»Als Andenken daran, dass Ihr es nicht vergeßt, habt Ihr ja nun auch Schwanebeck zu Lehen, Herr Graf,« spottete Kunigunde.
»Ich danke Euch für den Trost, gefühlvollste aller Pröpstinnen!« versetzte der Graf.
Die Äbtissin aber wandte sich zu ihrem Kanzler und sagte: »Nun, Herr Stiftshauptmann, heißt das Farbe halten?«
»Der hochwürdigste Bischof ist ein weltläufiger und gar geschwinder Herr,« erwiderte der also Gefragte. »Ihr habt ihn bei dem Tauschgeschäft wohl falsch verstanden, Herr Graf; denn er pflegt sonst vornehm und gering reinen Wein einzuschenken.«
»Hütet Euch, dass ein solcher Ehrentrunk nicht auch einmal an Euch gelangt, Herr Willekin!« warnte der Graf. »Ihr Herren Quedlinburger scheint zwar mit dem Bischof auf einem sehr guten Fuß zu stehen.«
»Warum sollten wir nicht? er hat uns nie ein Leids getan.«
»Aber er macht Euch Leute zu Feinden, die besser Eure Freunde wären!«
» Ad exemplum den edlen Grafen Albrecht von Regenstein. Ihr habt es uns merken lassen, Herr Graf!«
»Dass Euch das Wetter, Herr! Ihr sollt es noch anders merken!« brauste der Graf und stieß mit dem Schwert auf den Boden.
»Heia! was gibt es zwischen euch, ihr Herren?« frug die Äbtissin lachend.
»O ich habe noch einen anderen Span mit dem Bischof,« erwiderte der Graf finster. »Er ist meiner Gerichtsbarkeit ins Gehege gekommen, hat hier in der Stadt ohne mein Wissen und Willen ein geistlich Gericht bestellt, und der Rat scheint mit ihm unter einer Decke zu stecken, denn er lässt ihn gewähren und leistet ihm Vorschub mit seinem Aftergericht. Zwei Hintersassen waren vor meine Dingbank geladen, haben sich aber nicht gestellt, sondern hier in der Stadt vom Rektor an Sankt Ägidien Recht genommen. Da habe ich mir als Geiseln ein paar Quedlinburger gefangen und eingelegt.«
»Die aber ganz unschuldig sind«, warf der Stiftshauptmann ein.
»So liefert mir die Schuldigen aus, dass ich ihrem Beschulden nach mit ihnen verfahren kann. Bis dahin und so lange Ihr ein bischöflich Gericht in Euren Mauern duldet, will ich der Stadt Fein sein«, entgegnete der Graf mit großer Heftigkeit.
»Habt Ihr dem Bischof seinen Übergriff nicht vorgehalten?« frug die Äbtissin.
»Mit recht deutlichen Worten, gnädige Domina!« erwiderte der Graf und bewegte dabei zum größeren Nachdruck nickend das Haupt. »Wißt Ihr, was er mir darauf antwortete? – Geistlich Recht ginge vor weltlich Recht, sein Krummstab reichte weiter als mein Schwert!«
»Und Ihr?«
»Ich schlug mit der Faust auf den Tisch, dass er krachte, und schrie den Bischof an: Dann sehet zu, wie sich krumm und grade miteinander verträgt! Danach saß ich flugs auf, trabte hierher – und da bin ich!«
»Und dabei lasst Ihrs bewenden?«
»Dass ich ein Narr wäre!« lachte der Graf. »Ehe mein hinterlistiger Namensvetter auf seinem bischöflichen Throne sitzt, sitz' ich wieder in Schloss Emersleben, und wenn ich jeden einzelnen seiner eingenisteten Pfaffenknechte kopfüber von den Zingeln in den Graben werfen soll. Bin ich damit fertig, so kommen die Herren Quedlinburger an die Reihe. Ich will ihnen zeigen, wer hier Gerichtsherr ist, ich oder der Bischof!«
»Gräfin Kunigunde,« sprach die Äbtissin sich rasch erhebend, »wir gehen nicht nach Halberstadt!«
»Domina!!«
»Wir gehen nicht nach Halberstadt!« wiederholte sie herrisch befehlend.
»Jesus, mein Beistand! das kann Euer Ernst nicht sein!« jammerte Kunigunde, »es wäre nicht zu verantworten!«
»Ihr braucht es ja nicht zu verantworten, das tu' ich!« erwiderte Jutta.
Die Pröpstin seufzte und sandte einen verzweifelten Blick gen Himmel.
Der Stiftshauptmann rückte ärgerlich auf seinem Sessel und begann: »Aber unter welchem Vorwande, gnädigste Frau –«
»Vorwand?« sagte Graf Albrecht, der sich zugleich mit der Äbtissin erhoben hatte, »braucht es eines Vorwandes, wenn die Fürstin von Quedlinburg den Bischof von Halberstadt meiden will? Aber wenn Ihr darum verlegen seid, Herr Stiftshauptmann, so will ich Euch einen Vorwand sagen. Dem Bischof fehlt die Konfirmation des Heiligen Stuhles. Der Papst hat den Herzog Albrecht nicht bestätigt und wird ihn nie bestätigen.«
»Wie wollt Ihr das wissen, Herr Graf?« frug die Pröpstin herausfordernd dazwischen.
»Das schreibt, Herr Willekin!« gebot aber schnell die Äbtissin. »Schreibt dem Bischof, nächst des Kaisers Majestät wäre der Heilige Vater unser Oberherr; wir könnten uns daher an einer Weihe nicht beteiligen, die ohne den päpstlichen Segen in unseren Augen keine rechte Weihe wäre.«
»Gut, gut!« frohlockte der Graf.
Der Stiftshauptmann schüttelte den grauen Kopf und sagte: »So erlaubt wenigstens, gnädige Fürstin, dass ich nach Halberstadt reite und Eure Ablehnung beim hochwürdigsten Bischof mit allem Glimpf selber ausrichte.«
»Tut das, Herr Stiftshauptmann!« erwiderte die Äbtissin, »meinen Willen wißt Ihr.«
»Das soll nicht geschehen,« widersprach der Graf.
»Herr Willekin reitet nach Halberstadt,« befahl die Äbtissin erhobenen Hauptes. »Euer Einspruch ändert daran nichts, Herr Graf!«
Graf Albrecht lachte hell auf: »Meinetwegen, laßt ihn auf allen vieren zum Bischof kriechen, hochgebietende Fürstin und Domina!«
Der Äbtissin schoß das Blut in die Wangen; zürnend wandte sie sich ab.
Der Stiftshauptmann war beleidigt aufgefahren, zu einer raschen Erwiderung bereit, aber ein stolzer Blick des Grafen band ihm die Zunge. Mit einem gnädigen Nicken gab die Äbtissin ihm Urlaub; er verließ das Gemach und begab sich von der Burg hinab in die Stadt zu geheimer Unterredung mit dem Bürgermeister und einigen Ratsherren.
Gräfin Kunigunde freute sich über die dem Grafen erteilte Zurechtweisung ebenso sehr, wie sie der Äbtissin die darauf erfolgte Antwort desselben gönnte. Selber jedoch verstimmt, dass sie mit ihrem schon so oft erprobten Rate nicht durchgedrungen war und die Äbtissin unter dem Einfluss des übermütigen Grafen von Regenstein wieder einmal einen großen Fehler beging, zog auch sie sich nach einem sparsamen Gruße zurück und ließ die Äbtissin mit ihrem mächtigen Schutzvogt allein.
Graf Albrecht machte eine tiefe Verbeugung hinter der mürrisch Davonsegelnden her und sagte dann: »Die Gunst unserer holdseligen Pröpstin hab' ich einmal wieder verspielt und muss nun ihre Ungnade tragen.«
Die Äbtissin antwortete nicht; sie stand am Fenster und schmollte. Des Grafen höhnisches Lachen hatte sie sehr empfindlich berührt, und sie wartete nun auf ein versöhnendes Wort aus seinem Munde. Hatte er denn nicht gemerkt, was in ihrem Schwanken zwischen Annahme und Ablehnung der bischöflichen Einladung den Ausschlag gegeben hatte? Freilich, – seiner großen Erregtheit musste man etwas zugutehalten, und Jutta hatte ihn gereizt. Das tat ihr jetzt leid, und an ihr war es, nun wieder einzulenken. Er musste noch etwas Besonderes auf dem Herzen haben, dass er nicht ging. Sie wollte ihm zu Hilfe kommen.
Sich zu ihm wendend sprach sie ein wenig schüchtern: »Herr Graf, was glaubt Ihr, dass der Bischof tun wird, wenn wir beide nicht zu seiner Weihe kommen?«
Der Graf zuckte die Achseln und erwiderte: »Zunächst wird er sich gründlich darüber ärgern, und das gönn' ich ihm.«
»Wird er meine Bedenken wegen des Papstes gelten lassen?« frug die Äbtissin weiter.
»Schwerlich,« versetzte der Graf.
»Aber dann wird er nach einem anderen Grunde suchen, vielleicht wähnen, dass ich nur Euch – dass nach Eurem Streite –«
»Dass Ihr nur mir zu Liebe wegbliebet?« ergänzte der Graf. »Nun, laßt ihn doch in dem Irrtum, er hat ja keine Gewalt über Euch.«
Jutta schwieg und machte sinnend einige Schritte auf und ab. Endlich sagte sie: »Was meint Ihr, Herr Graf, wenn ich schon vorher zum Bischof ginge und versuchte, euch zwei miteinander zu befrieden?«
»Ich sage Euch so freundlichen Willens und Erbietens großen Dank, Domina!« erwiderte der Graf, »aber ich nehme das Opfer nicht an.«
»Das Opfer, Graf Albrecht, bring' ich Euch gern,« sprach Jutta, »Ihr habt mir schon mehr als eins gebracht.«
»Dafür bin ich Euer Schutzvogt, Domina!«
»So laßt mich auch einmal Euer Schutzvogt sein!« bar sie fast schmeichelnd.
»Nein, nein! Ihr dürft nicht nach Halberstadt, am allerwenigsten meinetwegen,« entschied der Graf. »Der Bischof will keinen Frieden mit mir. Und wenn Ihr darum selber zu ihm kämet und mit der Wärme, die ich an Euch kenne, meine Sache bei ihm führtet, so würde er denken –« Er vollendete nicht und preßte die Lippen zusammen, als sollte das Wort nicht darüber hinaus.
»Nun? was denn? was würde er denken?«
»Ich bring' es kaum heraus,» sagte der Graf.
»Sprecht es nur aus, Graf Albrecht,« lächelte Jutta dicht vor ihm stehend mit leuchtendem Blick, und ihre Brust hob sich in raschem Atemgange.
»Ihr werdet mich auslachen.«
»Wartet das ab!« sprach sie leise, mit tiefem Erröten die Augen niederschlagend.
»Er würde denken, – dass ich mich vor ihm fürchte!« stieß der Graf heraus.
Die Äbtissin hatte etwas ganz anderes erwartet. Sie trat einen Schritt zurück. »Ja, ja, – ganz recht, – Ihr habt ganz recht, – was sollte er auch anders denken?« sprach sie vor sich hinstarrend. Plötzlich warf sie den Kopf hoch und sagte schnell: »Übrigens könnten wir Euch auch kaum verteidigen, Herr Graf; es kommen zu viele Klagen über Euch.«
»Die Verteidigung gegen meine Kläger führ' ich am liebsten selber, Domina!« erwiderte der Graf bestimmt.
»Wenig kümmert uns, was Ihr in Eurer Grafschaft tut, aber im Stiftsgebiet solltet Ihr billig Frieden halten,« sprach sie in verweisendem Tone.
»Ist Euer Frieden gestört, gnädige Frau?«
»Ihr umlauert unsre gute Stadt Quedlinburg und fangt ihre Bürger weg. Das ist Friedensbruch, Herr Graf! Aber das nicht allein. Die Mönche von Sankt Wipertihausen [tun] gar übel hier unter unseren Augen. Ihr wüstes Treiben ist ein Ärgernis für Rat und Bürgerschaft,« erwiderte die Äbtissin immer heftiger werdend.
»Und das soll meine Schuld sein?«
»Ihr haltet die Hand über sie, habt ihr Kloster befestigt wie einen Burgstall. Was soll das? Habt Ihr nicht genug an der Gunteckenburg hier dicht vor den Toden der Stadt?«
»Aha!« lachte der Graf, »da hängen die Glocken, die mir so liebliche Vesper läuten! Rat und Bürgerschaft schilt den unbequemen, allzu wachsamen Nachbar. Gnädigste Domina, laßt's Euch nur gefallen, wenn ich Eure gute Stadt Quedlinburg scharf im Auge behalte; es ist nicht für mich, sondern für Euch. Denen da unten schwillt der Kamm gewaltig, seit sie zum Hansabund gehören; jetzt sind sie mir widerhaarig, nächstens bedrohen sie Euch, wenn wir ihnen nicht fest auf dem Dache sitzen.«
Da blickte sie ihn wieder freundlich an und sagte: »Ist's so gemeint? in der Sorge um mich? Das hab' ich nicht gewusst, das hatt' ich nicht gedacht, Graf Albrecht!«
»Was soll ich viel Rühmens darum machen!« erwiderte er. »Aber eins wollt ich noch fragen, Domina. Ist's Euch bekannt, wie es auf der Lauenburg aussieht?«
Die Lauenburg! Also darum war er bei ihr geblieben. Ein rascher Gedanke kreiste hinter Juttas von dunklem Haar umwallter Stirn, und sie sagte bedächtig: »Ich weiß, Leutfried liegt schwer danieder; wir werden bald einen neuen Burgvogt einsetzen müssen.«
»Es ist ein wichtiger Platz, Domina! Die Lauenburg verlangt einen sicheren Mann,« bemerkte der Graf.
»Den ich seinerzeit zu finden hoffe,« gab sie lächelnd zur Antwort und fügte einer Erwiderung ihm zuvorkommend, mit beredtem Blick hinzu: »Habt Geduld wie ich; nicht hinter Eurem Rücken geb ich die Burg in andere Hände.«
»Dessen getröst' ich mich, Domina! Lebt wohl!«
»Auf Wiedersehen, Herr Graf!«
Sie reichte ihm die Hand, und Graf Albrecht ging.
Die Äbtissin stand mitten im Zimmer und blickte ihm nach. »Die Lauenburg!« lächelte sie und drohte mit dem Finger nach der geschlossenen Tür.
Der Graf ritt den steilen Weg vom Schlossberg vergnügten Sinnes hinab. Er hatte erreicht, weswegen er gekommen war: die Äbtissin fuhr so wenig zur Inthronisation wie er und seine Brüder. Er lachte sich ins Fäustchen, indem er dachte, wie der Bischof sich fuchsen würde, wenn die Ersten und Mächtigsten im Gau bei seiner Weihe fehlten. Mochten dann die lieben Vettern, die Grafen von Blankenburg, die ja den Regensteinern in allen Dingen das Widerspiel hielten, mitsamt den Wernigerödern sich dort breit machen und dem dünkelhaften Bischof Weihrauch streuen, so viel sie wollten. Ob die anderen Harzgrafen aus dem Schwabengau und Helmgau erscheinen würden, war immerhin sehr zweifelhaft; sicher nicht, wenn ihnen Albrecht eine abratende Botschaft sandte. Der Bischof sollte sich umsehen nach allen denen, die fehlten, und dem Grafen war es gerade recht, wenn jener von Willekin von Herrkestorf erfuhr, wie es nur sein, Albrechts Werk war, dass die Äbtissin von Quedlinburg mit ihren vornehmen Kapitularinnen ausblieb. Dann mochte der geistliche Herr nur an Schwanebeck denken und an seinen langen Krummstab, mit dem er dem Grafen von Regenstein zu drohen gewagt hatte.
Und was die Lauenburg betraf, die mit ihrem Gebiet teils an den Stadtforst der Quedlinburger, teils an die großen Harzforsten der Blankenburger Vettern grenzte, – nun, die Äbtissin hatte ihm ja versprochen, nicht ohne seinen Rat den neuen Burgvogt zu wählen. Das wäre da oben in den waldumrauschten Bergen so ein Horst für seinen herzlieben Siegfried, den jüngsten, blühendsten, blondesten der sechs Regensteiner Brüder. Und Jutta? Welchen Wunsch würde sie ihm nicht erfüllen? Hatte er doch heute wieder recht deutlich gesehen, wie sehr sie ihm gewogen war. Ja, er war überzeugt, dass die schönheitsstolze, sehnsuchtsdurchglühte Domina ihren reichsunmittelbaren Fürstenthron lieber heute als morgen mit einem andern, weniger einsamen Platze vertauschte, wenn –
»Ho! ho! ho! Brun! Brun! was ist denn?« sprach der Graf laut zu seinem Braunen und klopfte ihm den kräftigen Hals, um das scheuende Tier zu beruhigen. Es hatte, von einem Steinwurf getroffen, plötzlich ein paar heftige Sprünge gemacht, deren Ursache dem Reiter verborgen blieb, denn der Bube, der den Stein geschleudert hatte, der Sohn eines der vom Grafen gefangen gehaltenen Quedlinburger, hielt sich versteckt.
»Das kommt davon, wenn man sich mit eitlen Gedanken trägt, statt sein Röslein am Zügel zu haben,« sagte der Graf im Weiterreiten zu sich selber. »Wenn die das gesehen hätte, an die ich in dem Augenblick dachte!«
Sie hatte es gesehen, auch den Steinwurf. Die Äbtissin folgte von ihrem Fenster aus dem langsam Dahinreitenden mit den Augen und hatte ihre Freude daran, wie sich die Sonnenstrahlen auf der blanken Eisenhaube des Ritters blitzend spiegelten. Als sie nun das kleine Abenteuer des im Sattel Träumenden gewahrte, rief sie empört: »O diese nichtswürdige Brut! Er hat ganz recht, dies Stadtvolk muss kurz gehalten werden, sonst schlägt es über die Stränge!«
Bald sah sie, wie der Graf vor dem Zugange zur Gunteckenburg hielt, die zwischen dem Münzenberge und dem Wipertikloster lag. Er ließ sich den Vogt herausrufen und sprach lange mit ihm ohne vom Pferde zu steigen. Dann trabte er dem Kloster zu, und in den Hof desselben einreitend, entschwand er ihren Blicken.
»Nun geht er doch wieder zu diesen argen ›Kindern unserer Liebe‹, – so pflegte die selige Bertradis die Mönche zu nennen, mit denen sie im steten Kampfe lag – oder will er dem sündhaften Prior nur unser zunehmendes Missfallen verkünden?« sprach sie zu sich. »Geh nur, Heldenherz! Dir folg ich auf jedem Wege.«
Im Klosterhofe sprang der Graf aus den Bügeln. Ein Laienbruder nahm ihm das Ross ab und frug: »Soll ich Brun abzäunen, Herr?«
»Nein,« antwortete der Graf, »ich halte nur kurze Rast, um einen Vespertrunk zu tun und euch die Glatzen zu scheuern. Wo ist der würdige Bavo?«
»Im – im –«
»Im Refektorium natürlich!« lachte der Graf, »bei feuchter Abendmette; das konnte ich mir denken.«
»Herr, morgen ist der Tag des heiligen Eustathius des Standhaften,« sagte der Bruder.
»Und den müsst ihr ja feiern!« erwiderte Graf Albrecht. »Gut! helfen wir bei den Vigilien Eustathius des Standhaften!«
Und er trat in das Klostergebäude.
Drittes Kapitel.
Die Pröpstin Kunigunde versetzte das ganze Kapitel darüber in Aufregung, dass die Domina mit den Konventualinnen nicht zur Bischofsweihe wollte. Die älteren Damen waren empört, dass das Stift bei der Feier nicht mit aller Pracht und Würde vertreten sein sollte, die jüngeren jammerten und klagten, dass sie von den glänzenden Feierlichkeiten fern bleiben sollten, und die Domina bekam in diesen Tagen kein freundliches Gesicht zu sehen, mit einer einzigen Ausnahme.
Diese Ausnahme machte die Kanonissin, die schöne, lebensfrohe Gräfin Adelheid von Hallermund, die das Vertrauen der Äbtissin, wenn auch nicht einen unbedingten Einfluß auf sie besaß. Sie war dem ritterlichen Schirmvogte des Stiftes sehr gewogen und stimmte der Domina vollkommen zu, dass man dem edlen Grafen die Genugtuung schuldig wäre, die Einladung des Bischofs abzulehnen. Nun war Jutta vollends unwiderruflich fest entschlossen und ließ am zweiten Abend dem Stiftshauptmann den Befehl zugehen, mit der Überbringung ihrer Absage an den Bischof nicht länger zu zögern.
Da musste er gehorchen, und als am andern Tage die Sonne über die halbe Mittagshöhe hinaus war, befand sich Herr Willekin von Herrkestorf auf dem Wege nach Halberstadt. Neben ihm ritt der Stiftsschreiber Florencius, der um die Gunst gebeten hatte, seinen Vorgesetzten statt eines reisigen Knechtes begleiten zu dürfen.
Dieser Florencius, ein frischer, klug dreinschauender Gesell aus einem alten, aber herabgekommenen Adelsgeschlechte stammend, hatte geistlich werden sollen, es aber vor lauter losen Streichen nicht einmal bis zu den untersten Weihen gebracht und war, der Studien und Exerzitien überdrüssig, aus der Klosterschule zu Sankt Gallen heimlich entwichen und fahrender Schüler geworden. Als solcher war er vor mehreren Jahren nach Quedlinburg gekommen und hatte unter anderen auch den Stiftshauptmann mit der Bitte um einen Zehrpfennig heimgesucht. Herr Willekin, dem er seine Herkunft und seine Schicksale anvertraute, hatte sich von den mannigfaltigen Kenntnissen und Fähigkeiten des Fahrenden überzeugt und ihm mit Bewilligung der Äbtissin Bertradis ein Amt und eine Wohnung auf dem Schloss angewiesen.
Stiftsschreiber hieß Florencius, damit das Ding doch einen Namen hatte, denn obwohl er in der höheren Schreibkunst außerordentlich geübt war und diese auch mit Vorliebe pflegte, so gab es doch im Stifte nicht viel zu schreiben für ihn. Er füllte aber seine müßige Zeit gern damit aus, dass er Köpfe und Anfänge von Urkunden und Briefen auf Vorrat schrieb. Eingangsworte wie z. B. »Wir Jutta, von der Gnade Gottes Äbtissin von Quedlinburg usw.« prangten auf einer ganzen Anzahl von Pergamentblättern mit großen buntfarbig gemalten und goldverzierten Anfangsbuchstaben, von Blumenranken und vielverschlungenen Schnörkeln umgeben. Er war auch der vertraute und verschwiegene Geheimschreiber der Konventualinnen, die ihm alle wohlwollten, weil er, obschon ihm zuweilen der Schalk im Nacken saß, von guten Sitten, gefällig und bescheiden war. Der Stiftshauptmann hatte ihnen seine Abkunft verraten, die er eigentlich verschwiegen wissen und durch einen angenommenen Namen vergessen machen wollte, und so betrachteten ihn die Damen als ihnen ebenbürtig und behandelten ihn mehr wie einen adligen Junker, als wie einen Dienenden. Im Übrigen machte er sich nützlich, wo und wie er konnte, als Vorleser, Sänger und Lautenist, kurz, er war der allbeliebte, unentbehrlich gewordene Spiritus familiaris des ganzen Schlosses.
Als die beiden über den Hungerplan, einen hügeligen Anger zwischen der Stadt und den sogenannten Weinbergen, hinwegritten, sagte der Stiftshauptmann, der ihn auf seine ausdrückliche Bitte du nannte: »Sieh mal, Florencius, wie auf dem Brocken der Schnee im Sonnenscheine glänzt!
»Und hier unten im Lande sprießen fröhlich die Saaten, und Sträucher und Hecken fangen an sich zu belauben,« erwiderte der Stiftshauptmann. »Aber wir werden bald Regen bekommen.«
»Woher hast du diese Wissenschaft?« frug Herr Willekin.
»Ei Herr, wisst Ihr denn nicht, dass sich unsere Dekanissin, Fräulein Gertrud von Meinersen, auf das Wetter versteht wie der älteste Schäfer? Sie hält sich einen Laubfrosch, für den sie im ganzen Schlossen herum Fliegen fängt und auf den sie sich mit ihren Weissagungen verläßt.«
»Trifft es denn auch ein, was sie weissagt?«
»Nicht immer,« lachte Florencius, »und dann kriegt der Laubfrosch zur Strafe, dass er gelogen hat, zwei Fliegen weniger.«
»Du lieber Gott!« sagte Herr Willekin. »Wo hat sie denn den Laubfrosch her?«
»Wo soll sie ihn her haben! Ich habe ihn fangen müssen, als der vorige seine letzte Fliege gefressen hatte; es war eine giftige, – sagt die Scholastika.«
»Sagt die Scholastika, so! Die ist wohl die Lustigste im ganzen Kapitel?« frug Herr Willekin.
»Das ist schwer zu sagen, Herr Stiftshauptmann,« antwortete Florencius und fuhr nach einer kurzen Überlegung fort: »Ich glaube, die Custodin und die Sangmeisterin übertreffen sie noch. Wenn die beiden ihre blonden Köpfe zusammenstecken, so läuft es in der Regel auf einen merklichen Possen hinaus, über den es ein paar Tage lang zu lachen gibt. Am liebsten hängen sie einer der beiden Ältesten, der Pröpstin und der Dekanissin, eine Schelle an.«
»Florencius!« drohte der Stiftshauptmann, »wem hängt man Schellen an?!«
»Verzeiht, Herr!« lachte der Jünger, »aber ich muss ja oft genug helfen; sie lassen mir keine Ruhe, und wenn Gräfin Luitgard von Stolberg nicht wäre, die immer zu schlichten und zu sühnen sucht, was die jüngeren Fräulein in ihrem Übermut gefehlt haben, so ging es manchmal arg zu.«
»Und die Domina?«
»Die Domina? nun, Herr, – Ihr wißt wohl, die freut sich, wenn die Pröpstin sich ärgert, und Gräfin Adelheid von Hallermund lacht auch lieber, als dass sie weint. Neulich haben es unsere lieben Jüngsten aber doch einmal zu toll getrieben, so dass sie es büßen mussten.«
Auf einen ermunternden Blick des Stiftshauptmann erzählte Florencius: »Wie Euch bekannt, ist die Dekanissin eine Meisterin im Sticken schwerer Wandteppiche mit Figuren aus der Geschichte der Heiligen, eine Liebhaberei von ihr, mit deren aufgezwungener Erlernung sie den jüngeren Damen manche qualvolle Stunde bereitet. Nun hatte sie kürzlich wieder einen solchen Teppich in Arbeit, auf dem die heilige Apollonia, die viel angerufene, von der Dekanissin besonders verehrte Helferin bei Zahnschmerzen, in Pflegung ihres gnadenreichen Amtes dargestellt war. Da schmiedete unser durchtriebenes Vierblatt einen mutwilligen Plan und brachte ihn, sorglich vorbereitet, zur Ausführung. Die Cameraria, Gräfin Agnes von Schrapelau, und die Scholastika, Fräulein Hedwig von Hakeborn, mussten die Dekanissin beim Fliegenfangen in einem entlegenen Teile des Schlosses möglichst lange festhalten; unterdessen schlichen sich die Kustodin und die Sangmeisterin in das Zimmer des Fräulein Gertrud von Meinersen und stickten der heiligen Apollonia mit flüchtigen, groben Stichen eine schneckenartig gewundene Haarflechte an die Schläfe, wie sie die Dekanissin selber trägt, versahen auch die Heilige mit einer so langen Nase und einem so eckigen Kinn, dass ihr Bild mit den Zügen der Dekanissin eine überraschende Ähnlichkeit erhielt. Die also Abkonterfeite erhob einen fürchterlichen Lärm über die Untat. Auch die stets nachsichtige Thesauraria stellte sich diesmal auf die Seite der Beleidigten und setzte mit dieser und der Pröpstin trotz Fürbitte der Gräfin Adelheid die Bestrafung der Schuldigen durch. Die beiden überführten Missetäterinnen Mechtild von Klettenberg und Sophia von Hohenbuch mussten am anderen Morgen auf vierundzwanzig Stunden in das dunkle Bußkämmerlein unterhalb der Krypta wandern, zu ihrem Glück beide zusammen, damit sie sich gegenseitig trösten konnten. An dem Nachmittage aber kam der Erbmarschall des Stiftes Herr Gerhard von Ditfurt zum Besuch, vermisste die beiden Blonden und erfuhr die Geschichte. Erst lachte er aus vollem Halse zum großen Verdruss der beiden alten Kat–«
»Florencius!!«
»– der beiden ehrwürdigen Fräulein Kunigunde und Gertrud, dann bat er um Gnade für die zwei Eingesperrten. Er brauchte nicht lange zu bitten; die Domina war froh, einen Anlaß zu waltender Milde zu haben. Die Kanonissin Gräfin Adelheid holte die mäßig Zerknirschten aus ihrem tiefen Verlies herauf, und nach einer Strafpredigt der gnädigen Frau, bei der das ganze Kapitel, die einen vor verbissenem Ärger, die anderen vor unterdrücktem Lachen, rot wurde, war die Sache für diesmal tot und abgetan. Soll mich nur wundern, was der nächste Schelmenstreich sein wird.«