzt seien. Die Überreichung der Ehrendiplome unter den rauschenden Klängen des Stuttgarter Stadtmarsches schloß die erhebende Feier erst um die mitternächtliche Stunde.

Drittes Kapitel

Zwischen Himmel und Erde

Keine nennenswerte Luftströmung störte den fast senkrechten Aufstieg des Weltenseglers. Noch befand sich das Luftschiff im Bereich der Erdatmosphäre. Allerdings machte sich die erreichte Höhe durch den verminderten Luftdruck und das Sinken der Temperatur auch im Innern der Gondel fühlbar. Professor Stiller, als Leiter des Ganzen, schlug daher vor, zunächst einen bescheidenen Abendimbiß einzunehmen, wohl den letzten in der Nähe der Mutter Erde, von der die Expedition nach dem Stand des Barometers schon siebentausend Meter entfernt war. Der Vorschlag fand allseitige Billigung. Die Herren ließen sich die ausgezeichneten Stuttgarter Fleisch- und Backwaren vortrefflich schmecken, und dem an den sonnigen Halden des Neckartales bei Cannstatt gewachsenen Zuckerle, so hieß der mitgenommene gute Rotwein, wurde wacker zugesprochen, soweit eben die Herren Gelehrten keine Abstinenzler waren.

Nach dem Mahle wurde die Aufmerksamkeit wieder den Instrumenten zugewandt. Diese zeigten an, daß die Grenze der Erdatmosphäre erreicht sei, mithin der Eintritt in den unermeßlichen Ätherraum bevorstehe. Die mit Xylol gefüllten Thermometer zeigten außerhalb der Gondel bereits 42 Grad unter Null an, und die Barometer registrierten eine Höhe von 19950 Meter. In der Gondel wurden die elektrischen Glühkörper in Tätigkeit gesetzt, nachdem schon vorher der Zerstäubungsapparat für die feste Luft in Funktion getreten war. Eine erträgliche Temperatur und eine angenehme, gut atembare Luft herrschte in der Gondel. Der Dienst in dem Raum wurde in der Weise geordnet, daß jeder der Gelehrten während vierundzwanzig Stunden abwechselnd drei Stunden zweiundvierzig Minuten die Instrumente zu überwachen hatte. Auf diese Art war für den einzelnen der Dienst nicht anstrengend. Nur Professor Stiller hatte sich vorbehalten, im Falle der Notwendigkeit die Dienstleistung für gewisse Zeit allein zu übernehmen.

Ruhig und gut ging die erste Nacht in der Gondel hoch oben im Ätherraume vorüber. Unterdessen war der Ballon äußerst schnell gestiegen. Morgens um 7 Uhr, am 8. Dezember, war die Höhe von 90723 Meter erreicht. Die Thermometer an den Glimmerfenstern der Gondel zeigten die fürchterliche Kälte von 120 Grad. Tiefe Dunkelheit umgab den Weltensegler. Kein einziger Sonnenstrahl fiel in diese pechschwarze Nacht des Tages. Rascher und rascher stieg das Luftschiff, seinen Kurs genau der Steuerung gemäß nach Osten haltend. Gegen Mittag wurde durch den Geschwindigkeitsmesser die gewaltige Entfernung von 220000 Meter von der Erde angezeigt. Sollte das Steigen in diesem schnellen, progressiv sich steigernden Tempo fortgehen, so mußte der Weltensegler im Laufe weniger Tage in die Nähe des Mondes gelangen, der bis dahin, um 90 Grad nach Osten vorgerückt, gerade sein erstes Viertel bilden würde.

Mit der Annäherung an den Mond erhielt der Weltensegler dann wieder das Licht der Sonne, konnten die Gondelbewohner sich wieder an den leuchtenden Strahlen der Urquelle aller Kraft erfreuen. Obgleich noch keine vierundzwanzig Stunden unterwegs, empfanden die Herren die Dunkelheit des sie umgebenden Weltraumes wie eine allzulange Nacht. Sie begannen sich darüber zu äußern.

„Wir sind eben Kinder des Lichtes, der Sonne und empfinden sofort deren Mangel,“ sprach Professor Dubelmeier.

„Das ist wohl wahr,“ bestätigte Friedolin Frommherz, „alles Licht, auch das unserer Seelen, kommt von oben.“

„Umgesetztes Sonnenlicht, mein Lieber,“ ergänzte Professor Hämmerle.

„Nennen Sie es, wie Sie wollen, das letzte aller Rätsel, die wirkliche Ursache alles Seins bleibt uns Sterblichen eben doch für immer verborgen, und wer weiß, ob dies nicht sehr gut ist,“ entgegnete Frommherz.

„Darüber wollen wir uns hier in unserer Gondel nicht streiten, sondern uns über die Aussicht freuen, in kürzester Zeit aus dem Dunkel des Ätherraumes heraus wieder in das volle Licht der Sonne eintauchen zu dürfen, allerdings um sehr rasch wieder in die Finsternis zurückzukehren, wohl dann für längere Zeit,“ warf Professor Stiller ein.

Doch plötzlich wurde der Unterhaltung ein unerwartetes Ende bereitet. Der Weltensegler begann zu zittern und schien einen Augenblick still zu stehen. Das Zittern des mächtigen Ballons übertrug sich auf die Gondel.