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Der Raubgraf
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Der Raubgraf

Jetzt musste auch Herr Willekin lachen, und der Stiftsschreiber stimmte fröhlich ein.

Unter so kurzweiligen Gesprächen ritten die beiden selbander durch die grünende Flur. Ihnen teils zur Linken, teils im Rücken dehnte sich der gewaltige, dunkelblaue Kamm des Gebirges in langer, sich immer höher hebender Linie von der weit sichtbaren Burg zu Ballenstedt bis zu dem schneebedeckten Gipfel des Brockens. Auf der Höhe des Liebfrauenberges haltend und die Rossen wendend, betrachteten sie mit Freuden das ihnen wohlbekannte, entzückende Bild.

Im Lande vor ihn wechselten fruchtbare Ackerbreiten und Wiesen, durch welche die Bode und eilende Bäche an freundlichen Dörfern und umbuschten Mühlen blinkend vorüberzogen, mit klippengekrönten Hügeln und gewölbten Bergrücken ab, auf denen einsame Warten standen zum Ausflug in die Runde. Die noch unvollendeten Domtürme von Halberstadt winkten aus der Ferne herüber, während die Stadt Quedlinburg hinter Bergen versteckt lag; nur das Schloss, aus dessen innerem Leben Florencius eine so ergötzliche Schilderung zum besten gegeben hatte, ragte darüber hinaus. Dahinter aber, halbwegs vor der breiten Schlucht des Bodetales, starrte das größte von den zackigen Riffen der Teufelsmauer, die mit den Gegensteinen bei Ballenstedt beginnend sich als ein oft unterbrochener, aber immer wieder auftauchender Klippenzaun meilenweit durch das Vorland des Harzes zieht und erst beim Regenstein endet, schwarz und ungeheuerlich empor. Fern im Osten schaute Burg Gersdorf aus der Ebene herauf, südlich, den Reitern gerade gegenüber, schimmerte die Lauenburg vom Bergwalde her, und im Westen drohte des Regensteins riesenhafter Felsblock, dem zur Rechten die auf spitzem Kegel trotzende Heimburg, wo Graf Bernhard von Regenstein hauste, und zur Linken der hochgelegene Sitz des Grafen von Blankenburg sich nachbarlich anschlossen.

So umfaßte der Blick von hier aus ein beträchtliches Stück des herrlichen Harzgaues, ein mit aller Pracht wechselnder Farben und fesselnder Formen geschmücktes Gemälde, das zu den Füßen der Beschauer aufgerollt war und sich unter dem klaren Frühlingshimmel in seinem vollen Glanze zeigte. Ein leiser Wind mit kühlkräftigem Hauch strich über die freie Höhe und machte die Gräser und die Reiser der Bäume schaukeln und nicken. Über der Ferne schwebte ein matter Dunstschleier, und hoch im Blauen jubelten die Lerchen.

Nachdem die beiden wieder eine Weile nebeneinander hergeritten waren, sagte Florencius: »Herr Stiftshauptmann, wenn ich mich nicht täusche, so kriegen wir es jetzt mit der bösen Sieben zu tun. Kommt da nicht der Ritter Bock auf seinem großen Schecken angetrottet?«

»Du scheinst recht zu haben, Florencius,« erwiderte der Stiftshauptmann; »aber aß ihn doch kommen, Ritter Bock ist guten Freunden gegenüber ein höflicher Mann.«

Aus dem Waldsaume des Steinholzes, das jetzt den ruhig Dahinziehenden zur Linken lag, waren drei Reiter hervorgebrochen, von denen zwei sofort abschwenkten mit der unverkennbaren Absicht, jenen nach vorwärts wie nach rückwärts den Weg abzuschneiden, während der dritte gerade auf sie losgetrabt kam.

Dieser dritte bot eine abenteuerliche Erscheinung. Auf einem knochigen Schecken saß eine lange, hagere Gestalt in ritterlicher Wehr und Kleidung. Der Mann stak vom Scheitel bis zur Sohle im Kettenpanzer und trug darüber einen kurzen, gezattelten Waffenrock von stark verblichener gelber Farbe. Über seine eiserne Beckenhaube bogen sich von hinten her zwei flatternde Hahnenfedern, und die eisengeflochtene Helmkapuze legte sich ihm wie ein Pilgerkragen um Nacken, Wangen, Hals und Schulter, so dass kaum das Gesicht frei blieb. Die Kniekacheln liefen in spitze Eisendornen aus. Geschiente Handschuhe und unmäßig lange Sporen vervollständigten Die Rüstung. Außer Schwert und Dolch am Wehrgehänge führte er eine Lanze mit scharfer Spitze und den kleinen dreieckigen Reiterschild. Ein schmales, wettergebräuntes Gesicht mit ein paar bald unruhig umherspähender, bald zudringlich bohrender Augen, einer großen Habichtsnase und einem lang herabhängenden Schnurrbart schaute keck aus der umschließenden Helmbrünne und ließ das Alter des Mannes auf vierzig und einige Jahre schätzen.

Es war der Ritter Bock von Schlanstedt, ein Vasall des Grafen Albrecht von Regenstein und ein in der ganzen Umgegend bekannter Stoßvogel, der mit einem steten Gefolge von sechs reisigen Knechten, ausgesucht wilden Gesellen, das Land durchstreifte und überall auftauchte, wo man ihn am wenigsten vermutete. Weil dieses erlesene Fähnlein aber selten Gutes, sondern meist Schaden stiftete, wo es erschien, so hatte es den Namen ›die böse Sieben‹ erhalten.

Als er den beiden Quedlinburgern nahe genug gekommen war, um sie zu erkennen, setzte der Ritter seinen hochtrabenden Schecken in langsamere Gangart, schwenkte die Lanze und rief: »Gruß und Ehr' Euch zu Ross und zu Fuß, Herr Willekin von Herrkestorf! und Euch, wackerer Florencius!«

»Allen Dank zum Gegengruß!« erwiderte der Stiftshauptmann. »Tut mir leid, Herr Ritter Bock von Schlanstedt, dass unseretwegen Euer braver Schecke die Sporen fühlen musste; es war der Mühe nicht wert, ihn in Trab zu setzen.«

»Gott gibt mir ein andermal mehr Glück,« lachte der Ritter, lenkte sein Ross an Herr Willekins Seite und winkte seinen zwei Knechten, worauf auch die vier anderen aus dem Steinholz herauskamen und sich dem Zuge anschlossen.

»Habe Euch hoch im Verdacht, dass Ihr nach Halberstadt wollt und dort etwas Namhaftes zu schaffen habt,« sprach er dann im gemeinschaftlichen Weiterreiten.

»Euren Scharfsinn habe ich stets bewundert, Herr Ritter,« gab der Stiftshauptmann schelmisch zur Antwort.

»Wüsste freilich nicht, wohin dieser Weg sonst noch führte,« warf Florencius ein.

Bock zeigte geradeaus nach einem vor ihm liegenden großen Gehört und sagte: »Dort liegt ein schönes Tafelgut unserer gnädigen Frau. Sollte Euch verborgen sein, Herr Stiftsschreiber, dass sie auf dem Münchenhofe ein fürtrefflich starkes Bier brauen? ein fast lieblich Getränk an staubigen Frühlingstagen!«

»Was Ihr sagt!« lächelte Herr Willekin.

»Wir wollten eben dorthin,« bemerkte Bock, »müssen dort futtern.«

»So! Ihr habt dort Euren Hafer liegen?«

»Stiftshafer ist der beste weit und breit«, erwiderte Bock mit ganz unschuldig ernstem Gesicht.

»Und billig!« meinte Florencius.

Jetzt bekam der Stiftsschreiber einen jener bohrenden Blicke vom Ritter, auf die stillzuschweigen für einen nicht ganz Sattelfesten das geratenste war.

Bald entspann sich zwischen den dreien ein lebhafter Meinungsaustausch über den Streit des Grafen von Regenstein mit der Stadt Quedlinburg um die Gerichtsbarkeit und über die Anmaßung des Bischofs, auf den der Ritter übel zu sprechen war.

Bock von Schlanstedt verteidigte den in seinem Rechte Gekränkten auf das entschiedenste, denn für seinen Grafen ging er durchs Feuer. Überhaupt hing der seltsame, aus mancherlei Gegensätzen zusammengefügte Mensch an dem Regensteinschen Grafenhause mit einer grenzenlosen Hingebung. Er hatte die sechs Brüder wie auch den verstorbenen siebenten nicht nur unter seinen Augen aufwachsen sehen, sondern selber erziehen helfen, hatte sie alle auf Armen getragen und vor sich auf dem Pferde gehabt, war ihr Wärter und geduldiger Spielkamerad und dann ihr Lehrmeister im Reiten, Fechten und Stechen gewesen, auf welche Künste er sich wie einer verstand.

Er war als junger Bursche seinem Vater, einem freien Bauern im Dorfe Schlanstedt, davongelaufen, weil er sich lieber als Reiterknecht durch die Welt schlagen, als hinter dem Pfluge hertreten wollte. Dicht bei Schlanstedt hatte nämlich die jungen Regensteiner eine Burg, bei deren Besatzung sich der junge, hoch aufgeschossene Bauernsohn durch manches ihr zugesteckte heimliche Beutestück aus seines Vaters Rauchfang sehr beliebt zu machen wusste. Von den Reisigen dort lernte er das Kriegshandwerk und fand so großen Gefallen daran, dass er nicht mehr davon lassen konnte und sich eines schönen Tages aus dem Staube machte. Er meldete sich auf dem Regenstein beim Grafen Ulrich, wo man ihn auf seine flehentliche Bitte in Dienst und Pflicht nahm und wo im Gang der Zeit aus dem Trossbuben auch wirklich ein tüchtiger Reiterknecht wurde, der sich durch Zuverlässigkeit und einen tollkühnen Mut allmählich die Gunst und das volle Vertrauen seines Herrn erwarb. In einer Fehde des Grafen Ulrich mit den edlen Herrn von Barby, die das Schnappen und Heckenreiten doch etwas zu arg und bin in den Harzgau hinein trieben, hatte sich Bock unter den Augen seines Herrn so glänzend hervorgetan, dass dieser ihm nach glücklich beendetem Strauß den Rittergurt verlieh.

Diese große Auszeichnung erhöhte Bocks Selbstbewusstsein gewaltig, und er gewöhnte sich nach dem Vorbilde des Grafen ein ritterliches Benehmen an, ohne hoffärtig gegen das Gesinde und reisige Volk zu werden, mit dem er nach wir vor Mühen und Gefahren brüderlich teilte.

Er hatte nichts. Sein Ross, sein Eisenkleid und Schwert und Schild waren und blieben, wie er es auffasste, des Grafen, von dem er sie bekommen hatte, und als dessen unbeschränktes, jeden Augenblick nach Belieben zu nutzendes oder wegzuwerfendes Eigentum betrachtete er auch sein Blut und Leben. Ein Mann des Grafen von Regenstein zu sein, war seine Ehre und sein Stolz, und mit gleicher Treue wie früher dem Vater diente er jetzt den Söhnen, von denen Albrecht sein Stern und Spiegel, Siegfried aber sein Herzensliebling war.

Der Ritter hielt Stadt und Stift Quedlinburg streng voneinander getrennt. Der ersteren war er feindlich gesinnt, weil sie die Rechte seines Herrn schmälern wollte; in der Äbtissin dagegen erblickte er als Dienstmann ihres Schirmvogtes eine Fürstin, die auf die Kraft seiner Lanze einen ebenso begründeten Anspruch hatte wie seiner Meinung nach er selber und sein Ross auf ihr Bier und ihren Futterhafer.

Als die Reiter auf dem Münchenhofe ankamen, stieg Bock vom Pferde und rief einem seiner Knechte zu: »Hängt ab, Nothnagel! wir bleiben hier.«

Willekin und Florencius taten einen Stegreiftrunk von dem kräftigen Bier, das sie dem darreichenden Meier loben mussten, und setzten sich wieder in Bewegung.

»Ich wünsche Euch einen gnädigen Empfang bei dem hochwürdigsten Herrn Bischof, Herr Stiftshauptmann!» höhnte ihnen der Ritter nach. »Aber ich sorge, Ihr werdet mit Eurer Botschaft so viel Mühe haben, als wenn Ihr einem Tauben ein Märlein erzähltet.«

»Ich denke, er wird es in beide Ohren nehmen, was ich ihm zu sagen habe,« entgegnete Herr Willekin sich im Sattel umwendend.

»Und Euch zum Dank dafür zu Gaste laden, nicht wahr?«

»Wartet es ab, Herr Bock von Schlanstedt, wer die Zeche zu bezahlen haben wird.«

»O, wir leben bei ihm auf Kreide,« rief Bock lachend.

»Und sitzt tief genug drin, das weiß ich!« gab der Stiftshauptmann ebenso zurück.

»Dann machen wir einen Strich durch – hiermit!« sagte Bock und schlug mit der Hand ans Schwert.

Aber die Reiter waren schon zu entfernt, um die Worte des Zurückbleibenden noch verstehen zu können.

»Dass dich der Bock stößt! mich will bedünken, Ihr lasst Euch in seltsam krumme Händel ein, Herr Willekin!« murrte der hagere Recke mit einem misstrauischen Blicke nach dem dahinreitenden Stiftshauptmann. »Wir zwei stehen nicht in einem Stall. – Weiter, Hasenbart!« sagte er dann zu einem anderen seiner Gesellen und hielt ihm den leeren Krug hin, um ihn wieder füllen zu lassen, »aber heute nicht mehr als drei für jeden! Bis wir die heruntergespült haben, sind die beiden Quedlinburgischen außer Sicht. Sie müssen denken, dass wir hier bleiben, darum sagte ich euch, ihr solltet abhängen. Nachher reiten wir ein bisschen scharf zu über Wegeleben und ziehen uns rechts an der Bode um Emersleben herum. Unsere Grafen kommen über Derenburg, und in der Gegend von Schwanebeck an der Holtemme sollten wir sie treffen; die von Crottorf und Schlanstedt kommen auch.«

»Na, da werden wir's ja wohl schaffen!« brummte Nothnagel.

»Eselskopf! schaffen!« sprach Bock, ehe er den frischen Krug an die Lippen setzte, »Graf Albrecht ist ja dabei und –« nach einem langen Zuge – »und wir sieben!«

Sie tranken gemächlich und legten während des dritten Kruges die Sättel wieder auf.

Eine Stunde vor Mittag trafen Willekin und Florencius vor dem Petershofe, der großen bischöflichen Burg in Halberstadt ein, die sich dem Dome gegenüber, hochgelegen und stark bewehrt, mit ihren Umfassungsmauern an die viertürmige Liebfrauenkirche lehnte.

Der Stiftshauptmann sprach absitzend: »Bringe die Rösslein zu meinem werten Freunde, dem Domherrn Herbord Moor, Florencius, und melde mich und dich bei ihm zu Mittag an; sage ihm mit meinem Gruße, ich würde nicht lange auf mich warten lassen, er könnte mittlerweile mal in den tiefsten Winkel seines Kellers leuchten.«

Der Schreiber griff nickend den Zügel des anderen Pferdes und ritt zur Kurie des Domherrn.

Der Stiftshauptmann aber schritt durch das düstere Tor und wandte sich über den Schloßhof nach dem Portale der bischöflichen Residenz.

Viertes Kapitel.

Ein junger Kleriker führte den Stiftshauptmann über Treppen und durch steingraue Hallen in einen gewölbten, von einer Hängelampe nur matt erleuchteten Gang, an dessen Ende still und zurückgezogen die Wohngemächer des Bischofs lagen. Dort in einem geräumigen, üppig ausgestatteten Zimmer ließ er den Gast in Erwartung des Hausherrn allein, und Herr Willekin war nicht leicht zumute, als er nun unmittelbar und in einer ihn fremd anschauenden, seltsam befangenden Umgebung vor einer vielleicht verhängnisvollen Unterredung stand.

Bald trat der Bischof ein, in bis auf die Füße reichendem violettem Gewand, eine jugendlich schlanke Gestalt mit bleichen, edel geformten Zügen, denen zwei große dunkle Augen einen vornehm gebietenden Ausdruck verliehen.

Der Stiftshauptmann verneigte sich tief, und Bischof Albrecht redete ihn mit den Worten an: »Seid mir willkommen, Herr Stiftshauptmann! Wie geht es unserer gnädigen Frau von Quedlinburg?«

»Sie sendet Euch durch Euren gehorsamen Diener ihren freundnachbarlichen Gruß, hochwürdigster Herr!« erwiderte der Stiftshauptmann mit einer neuen Verbeugung.

»Und meldet mir ihr und ihrer hochgeborenen Damen erfreuliches Erscheinen am Tage meiner feierlichen Inthronisation,« sprach der Bischof, während ein zufriedenes Lächeln über sein Antlitz glitt.

Der Stiftshauptmann schwieg und blickte verlegen zu Boden.

»Nun? Ihr schweigt?« frug der Bischof betroffen. »Ihr wollt mir doch nicht sagen, sie käme nicht?«

»Ich wollte, ich brauchte es Euch nicht zu sagen, hochwürdigster Herr,« entgegnete der Stiftshauptmann etwas kleinlaut.

»Sie kommt nicht?!« wiederholte der Bischof mit strafendem Blick, jedes Wort laut betonend.

Willekin schüttelte langsam das Haupt.

Der Bischof machte einen Gang durch das Zimmer, seine Erregung zu bekämpfen. Dann blieb er halb abgewandt mit verschränkten Armen stehen und warf hochmütig über die Schulter: »Ich werde doch erfahren, womit sie ihr Ausbleiben entschuldigen will, Herr Stiftshauptmann?«

Der andere zögerte mit der Antwort und sagte dann: »Hochwürdigster Herr, – es sind Bedenken und notwendige Rücksichten, welche die gnädige Frau bestimmen, – der Heilige Vater ist der geistliche Oberherr, und –«

»Hahaha! also darum!« lachte der Bischof, »weil das hochheilige Kollegium Papst Johanns, das in seiner babylonischen Gefangenschaft zu Avignon sich so lustige Tage macht, mir seinen Segen versagt! – Ein so zartes Gewissen hätte ich unserer schönen Schwester Jutta nicht zugetraut. Nun, ich hoffe, die scrupuli werden noch zu besiegen sein.«

»Ich bezweifle es, gnädigster Herr!«

»Wie? weil ich als deutscher Kirchenfürst mich unter die Vormundschaft des bis zur Machtlosigkeit heruntergekommenen Papstes nicht bücken und beugen, sondern meine Herrlichkeit und Freiheit, mein eigen Regiment und Willen mir wahren will, darum, darum verweigert mir die Äbtissin eines freiweltlichen Stiftes, selber eine reichsunmittelbare Fürstin, die nachbarliche Höflichkeit?« eiferte der Bischof mit unwilligem Erstaunen. »Herr Stiftshauptmann, das ist nicht der wahre Grund.«

»Und weiß kaum, hochwürdiger Herr, wie ich es Euch –«

»O besinnt Euch nur! Ihr wisst noch einen anderen,« unterbrach ihn der Bischof mit spottender Überlegenheit und fügte, da keine Antwort erfolgte, herrisch hinzu: »Seht mir ins Gesicht, Herr Willekin von Herrkestorf! kommen diese Bedenken aus der Äbtissin eigener Seele?«

»Nun denn, – nein, durchlauchtiger Herr!« antwortete der in die Enge Getriebene entschlossen.

»Aha! nicht, wirklich nicht! So will ich es Euch sagen, Herr Stiftshauptmann, woher sie stammen: der Wind weht vom Regenstein, der ihr den nichtigen Einwand, haltlos wie Nebeldunst, zugeblasen hat. Der Graf war bei Euch!«

Der Stiftshauptmann nickte.

Der Bischof, die zusammengekrampften Hände im Rücken, schritt heftig auf und nieder.

»Erzählt!« befahl er zornbebend.

»Ich hatte in Gegenwart der Pröpstin Kunigunde Gräfin von Woldenberg von unserer gnädigen Frau schon den Befehl erhalten, Euch ihre und ihres ganzen Kapitels freudige Teilnahme an Eurem hohen Feste anzukündigen. Da kam Graf Albrecht, sagte uns seinen Streit mit Euch, hochwürdiger Herr, und –«

»– und brachte Eure wankelmütige Domina im Handumdrehen dazu, mir abzusagen,« ergänzte der Bischof in höchster Erbitterung. »O, ich höre ihn, ich sehe ihn dabei, und er soll es nicht umsonst getan haben!«

»Ihr habt alles erraten, hochwürdigster Herr,« sagte der Stiftshauptmann, »ich habe Euch –«

»Ihr habt mir nichts gesagt; nein, nein! Nur, wie ihr wollt, wie ihr wollt, Herr Graf und Frau Äbtissin! – Hört jetzt meine Antwort, Herr Stiftshauptmann! Meldet Eurer gnädigen Frau mein tiefes Bedauern über ihren mir schmerzlichen Entschluss und meinen Wunsch, dass sie der Heilige Vater in Avignon segnen möge, wenn er gerührt ihre Demut vor seiner Erhabenheit erfährt.« Der Bischof sprach es mit einem Lächeln um die geschweiften Lippen, das etwas Unheimliches hatte; zwischen seinen Brauen zeigte sich eine böse Falte, und sein Gesicht schien noch bleicher als zuvor. Er schritt zum Tische und läutete mit einer kleinen Glocke, die einen schrillen, rasselnden Klang gab.

Der junge Kleriker trat ein und entfernte sich wieder, nachdem der Bischof ihm einen leisen Befehl erteilt hatte.

Darauf wandte sich der Bischof wieder zu seinem Gaste, und die beiden Herren blickten sich an, als erwartete jeder vom andern eine Frage oder das erste Wort zur Anknüpfung eines neuen Gesprächs.

Aber der Bischof sagte nur, indem er sich selber niederließ: »Nehmt einen Sessel, Herr Stiftshauptmann, und lasst mich Erfreuliches hören von Handel und Wandel der guten Stadt Quedlinburg.«

Der Stiftshauptmann sprach, nachdem er sich dem Bischof gegenüber gesetzt hatte: »Hochwürdiger Herr, ich habe noch einen andern Auftrag an Euch.«

Der Bischof schwieg und lauerte.

»Vom Bürgermeister Nikolaus von Bekheim,« fuhr Herr Willekin fort, den Bischof dabei scharf ins Auge fassend.

»Vom Bürgermeister? an mich?« frug der Bischof sehr verwundert.

Der Stiftshauptmann, der schon von der hochmütigen Art und Weise, mit der ihn der Bischof bis jetzt behandelt hatte, wenig erbaut war, fühlte sich durch das erheuchelte Erstaunen, das in der Frage lag, verletzt und erwiderte ziemlich unwirsch: »Gnädigster Herr, Ihr dürft mir vertrauen! ich bin vollkommen eingeweiht. Also mit einem Worte: der Rat nimmt das Bündnis mit Euch an.«

Über des Bischofs Gesicht fuhr ein Strahl der Freude. Aber schnell bezwang er die unwillkürliche Regung und sagte gelassen: »Verzeiht mir, Herr von Herrkestorf! aber das ist ein Geheimnis, in dessen Besitz ich nicht gerade Euch vermutete.«

Herr Willekin verstand und sprach darauf noch mehr gereizt: »Dann vergesst Ihr, hochwürdiger Herr, dass ich nicht bloß Stiftshauptmann, sondern auch altangesessener Bürger meiner Stadt bin. Übrigens plant Ihr ja in Eurem Bunde nichts Ungebührliches gegen meine gnädige Frau, die Äbtissin, in welchem Falle ich allerdings nicht den Boten und Bringer so heimlicher Kunde machen würde.«

»Ich danke Euch, Herr!« erwiderte der Bischof kühl. »Nimmt der Rat meine Bedingungen strikt an?«

»Mit den meisten Eurer – Vorschläge ist er einverstanden, wünscht aber eine deutlichere Bestimmung der in gewissen Fällen von Euch zu erwartenden Hilfeleistungen und verlangt einen Austausch bindender Schriftstücke.«

»Also nochmalige Verhandlung!« murrte der Bischof. »Nun meinetwegen; so sendet mir Eure Bevollmächtigten.«

»Hierher, nach Halberstadt? Das würde nicht ohne einiges Aufsehen, nicht ohne Wissen desjenigen geschehen können, gegen den unser Schutz- und Trutzbündnis eigentlich gerichtet ist. Der Regensteiner hat überall seine Kundschafter, erst heute, auf dem Ritt hierher, haben sie mich umstellt.»

»Ihr habt recht; aber wie könnte es anders geschehen?«

»Schickt uns Eure Schrift durch einen unverdächtigen Boten und empfanget dagegen die unsrige auf demselben Weg und an demselben Tage zurück.«

»Mag es sein, wie Ihr sagt,« sprach der Bischof nach kurzem Bedenken und erhob sich. »Also, Herr Stiftshauptmann, das Bündnis zwischen mir und der Stadt Quedlinburg ist geschlossen.«

»So gut wie geschlossen, hochwürdigster Herr!« erwiderte der Stiftshauptmann und schlug in des Bischofs dargebotene Rechte.

»Überbringt den wohledlen Herren im Rate meinen freundlichen Gruß, Herr Willekin von Herrkestorf,« sagte der Bischof, »und vergesst nicht, was Ihr Eurer gnädigen Frau von mir bestellen sollt.«

Dann winkte er dem Gaste, der ihm eine so widerwärtige und eine so willkommene Botschaft gebracht hatte, gnädig Entlassung.

Als der Stiftshauptmann den bischöflichen Palast mit seinen drückenden Mauern und dumpfigen Wölbungen hinter sich hatte und aus der tiefen Dämmerung des Außentores in den hellen Sonnenschein hinaustrat, wo gegenüber die Türme des wunderherrlichen Domes, noch unvollendet zwar und mit Baugerüsten umgeben, schon hoch und schlank zum blauen Himmel empor ragten, atmete er erleichtert auf. Gedankenvoll, aber nicht unbefriedigt von der Unterredung ging er dahin. Er hatte seinem Gegner, dem Grafen Albrecht, beim Bischofe etwas eingeheizt, brachte seiner gnädigen Äbtissin eine wohlverdiente Rüge für ihren Wankelmut heim, hatte dem Stolze des Bischofs das Selbstbewusstsein des Städters entgegengesetzt und endlich das von beiden Teilen erwünschte Schutzbündnis seinem Abschluß näher geführt. Je mehr er sich diese Erfolge klar machte, je heitere wurden seine Mienen und je schneller auch seine Schritte zur Kurie seines Freundes, des lebenslustigen Domherrn.

Kaum war der Bischof allein, als der junge Kleriker wieder erschien und auf einen Wink des ersteren einen älteren geistlichen Herrn eintreten ließ, dessen faltiges Gesicht den Ausdruck eines verschlossenen, nachdenklich nach innen gekehrten Wesens trug. Es war der Dompropst Jordan von Donfuß, ein dem Bischof sehr ergebener Prälat, den dieser selbst erst zum Lohn für seine erfolgreiche Tätigkeit bei der Bischofswahl zur obersten Würde im Domkapitel erhoben hatte.

Der Bischof ging ihm mit dem Ausruf entgegen: »Jordanus, sie kommt nicht!«

»Wer war es doch, hochwürdiger Herr,« erwiderte der so Begrüßte ruhig, »der Euch das vor sechs oder sieben Tagen schon sagte?«

»Aber den Grund, warum sie nicht kommt, den wißt Ihr nicht.«

»Der Dompropst dachte mit gesenkten Wimpern einen Augenblick nach und sagte dann: »Ausflüchte wüßt' ich genug für sie, aber nur einen Grund, und der heißt – Graf Albrecht.«

»Wie räch' ich mich, Jordanus?« frug der Bischof zornblitzend.

»An der Äbtissin durch Vergessen, dass sie in der Welt ist; am Grafen –«

»– durch einen Kampf auf Leben und Tod!« brauste der Bischof.

»Nein,« entgegnete der Dompropst gelassen, »dazu ist er zu mächtig. Wir müssen ihn in feinen Schlingen fangen, alle seine Schritte kreuzen, alle seine Pläne hemmen und hindern, ihn langsam, Schritt vor Schritt zurückdrängen, bis er klein geworden ist.«

Der Bischof schüttelte das Haupt: »Das geht mir zu langsam, Propst! ich will ihm rasch Schlag auf Schlag versetzen. Den Kauf von Wegeleben und Schneitlingen schließen wir morgen ab. Dazu ließ ich Euch rufen. Mein Schneitlingen faß' ich Fuß im Schwabengau, und der Wegelebener Bezirk schiebt sich so recht wie ein Keil in das Regenstein'sche Gebiet zwischen Crottorf und Quedlinburg.«