Книга Blank Generation - читать онлайн бесплатно, автор Richard Hell. Cтраница 3
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Blank Generation
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Blank Generation

Die Umgebung ähnelte der in Sayre. Meine Arbeitseinstellung änderte sich nicht. Schon im Februar bekam ich mit einer Fünf in Mathematik, einer Vier in Spanisch und einer Drei in Englisch eine Bewährungsfrist. Ich hielt die schlechten Noten für ein Problem, aber nicht für ein großes – so war es bereits seit der siebten Klasse. Allerdings ging die Leichtigkeit des Lebens ein wenig verloren. Mei­ne Rolle an der Schule war die des Skeptikers, Unruhestifters und Spaßvogels, der Typ, der nichts ernst nahm und verbotene Abenteuer suchte. Das kam dem ziemlich nahe, wie ich mich sah, aber ich wollte aus dem Rahmen ausbrechen, was das Ausbrechen aus dem Rahmen des Rahmens einschloss.

Eines Nachts im Frühling schlichen ein Freund und ich aus dem Wohnheim, brachen in die Schulklinik ein und stahlen aus einem großen Gefäß etwa zwei Liter kodeinhaltigen Hustensaft mit Kirschgeschmack. Davon trank ich am folgenden Morgen einen Plastikbecher, blödelte in der Klasse herum und nickte irgendwann, den Kopf auf den Armen, ein.


Wir stahlen aus einem großen Gefäß etwa zwei Liter kodeinhaltigen Hustensaft mit Kirschgeschmack.

© mit freundlicher Genehmigung von Richard Meyers

Aftermath von den Rolling Stones, die wir im Zimmer eines Mitschülers hörten, verbinde ich mit Regenwetter. »Stupid Girl«, »Under My Thumb«, »I Am Waiting«. Die Platte war so wild und grell und voller Persönlichkeit. Die Rolling Stones ließen sich auch gute Titel einfallen. Aftermath. Wer hätte gedacht, dass dieses Wort an eine Bluttat erinnert und das Gefühl einer Lawine auslöst? Es scheint ein unschuldiges Wort zu sein, aber nein – isoliert ist es unheilvoll, und es geht nicht um Erwartung, sondern um die Vollendung von etwas Schrecklichem wie einem schweren Verbrechen oder einem anderen Desaster. Es geht um Massentötungen und furchtbare Täuschungen, die Folgen haben.

An die Mythologie von Rock’n’Roll-Bands glaubte ich jedoch nicht. Die Musik war nur ein ganz gewöhnlicher Bestandteil meiner Umgebung. Ich war kein »Fan«. Der Stil einiger Gruppen war aufregend, aber die Musiker waren Leute, die es nur zufällig in die Musik verschlagen hatte. (Ich sehe es noch immer so, wenn eine Band am Anfang steht.) Die halbe Schönheit von Rock’n’Roll besteht darin, dass »jeder es tun kann«, das heißt, man muss kein Virtuose, sondern einfach angesteckt sein und einen unschuldigen Instinkt und viel Glück haben. Deshalb ist es die Kunst von Teenagern. Für mich hatten Bands nichts Ehrfurcht Einflößendes oder auch nur besonders Interessantes. (Erst seitdem ich eine Menge direkter Kontakte mit Popmusikern hatte, kam ich zu der Ansicht, dass sie tatsächlich ein bestimmter Menschenschlag sind, oder genauer gesagt, geworden sind. Ich bin noch heute nicht empfänglich für ihre Anziehungskraft. »Heiliges Monster« ist genau die richtige Beschreibung, zumindest für den Frontmann, den Sänger in einer Band. Um ein Popstar, ein Leadsänger zu sein, braucht man die unzerstörbare Gewissheit seiner eigenen Unwiderstehlichkeit. Das ist der Monsterpart. Wenn dieses Ichvertrauen nicht natürlich rüberkommt, wenn sich deine Existenz nicht ausschließlich darum dreht, dieses Ego in Szene zu setzen, hast du nicht das, was nötig ist, um deinem Publikum die Show, die Erregung zu geben, die es braucht. Das verlangt das Publikum von dem Performer, um sich mit ihm zu identifizieren, um sich selbst das Gefühl für seine eigene Macht zu geben, um die volle Wirkung und den Zweck von Rock’n’Roll zu spüren. Die Neulinge beginnen naiv und geradezu süß, werden aber auf dem Weg zum Ruhm gemästet und getestet, bis es in jeder Dimension grotesk wird außer der der Performance, die mitreißend und erhebend ist. Und das ist der heilige Part. Meistens ist es auch ein monströser Stress für die Adepten. Das ist nicht wirklich ein wünschenswertes Schicksal. Und ein weiterer Grund dafür, dass die Stars so launenhaft sind. Sie hassen alle dafür, sie zu dem gemacht zu haben, was sie sind, und reiben es jedem unter die Nase.)

Im Sommer 1966, nach meinem ersten Jahr in Sanford, wurde ich für meine schlechten Leistungen damit bestraft, dass ich zu Mama Doll, der Mutter meiner Mutter, nach Sherman (Texas) geschickt wurde, wo sie als Angestellte auf einer Luftwaffenbasis arbeitete. Ich musste die Wüstentage vor einer Tankstelle auf einem Ölkanister sitzend verbringen und auf Kunden warten. Mehrmals in der Woche hatte ich Nachhilfestunden in Spanisch. Ich war so verknallt in meine junge Spanischlehrerin, dass es schmerzte. Darüber hinaus litt ich an Hämorrhoiden; allerdings wusste ich nicht, was es war. Schon der Klang des Wortes deutete darauf hin, dass es etwas Hässliches sein musste, aber da es mir zu peinlich war, jemanden zu fragen, versuchte ich schließlich, das Ding in dem schmutzigen Badezimmer des vollgemüllten, dunklen, alten Hauses, wo Mama Doll mit ihrem geliebten Sittich lebte, mit einer Rasierklinge wegzuschneiden.

Als ich im Herbst nach Sanford zurückkehrte, hatte das Magazin Life auch ins Hinterland Geschichten über langhaarige Kids mit ihren Blumen, Perlenketten und psychedelischen Drogen gebracht. Eine einfache Beatles-Frisur war im ländlichen Delaware noch etwas Extremistisches. Ein- oder zweimal wurde gemunkelt, Studenten hätten auf dem Campus einen Joint geraucht, aber das waren dubiose Gerüchte. Das meiste, was wir über Drogen wussten, kam immer noch von den Beatschriftstellern. Ihr Drogenkonsum erschien uns exotisch und sexy, und doch war ihre Jazz, Lyrik und Zen liebende Partywelt schon so weit vorgedrungen, dass eine ganze Klasse von Leuten, die ich kannte, mehr oder weniger in ihr lebte. Diese Verwässerung unterminierte die Ernsthaftigkeit des Ganzen. Ich konnte mich nicht rückhaltlos für die Beatschriftsteller begeistern, weil es an der Schule diese allgegenwärtige Jugendgruppe gab, die Kopien von Alan Ginsbergs Langgedicht Howl schon für ein geheimes Zeichen hielt, und damit wollte ich nichts zu tun haben. Ich misstraute auch dem dogmatischen Beharren auf Spontaneität. Ich werde spontan sein, wenn mir danach ist.

Drogen allerdings gefielen mir. Sie boten einen sofortigen Fluchtweg, und ich mochte die physischen Freuden, die die Rauschgifte, dann die psychedelischen Drogen und später die Stimulantien bereiteten. Ich konsumierte nie große Mengen, begann aber relativ früh. Ich war der erste, der das überhaupt tat. Viele Drogen nahm ich in Sanford im ersten Monat der zwölften Klasse.

In einem Magazin hatte ich gelesen, dass Samen der Trichterwinde Halluzinationen auslösten. Man musste sie nur waschen und dann zermahlen. Man brauchte nur ein paar Päckchen, und da sie nicht gut schmeckten, musste man das Pulver mit Erdnussbutter anreichern. Aber das war schon alles. So bearbeitete ich eines Nachmittags einige Päckchen Heavenly Blues (Himmelblaue Prunkwinde). Das war bis dahin der glücklichste Tag meiner Teenagerjahre.

Ich befand mich auf dem Weg zu meinem Wohnheim, als die Droge anfing zu wirken – Wellen sexueller Lust und erhöhter Wahrnehmung überschwemmten mich. Es war, als ob die Droge alle Filter auflöste, so dass alles wahrnehmbar und alles Wahrgenommene bedeutsam wurde. Das Klischee von einer Person unter dem Einfluss psychedelischer Drogen ist der Junkie, der auf seine Hand starrt, mit der er sich vor seinem Gesicht herumfuchtelt. Dabei sieht er Kometenschweife in fließendem Zeitraffer, die seine Finger in der Luft gezeichnet haben. Nicht die Droge haben sie hervorgebracht. Wenn man die Hände vor dem Gesicht schnell hin und her bewegt, dann stellt sich der gleiche Effekt ein. Man bemerkt das normalerweise nicht. Unter psychedelischen Drogen fällt es einem auf. Für mich war es, als wechselte ich von einer anspruchsvolleren Dimension, für die ich so wie Superman auf dem Planeten Krypton durch entsprechende Fähigkeiten geeignet war, in das irdische Leben, wo ich Superkräfte entwickelte.

Ein paar Jungs wussten, was ich getan hatte, und die Nachricht verbreitete sich im Wohnheim. Es fiel mir schwer zu sprechen, weil alle Worte falsch und allzu endgültig klangen. Und dann war da noch das trunkene Gefühl, frei zu sein, nicht nur weil ich tun musste, was ich tat, sondern weil mir bewusst war, dass ich in dieser Verfassung nicht verantwortlich sein konnte, was auch immer ich anstellte.

Mitbewohner umringten mich in meinem Zimmer und versuchten, mich vor Problemen zu bewahren. Ich saß am Rand des unteren Betts, stand wieder auf und ging Richtung Tür. Sie hielten mich fest. Ich versuchte, mich durchzudrängen. Sie stießen mich zurück. Ich setzte mich ruhig in eine Ecke und wartete, während sie sich unterhielten. Irgendwann wurden sie unachtsam, und ich stürzte wieder zur Tür. Es war komisch, wie eine Szene in einem Cartoon. Mit der Zeit machten wir zu viel Lärm, und sie ließen mich raus.

In einem großen Raum im zweiten Stock eines der älteren Gebäude veranstalteten Schüler und ein paar Betreuer einen Tanzabend. Das Licht war gedämpft, Luftschlangen aus Krepppapier hingen von der Decke, eine Schallplatte lief.

Die Oberstufe hatten einen Deppen als Maskottchen, ein Zehntklässler, den die Aufmerksamkeit schmeichelte, die er von den größeren Schülern bekam. Er ließ sich von ihnen demütigen, indem er an sich rumfummelte, während sie zuschauten. Ich stand abseits an einer Seite des Raums und sah ihn auf der Tanzfläche in der Menge. Er war in die Cheerleaderin Marilyn Talbert verliebt, eine dunkelhaarige, dünne, prüde Fünfzehnjährige mit traurigen, glänzenden Augen und geschwungenen Lippen, die schief lächelten. Ich sah den Jungen über das Parkett schlurfen. Marilyn Talbert und ich waren wahrscheinlich die einzigen im Raum, die ihn wahrnahmen. Er näherte sich ihr und bat sie, mit ihm zu tanzen. Sie sagte nein. Ich fing an zu weinen.

Beim Frühstück in der Kantine am nächsten Morgen war ich müde und desorientiert, hatte aber keine Halluzinationen mehr. Als ich an der Schlange vor der Essens­ausgabe vorbeiging, spürte ich alle Augen auf mich gerichtet. Aber trotz meiner trancehaften Müdigkeit und Selbstbewusstheit fühlte ich mich frei, losgelöst. Etwas war noch nicht zu Ende, und es würde weitergehende Konsequenzen haben, aber darüber machte ich mir keine Sorgen; ich war einfach neugierig, sogar erwartungsvoll auf eine distanzierte Art. Ich fühlte mich gut.

Später am Tag wurde ich in das Büro des Schulleiters bestellt, und er drohte mit der Verweisung von der Schule. Ich versuchte, den Drogenkonsum als eine wissenschaftliche Untersuchung darzustellen. Ich bin mir nicht sicher, wie überzeugend das war, jedenfalls warfen sie mich nicht raus, sondern suspendierten mich für eine Woche.

Als ich zurückkehrte, wurde ich siebzehn. Die Schule blieb enttäuschend. Ich war kribbelig und ließ den Unterricht an mir vorüberziehen.

In jenem Herbst befreundete ich mich mit einem Typ, den ich bis dahin kaum wahrgenommen hatte: Tom Miller. Das, was uns in der Schule zusammenbrachte und für die nächsten sieben oder acht Jahre zusammenhielt, war sowohl etwas Negatives als auch etwas Positives. Wir waren beide nach innen gekehrte Menschen, die Konventionen kaum respektierten und die sich als Außenseiter fühlten. Wir teilten auch den Geschmack für eine bestimmte Literatur und eine bestimmte Musik und hatten beide einen antirealen Humor.

Tom war eine Ausnahme in Sanford. Zum einen war er ein Tagesschüler, wohnte also nicht in der Schule, so dass er weniger bekannt war. Er war ruhig und immer angespannt, und er machte gerne gespenstische Witze. Das meiste auf der Welt erschien ihm unverständlich seltsam, und er war deshalb empfänglich für alle möglichen irrationalen Erklärungen – von Dingen wie fliegenden Untertassen über extreme Verschwörungstheorien bis zu obs­kurem religiösem Mystizismus. Er wusste, dass diese Vorstellungen und Verdächtigungen vielen Leute verrückt vorkamen, und das war ein Grund dafür, dass er so verschlossen war.

Er war ein Neurotiker, der mit anderen nur in den beschränkten Begriffen seiner Privatsprache kommunizieren konnte. Damals war er allerdings noch lockerer und geselliger und weniger launenhaft, als er es schließlich wurde.

Er hatte eine große Sensibilität. Ich kann mich nicht mehr erinnern, wie weit sie sich in der zwölften Klasse entwickelt hatte, aber als wir zwei Jahre später in New York wieder zusammenkamen, mochte er Free Jazzer wie Albert Ayler und Eric Dolphy und Dichtung, die der Musik ähnelte, wie Kerouacs Gedichtband Mexico City Blues mit seiner Missachtung der Grenzen und mit seiner Spontaneität und Verzweiflung und spirituellen Sehnsucht und seinem Humor. Tom gefielen obsessive Außenseiter – Künstler, deren Werke Mustern folgten, die intuitiv und materiell mit der wahren verrückten oder verborgenen Realität verbunden waren, denn diese Werke waren aus der Gehirn von Leuten hervorgegangen, die zwanghaft kreativ waren, selbst wenn man sie nach orthodoxen Standards für ungeschult halten konnte. Und er mochte die Kehrseite der Medaille, nämlich die hochbegabten, hart arbeitenden, selbstbewussten und gebildeten, weltgewandten Künstler, die sich nicht darum scherten, irgendjemandem zu gefallen oder irgendetwas allzu ernst zu nehmen, und sie waren natürlich subversiv und in der ihnen eigenen Reinheit unfähig, schlechte Kunst zu machen. So bewunderte er die ursprünglichen Sun Records Musiker oder den Gitarristen Link Wray oder wilde Popkünstler wie die Rolling Stones mit einigen ihrer frühen selbstgeschriebenen Singles oder Bob Dylan. Und immer ging es ihm um den Spaß in allem oder von allem, was interessant war.

Als ich an die Schule zurückkehrte, kam mir dort alles falsch vor. Das war der Moment, da die Wahl, eine bestimmte Richtung einzuschlagen, fast zu einer ästhetischen Entscheidung wurde. Weiter in die Schule gehen? Es würde die zukünftige Erinnerung ruinieren. Ich verstand das allerdings erst nach ein paar Tagen. Es kam wie eine Inspiration, die sich langsam unter der Oberfläche gebildet hatte, so wie es einem abgerichteten Tier dämmern mag, dass es den Hof einfach verlassen konnte.

»Lass uns abhauen«, sagte ich. Tom war einverstanden.

Wir planten, Richtung Süden zu fahren. Wir hatten genug Taschengeld für eine Fahrkarte nach Washington, und dann fingen wir an zu trampen.

Kapitel Fünf

Wir machten uns auf nach Florida. Wir kannten dort niemanden und wussten nichts über die Gegend außer, dass sie warm und luftig war, und es jede Menge Zitrus- und Meeresfrüchte gab und Mädchen, die nach Sonnenmilch dufteten und Sandkörnchen da und dort hatten, auch unter dem Bund ihrer Höschen. Wir würden Dichter auf der Flucht sein, um die sie sich kümmerten.

Diese Tage auf der Straße, mit Tom der Schule entflohen, gaben mir die bis dahin stärkste Dosis meines Lieblingsgefühls: mein Ich für eine andere Welt zurückzulassen. Es gibt viele Wege, um dieses Gefühl zu bekommen. Eine Droge kann das tun oder eine neue Tätigkeit; man verliebt sich oder verändert einfach sein Aussehen; aber tatsächlich abzuhauen und sich all den Verantwortlichkeiten und Beziehungen der früheren Identität zu entziehen, ist wahrscheinlich der reinste und berauschendste Weg.

Da ist eine schlichte, scheinbar unschuldige Erfahrung, die für mich jene Flucht aus der Schule von 1966 symbolisiert, eine Erfahrung, die neu war und durch unser Weglaufen ermöglicht wurde: spät in der Nacht in einem Res­taurant sitzen und mit einem Freund Kaffee trinken. Für viele Jahre behielt sie ihre Wirkmächtigkeit, und für die meiste Zeit war Tom dieser Freund. Es ist ein immerwährendes, ja göttliches Gefühl, mitten in der Nacht mit einem guten Freund zusammenzusitzen, leise miteinander zu sprechen und zu lachen, gemächlich Gedanken auszutauschen, vielleicht brennen die Augen, alles ist ein wenig verschwommen, wir schlürfen aromatischen stimulierenden süßen heißen Milchkaffee, unsere Stimmen sind heiser, das grelle Licht im Restaurant isoliert uns von der um sich greifenden Dunkelheit draußen vor den Fenstern.

Ich weiß nicht, ob ich ganz zu unserem Bewusstseinszustand zurückkehren kann, um die Freude jener Tage beschreiben zu können, nachdem wir von der Schule abgehauen waren. Einerseits lieferten sie eine Blaupause für die Zukunft, andererseits sind sie unwiederbringlich. Wir waren sechzehn und siebzehn (Tom wurde erst im Dezember siebzehn – ich war fast drei Monate älter), und wir waren groß, dünn und linkisch; unsere Handgelenke stachen aus den Ärmeln hervor. Alles war Spaß und ein zaghaftes Erkunden, da wir so vieles, was wir taten, zum ersten Mal taten. Wir suchten immer etwas zum Lachen, und da unsere Egos noch nicht ausgereift waren, konnten wir fast unbegrenzt über uns selbst und übereinander lachen, und kaum ein Verhalten war unerlaubt. Wir liebten es, wie Idioten zu agieren, identifizierten uns aufrichtig mit Pennern auf der Straße und waren trunken von unserer neuen Freiheit.

Jeder brachte in dem anderen einen Sinn für das Lächerliche hervor, und gleichzeitig fühlten wir uns wie Künstler, wie Menschen, die lebten, um das Leben zu ergründen und es nach den eigenen Vorstellungen zu bewältigen. Aber es galt als ein Verbrechen, irgendetwas allzu ernst zu nehmen, so unterdrückt wir uns auch von der konventionellen Welt der Erwachsenen fühlten. Jede wirklich ernsthafte Kunst ist nicht nur traurig, sondern auch urkomisch. Welche andere intelligente Art und Weise zu leben gibt es, als über das Leben zu lachen? Eine achtbare Alternative ist der Selbstmord. Aber wie konnte man das nur tun? Nicht nur würde das einen beklagenswerten Mangel an Humor verraten, sondern es hinderte einen daran, herauszufinden, was als nächstes passiert.

Wir hielten uns nur kurz in Washington auf. Ich kontaktierte einige Freunde von Sayre und teilte ihnen mit, dass wir heimlich durch Lexington kommen würden. Einer von ihnen kannte ein leeres kleines Farmhaus auf einem Gemüsefeld in der Nähe der Stadt, wo Tom und ich einige Tage bleiben konnten. Es war möbliert, aber es gab kein Telefon oder Strom, auch keine Lebensmittel, und natürlich hatten wir keinen Wagen. Sehr bald hatten wir auch nichts mehr zu essen außer rohem Mais und Bohnen, die wir auf dem Feld zusammenklaubten. Aber als meine Freunde vorbeikamen, waren wir die Helden.

Kurz bevor wir wieder aufbrachen, schmissen sie für uns eine Party, und auf dieser Party kam es endlich dazu, dass ich wieder Sex mit einem Mädchen hatte. Ich kannte es kaum, aber es war hübsch. Wir betranken uns beide, und ich fühlte, was es für einen Soldaten bedeuten muss, in den Krieg zu ziehen, oder für einen Rockstar, der für seine noble Aufopferung Liebe verdient. Wir gingen ins Schlafzimmer, während die anderen im Haus tranken und schrien. Es war dunkel in dem Zimmer, aber ich war so gierig, dass ich sie bat, mich mit einer Taschenlampe zwischen ihre nackten Beine schauen zu lassen, und sie, die Göttliche, war einverstanden.

Tom und ich trampten weiter Richtung Süden. Wir kamen ziemlich weit, bis in das südöstliche Alabama, nicht mehr weit von Florida entfernt. Es war mitten in einer Oktobernacht und kalt. Wir standen an einer zweispurigen Straße, die sich durch Felder und Kiefernwälder wand. Es gab kaum Verkehr; zweimal fuhren Autos an die Seite, um dann wieder davonzurasen, als wir auf sie zuliefen. Die Insassen, junge Rednecks, hupten und johlten. Wir entschieden, jenseits der Straße auf einem Stoppelfeld zu warten, bis es hell wurde. Wir sammelten Gestrüpp, Äste und Zweige und machten ein kleines Lagerfeuer.

Wir wurden ausgelassen, verfluchten die Einheimischen und provozierten uns gegenseitig, und dann fingen wir an, brennende Stöckchen auf dem Feld herumzuwerfen. Wir hatten nichts beabsichtigt, aber ziemlich bald fingen ein paar Stellen da und dort Feuer. Wir schwelgten in unserem Machtgefühl. Ich weiß nicht, was wir als nächstes getan hätten, aber plötzlich waren wir von Polizei umringt. Auch ein Löschfahrzeug tauchte auf, und die Bullen hatten Hunde. Wir behaupteten, Collegekids aus Florida zu sein, aber es gab bereits eine Suchmeldung für zwei verschwundene Schüler. Sie nahmen uns fest, steckten uns in eine Zelle und riefen unsere Eltern an.

Wir waren etwa zwei Wochen weg. Diesmal behielt mich die Schule nicht; wir wurden beide rausgeschmissen.

Tom entschied sich, an der staatlichen Schule in Wilmington weiterzumachen, ich aber konnte nicht wieder zurückkehren. Ich musste etwas aus meinem Leben machen. Der fruchtbarste Boden dafür war New York City, aber ich war noch minderjährig, und meine Mutter erinnerte mich daran, dass sie die Polizei alarmieren würde, falls ich abhaute. Ich glaubte nicht, dass sie das tun würde, schlug ihr aber einen Deal vor – ich erklärte mich einverstanden, so lange in die schreckliche High School von Norfolk zu gehen, bis ich 100 Dollar als Startgeld verdient hatte. Wenn ich dann die Stadt verließ, durfte sie mich nicht mehr anzeigen. (1966 waren 100 Dollar etwa so viel wert wie 700 Dollar im Jahr 2012.) Der staatliche Mindestlohn betrug damals 1 Dollar 25 Cent pro Stunde – es würde also Wochen dauern, bis ich das Geld stundenweise nach dem Unterricht verdienen konnte. Ich wusste, dass meine Mutter glaubte, ich, verantwortungslos und faul, wäre nicht fähig, irgendeinen Job so lange zu behalten, ja ich hätte nicht einmal die Ausdauer, überhaupt etwas zu suchen. So stimmte sie schließlich der Abmachung zu, und ich fand sofort einen Job. Ich arbeitete nach der Schule in einem Zeitschriftenladen im Stadtzentrum, der vor allem Pornos verkaufte.

Die Schule war ein Witz. In der Englischklasse wurden uns die Formen der Korrespondenz beigebracht, um unseren Platz in der Gesellschaft zu finden. Als wir einen Dankesbrief für ein Geburtstagsgeschenk schreiben sollten, lautete meiner so:

18. November 1966

Liebe Betty,

vielen Dank für dein aufmerksames Geschenk, Der Esprit de Sades. Unsere ganze Familie lachte lauthals über den ausgelassenen Humor des »heiteren Marquis«.

Niemand kam zu meiner Geburtstagsparty, aber ich hatte viel Spaß mit dem Ausblasen der Kerzen, nachdem ich sie angezündet hatte.

Nochmals Dank für das entzückende Buch.

Dankbar der Deine

Richard

In dem Musterbrief für eine Stellenbewerbung suchte ich eine Arbeit als »Defäkant« in einer Düngemittelfabrik.

Nach der Schule las ich Dylan Thomas. Jahre später fand ich es peinlich, zuzugeben, dass er mich inspiriert hatte. Er war überreizt und »poetisch«, seine Sprache biblisch und astronomisch und anatomisch (Erlöser, Radium, Sonne, Zungen, Brunnen, Nerven, Knochen) und mit großen dramatischen Themen befasst, auch wenn die Gedichte nicht wirklich einen Sinn ergaben, sondern mehr wie Musik klangen. Die New Yorker Dichter, die ich dann später lieben lernte, waren dagegen nette Klugschwätzer und collagierende Phrasensammler, Liebhaber von Alltagsdetails, und sie nahmen sich nie allzu ernst.

Ich habe Thomas kaum mehr gelesen, seit ich achtzehn war. Aber nun, wenn ich wahllos seine Collected Poems aufschlage und finde

To-day, this insect, and the world I breathe,

Now that my symbols have outelbowed space,

Time at the city spectacles, and half

The dear, daft time I take to nudge the sentence,

In trust and tale I have divided sense,

Slapped down the guillotine, the blood-red double

Of head and tail made witnesses to this

Murder of Eden and green genesis._1

… muss ich sagen, es gibt mir einen Kick, und ich kann in mir die Reaktion des Siebzehnjährigen entdecken, der sehen wollte, was er auf dem Blatt in kleinen Wortabteilungen tun konnte. Ich kann mich nicht mehr erinnern, was mich zu Thomas führte, aber ich las ständig und zog immer viel Nutzen aus Worten, fremde und eigene, und Dylan Thomas war eine berüchtigte Ikone eines Lebens, wie ich es mir für mich selbst vorstellte: ein Typ, der sich mit Hirngespinsten in die Betten der Frauen und in die Schlagzeilen brachte und eine orgiastische Existenz führte, der sich irgendwie durchschlug, ohne zur Schule zu gehen oder einen Job zu haben, eine Spur von Songs darüber hinterließ, schöne Songs der Dankbarkeit und des Lobs und der Tränen und des Unsinns, Erinnerungen an seine Entdeckungen und Verluste, für alle zum Genießen und Nachdenken. Ich wurde dieser Lyrik bald überdrüssig, weil sie mir wie übertriebene Mystifikation und allzu theatralisch vorkam, so wie Nebelmaschinen bei einem Rockkonzert. Der Dichter nahm, was wahrscheinlich nur eine vage kleine Idee oder Quasi-Erkenntnis pro Gedicht war, schmückte es aus und deklamierte es. Was er sagen wollte, war nicht etwa zu tief für klare Worte, sondern vielmehr mussten das Vage und die Dürftigkeit der ursprünglichen Idee durch predigerhaftes Heulen und Brummen weiter verschleiert werden.